Was wir unter „Landschaft“ verstehen, verändert sich im derzeitigen Boom von Ballungszentren ein Mal mehr. Eine Ausstellung in Karlsruhe ruft mit Bildern und Texten ins Gedächtnis, was sich zur Veränderung und Wahrnehmung von Landschaft zu wissen lohnt. Die Präsentationsart könnte sich auch für Architekturausstellungen eignen.
Es war immer lästig und irgendwie albern, im Museum einen Kopfhörer aufzusetzen und sich mit Kommentaren zu den gezeigten Bildern volllabern zu lassen: Entweder konnte man das Erläuterte sehen, kannte es ohnehin oder wollte es gar nicht wissen. Ganz anders in der Karlsruher Kunsthalle bei der Ausstellung „Unter freiem Himmel“: Der Untertitel „Landschaft sehen, lesen, hören“ erklärt, dass der Text in diesem Fall dazu gehört. Er ist selbst eine künstlerische Mitteilung, in diesem Fall keine kunstgeschichtliche Blickführung, sondern ein essayistischer Beitrag, den Lyriker, Belletristen, Philosophen, Literaturwissenschaftler oder Naturforscher verfasst haben. Und sie haben sich alle Mühe gegeben, dennoch etwas darüber auszusagen, was sie auf dem Malgrund entdeckt haben, und nicht nur eine Abschweifung aus ihrem sicheren Metier zu liefern. Das Schöne ist: Man darf endlich einmal jedes der 53 Landschaftsbilder ganz genau inspizieren, ohne dass sofort die Alarmanlage losheult.
Die Exponate aus dem Schatz der Kunsthalle stammen aus einer Spanne von 600 Jahren. Nur an wenige wird man sich erinnern können, es sind nicht die Schätzchen dabei, an denen man sich auf den Kunstkalendern sattgesehen hat. Um so anregender ist es, auf die Texte zu hören, die in knappen Minuten oder auch mal länger in die gemalte Umgebung führen. Und damit man richtig hineinstolpert, beginnt die ansonsten chronologische Präsentation mit einer anarchistischen Störung, mit Jawlenskys Oberstdorfer Landschaft. Gut so. Das Portfolio der Literaten ist weit gefächert, es beschreibt mit wissenschaftlichem Ernst die Epoche, analysiert die geografischen und meteorologischen Fakten, erinnert an Fabeln und Verse, die die Maler in ihre Bilder bannten, oder nimmt den hörenden Betrachter (vulgo betrachtenden Hörer) mit auf eine den Rahmen sprengende Exkursion aus der Selbsterfahrung des Autors. So einmal inspiriert, wird es nicht bei einem einzigen Besuch bleiben.
Darüberhinaus: Wäre das Konzept nicht eine willkommene Abwechslung in unserer Architekturausstellungsroutine? Ich denke nicht an eine akademische Baugeschichtslektion, das gibt es ja zuhauf, sondern an eine einfallsreiche Bildbetrachtung. An den Wänden hängen die Auszeichnungen zu einem der überregionalen Architekturpreise, die Tonspur erzählt, was die Dichter entdeckten. Sind sie es nicht, die die Weltläufte spüren und in fiktionale Handlungen übersetzen, aufzeichnen in einer wunderbaren Sprache? Diese immer gleichen Einfamilienhäuser! Was Wunder, wenn sich Juli Zeh, Martin Suter, Tilmann Spengler, Bernhard Schlink, Sybille Berg und Wilhelm Genazino einmal die Bildstrecken vornähmen! Verdient nicht gerade Architektur eine Disziplinen überschreitende ästhetische Wahrnehmung? Versuchen wir’s, es kann gar nicht schief gehen!