Auf den ersten Blick möchte man meinen, es handele sich bei dem schmalen Bändchen, betitelt mit „Draußen“ über einer stilisierten Sonnenblume, um einen Jahresbericht des NABU oder ein Parteiprogramm der Grünen. Doch schon nach kurzem Anlesen werden wir Neugierige eines Besseren belehrt. In nicht weniger als 70 Kurzgeschichten nimmt sich Wolfgang Bachmann – Kolumnist dieses Magazins – ebenso süffisant wie kritisch all jene eklatanten wie unterschwelligen Degenerationsformen unserer öffentlichen Räume zur Brust, denen wir Tag für Tag ausgesetzt sind.
(oben: Leere Innenstädte sind die Konsequenz der draußen gebauten, autogerechten Konsumstädte. Deren außenräumliche Gestalt bewirkt das kalte Grausen, Bild: Ursula Baus)

Wolfgang Bachmann: Draußen. 70 Beobachtungen vor Tür und Angel. 164 Seiten, Ille & Riemer, Leipzig 2021, ISBN 978-3-95420-043-6, 20 Euro
Wobei das weit gefasste Spektrum seiner Betrachtungen von Hundekot-Tretminen über Parkbänke als „bad banks“, verhunzte Spielplätze, befremdliche „urban Rangers“, pfälzer Rieslingstöcke als Grabschmuck, militante „Gartenkrieger“, paramilitärisch aufgerüstete Grillplätze, verunglückte Draußen-Klamotten männlicher wie weiblicher Provenienz, geschotterte „Gärten des Grauens“, Freiluft-Donnerbalken, verfallende Wirtshäuser, entleerte Kirchen, gefakte Altstädte, Friedhöfe die einem das Sterben verbieten, desorientierende „Vollpfosten“ bis hin zum Immobilienkauf als „Nahtoderfahrung“ erstreckt.
Das alles wird geradezu lustvoll mit Akribie minutiös seziert und höchst eloquent lustvoll vorgetragen.. Doch Vorsicht: das Büchlein ist partout nichts für Menschen, die es gewohnt sind, lediglich bunt bebilderte coffetable-books oberflächlich zu durchblättern. Denn hier gibt es keine einzige Illustation, nur Bleiwüste Stattdessen entstehen Unmengen von Bildern im Kopf, ja bietet der vorliegende Band seinen LeserInnen ganz großes Kopfkino.
Originalton des Verfassers: „Wir Architekturschreiber sind im Grunde unseres Herzens konservative Leute. Selbst wenn wir uns für Avantgardistisches begeistern.“ Realiter entpuppt sich Wolfgang Bachmann freilich eher als unverbesserlicher Romantiker. Weil er bei all der selbstverliebten Spötterei den Verlust aussterbender kulturhistorischer Qualitäten und Quantitäten unserer Freiräume diagnostiziert. Aber nach der Manier eines kleinen Vademecums doch Hoffnung auf Einsicht und Genesung zulässt.
Wenn man durch all die Fegefeuer des „Draußen“ gegangen ist, könnten wir dessen Wild- oder Auswüchse vielleicht durch neue Formen des „Miteinanders und Zusammen-Machens“ doch noch bändigen.
Eine eher marginale Passage zum Thema Spielplätze hat es dem Rezensenten aber besonders angetan: „Besser ist es. Wenn die Kinder abends weg sind. Dann lassen sich die Spielabläufe besser koordinieren, zwischendurch kann man Karussell fahren oder auf die geneigte Drehscheibe klettern. Auch die Riesenschaukel macht beim Abspringen tierisch Spaß. Man muss sich nur trauen, falls noch eine junge Mutter zusieht.“
Kurzum, ein gewöhnungsbedürftiges, aber uneingeschränkt lesenswertes Büchlein für junge und junggebliebene Kindsköpfe, alte Esel, Weinzähne, Romantiker, Weltverbesserer, ja selbst für private wie öffentliche Hardcore-Freiraumvernichter. Fehlt eigentlich nur noch das obligatorisches Pendant zu diesem „Draußen“, soll heißen das „Drinnen“. Tatsächlich ist genau das gerade erst erschienen. Und erzählt vermutlich ganz andere, aber ebenso auf- wie anregende Sottisen.