Mithilfe des Meat Market District–Masterplans von ORG Permanent Modernity, soll eine Industriegebiet nach und nach in ein städtisches, gemischtes Viertel umgesetzt wertden. Im Bild die Markthalle Foodmet, 2009-2015. Foto: © Filip Dujardin und ORG Permanent Modernity
Social Design hat sich als neuer Begriff im letzten Jahrzehnt etabliert. Er steht für Gestaltung, die als verantwortlich für deren Wirkungen begriffen wird und direkt darauf zielt, Benachteiligungen und Fehlentwicklungen zu begegnen. Eine Ausstellung in Hamburg zeigt, wie das aussehen kann.
Social Design versteht sich als Teil eines Ganzen, in dem Strukturen, Angebote, Netzwerke und Organisation ineinandergreifen, damit Gestaltung ihr Potenzial erfüllen kann – Projekt, Prozess und Kontext werden zusammengedacht. In der Ausstellung, die bereits im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen war und die nun in Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist, wird Social Design als „Gestaltung für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft“ beschrieben: „Auf der Basis von Dialog und Partizipation setzt es auf einen neuen, gleichberechtigten Austausch von Individuum, Zivilgesellschaft und Wortschaft. Dabei steht die Entwicklung einer vielfältigen sozialen Kultur ebenso zur Diskussion wie die gemeinsame Neugestaltung von sozialen Systemen, Lebens- und Arbeitsumgebungen.“
Mit und für die Gesellschaft
In sechs Sektionen wird gezeigt, was das jeweils heißen kann. Die Auswahl, die für Hamburg um sieben lokale Initiativen erweitert wurde, umfasst beispielsweise Projekte für die einfache Konstruktion von Flüchtlingscamps in Ruanda aus den 1990er Jahren von Shigeru Ban, die umfassende Wiederbelebung eines Viertels in Liverpool des Londoner Kollektivs Assemble, eine Schule Francis Kéres in Burkina Faso, eine aus Lehm errichtete Bibliothek in Sri Lanka, durch deren Bau aus dem Bürgerkrieg zurückgekehrten Soldaten eine Ausbildung bekamen und denen damit eine zivilgesellschaftliche Perspektive gegeben wurde. Dem Besucher wird die Züricher Vorzeige-Genossenschaft Kalkbreite und die Fairphone-Initiative aus den Niederlanden vorgestellt, die Smartphones fair produziert, deren Einzelteile ersetzt werden können, wenn sie kaputt gegangen sind. Das Berliner Cucula-Projekt sucht nach Wegen der Bildung und Ausbildung junger Flüchtlinge, der von der Zürcher Hochschule der Künste, Formpol AG und Eawag entwickelte Wasserfilter kann stark verschmutzes Wasser einfach und effizient reinigen.
Der Warka Tower von Architecture and Vision des italienischen Architekten Arturo Vittorio gewinnt Wasser aus Tau und aus der Luft und öffnet so Menschen in Dürregebieten den Zugang zu sauberem Wasser. Der Warka Tower kann mit einfachen Mitteln von wenigen Menschen in kurzer Zeit errichtet werden. Im Hamburger Projekt vagabunt, gestartet als Nähprojekt für Straßenkinder, lernen minderjährigen Mädchen und Geflüchteten, eigene Entwürfe zu verwirklichen und eigene Kollektionen zu entwickeln.
Erfolgsgeschichten
Die Projekte beeindrucken und machen Hoffnung. Doch ein leises Unbehagen bleibt, aus zweierlei Gründen. Der erste ist der Ausstellung kaum anzulasten, im Gegenteil. Denn die Erfolgsgeschichten basieren gerade darauf, dass sie sich in einem Umfeld verorten, deren Praxis diese Social Design Projekte erst nötig macht. Es fehlt an einer Kultur des Respekts, des Reparierens, es fehlt an einem gerechten Zugang zu den Ressourcen wie Energie, Wasser, zu Bildung und Wohnraum.
Wir brauchen Social Design, weil es so bedrückend wenig alltäglich ist, weil so beängstigend viel fehlt. Der zweite Grund für das Unbehagen, das die Ausstellung auslösen kann, hätten die Kuratoren bedenken können. In der Einführung zur Ausstellung wird davon berichtet, dass auch im Social Design Projekte scheitern – aber dennoch richtungsweisend seien. In der Ausstellung selbst freilich werden nur Erfolgsgeschichten erzählt, das zumindest potenzielle Scheitern allenfalls in den Zwischentönen zu erahnen, etwa wenn von den Hoffnungen auf bessere Finanzierungsmodellen des Hamburger Fab Labs Fabulous St. Pauli die Rede ist. In dieser Werkstatt können mittels 3D-Druckern und anderen Werkzeugen Dinge selbst unter Anleitung hergestellt werden, die es nicht oder nicht mehr gibt, Ersatzteile für defekte Haushaltsgeräte zum Beispiel: eine Open Source Werkstatt, das sich auch an Menschen mit geringem Einkommen richtet und dagegen arbeitet, dass sich viele Dinge der Wegwerfgesellschaft nicht mehr reparieren lassen sollen. Bei anderen Projekten ist schlichtweg zu wenig darüber zu erfahren, wie sich tatsächlich bewährt haben und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben, an welchen bürokratischen Hindernissen, an welchen Hürden sie scheitern können. So weiß man die Projekte schwer einzuschätzen, erfährt wenig über ihre Grenzen, ihre Weiterentwicklung, das, was man aus ihnen lernen könnte, anstatt sie lediglich zu bewundern. Es hätte dem beeindruckenden Engagement all derer, denen wir das verdanken, was die Ausstellung zeigt, keinen Abbruch getan, sondern die Notwendigkeit von Social Design noch mehr unterstrichen, als es die Ausstellung ohnehin tut.