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Wer war Walter Gropius?

„Die Moderne“, das Bauhaus und Walter Gropius – in Jubiläumsjahren häufen sich Veröffentlichungen in gelegentlich lästiger Weise. Aber es ist andererseits gut, wenn Wissenschaftler und Publizisten an historischen Legenden zweifeln. Zum Beispiel am Mythos Walter Gropius.


1946_Rez_BauhausDer Eloquente

Im Frühjahr war Winfried Nerdingers Buch über das Bauhaus als „Werkstatt der Moderne“ bereits in 3. Auflage erschienen, Mitte Oktober folgte nun eine neue Gropius-Biografie von ihm. Der Autor, der auch als Herausgeber eines umfassenden Gropius-Werkverzeichnisses sein ausgeprägtes Interesse an Entwicklungen im frühen 20. Jahrhundert zu erkennen gab, zeichnet den Lebensweg des wortgewandten Architekten nach, was schon insofern unterhaltsam ist, weil dieser Lebensweg, der von Berlin über Weimar und Dessau in die USA führte, in vieler Hinsicht turbulent war. Winfried Nerdinger verfolgt in diesem aktuellen Buch die Balance zwischen Biografie und Architekturgeschichtserzählung, wobei er nicht Gefahr läuft, Episodisches zu berichten. Architekturgeschichte dominiert, weil sie für Gropius auch ausschlaggebend ist.

1946_Rez_Gropius

1928 ist Walter Gropius bereits in den USA. In Lawrence Kochers‘ Zeitschrift „Architectural Record“ erscheint ein Aufsatz von Gropius, ganzseitig aufgemacht mit dem Foto, das auf dem Titel der Biografie zu sehen ist. Zu den Verlagsinformationen >>>

Gropius entstammte einer Berliner Architektenfamilie, tat sich, wie Nerdinger vor allem nach Briefen von Gropius an die Mutter berichtet, in der Architekturausbildung aber recht schwer. Unter anderem, weil er nicht zeichnen konnte und ihm auch die mathematischen Fächer nicht leicht fielen. Mit dem Wort wusste er allerdings souverän zu kommunizieren, Briefe und Veröffentlichungen bilden deswegen einen erklecklichen Teil des Quellenmaterials der Biografie. Einleitend heißt es: „Das Wort, der kritische Kampf ist die Fräse, mit der man den geistigen Boden vorerst beackert.“ Gropius ist nicht allein ein Meister des Wortes; er schaut auf dem Titelbild, das 1928 auf dem Titel der Architectural Record zu sehen ist, in die Ferne, hinter ihm sein Entwurf für den Chicago Tribune von 1922. Der Mann weiß sich vielseitig zu inszenieren.

Das intendierte Nachleben des geschickten Selbstdarstellers beschäftigt die Architekturgeschichte: Reginald R. Isaacs: Walter Gropius. Der Mensch und sein Werk. 2 Bde., 1984

Das intendierte Nachleben des geschickten Selbstdarstellers beschäftigt die Architekturgeschichte: Reginald R. Isaacs: Walter Gropius. Der Mensch und sein Werk. 2 Bde., engl. 1983, dt. 1984; Annemarie Jaeggi: Adolf Meyer. Der zweite Mann. Ein Architekt im Schatten von Walter Gropius. Berlin 1994

Frauenfreund, Selbstdarsteller, Netzwerker

Privat ist Gropius mit mehreren Frauen beschäftigt – unter anderem heiratet er die umtriebige Alma Mahler, spätere Werfel, die gemeinsame Tochter Manon stirbt siebzehnjährig. Gropius, dem Frauen für sich zu gewinnen nicht schwer fiel und der einige Liebschaften erlebte, fand zwar in Ise Frank eine Lebensgefährtin und Ehefrau, die ihn auch beruflich unterstützte – doch der Verlust der Tochter Manon wog wohl schwer. Welchen Anteil Ise an dem Gropius zugeschriebenen Werk hat, klärt Winfried Nerdinger nicht in wünschenswerter Präzision – vielleicht lässt er sich nicht klären. Wie allerdings die Anteile angestellter oder befreundeter Architekten – wie beispielsweise Adolf Meyer – an Gropius‘ Schaffen zu bewerten sind, ist häufig thematisiert und bestätigt die von Annemarie Jaeggi einschlägig bekannte Sachlage. Aus anfänglicher Arbeitsteilung wird in späteren Jahren auch Rettung von Einflussbereichen und (Nach-)Ruhm. Nerdinger stellt in seiner Gropius-Biografie einiges zusammen, wie Gropius mehr oder weniger bewusst, aber auf jeden Fall aktiv an seiner eigenen Histrorizität wirkte und dabei die Deutungshoheit zu behalten suchte.

Bernd Polster: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms. 656 Seiten. Carl Hanser Verlag, München 2019, 32 Euro ISBN 9783446262638

Bernd Polster: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms.
656 Seiten.
Carl Hanser Verlag, München 2019, 32 Euro
ISBN 9783446262638 Zu den Verlagsinformationen >>>

Mit einer anderen Gropius-Biografie rüttelt der Publizistist, Moderne-Kenner und Künstler Bernd Polster nahezu empört am „Denkmal Gropius“, schießt aber in der Deutung und Wortwahl (Hochstapler, Husar, Herrenreiter) übers Ziel hinaus – siehe dazu Michael Mönninger u. a. in > Rezensionen.


Antisemit und Internationalist

Als Persönlichkeit bleibt Gropius in der Biografie von Winfried Nerdinger vergleichsweise blass. Die wechselvollen Jahre, die Gropius durch zwei Weltkriege, weltanschauliche Umbrüche und persönlich bewegende Phasen führten, sind von viel Wissenswertem für die Entwicklung der modernen Architektur begleitet. Und so arbeitet Nerdinger eher heraus, wie Walter Gropius Selbstdarstellung und architekturbezogene Anliegen erfolgreich miteinander zu verknüpfen wusste. Zwei andere, aus meiner Sicht wichtige Aspekte, die der Biograf zur Persönlichkeit von Gropius beschreibt, seien erwähnt.
1917 schreibt Gropius an den befreundeten Osthaus: „Wir alle sind schuld, daß es so gekommen ist, wir haben die Juden ungehindert groß werden lassen und ich fürchte, die frische Kraft zu einem Pogrom ist nicht mehr in uns“. Und an seine Mutter 1918: „Wir können so viel und so herrlich kämpfen wie wir wollen, die Schwächlinge und die Schweine in der Heimat fallen uns in den Arm und vernichten alles Erreichte. Die Juden, dieses zersetzende Gift, das ich mehr und mehr hasse, verderben uns. Sozialdemokratie, Materialismus, Kapitalwirtschaft, Wucher – alles ist ihr Werk und wir haben Schuld, daß sie sich so in unser Leben einfressen konnten. Sie sind die Teufel in der Welt.“ (Seite 98, Nerdinger zitiert hier nach Isaacs, 1983)
Mit diesem Hass ist Gropius wahrlich nicht allein, aber bemerkenswert ist doch, wie dezidiert er ihn anspricht. 1933, im September, schreibt er jedoch zur Judenverfolgung an seine Tochter Manon, „sie solle ihrem jüdischen Stiefvater Franz Werfel sagen, dass er jetzt eine besondere Verwandtschaft mit ihm fühle und dass er sich überlege, sich aus Sympathie beschneiden zu lassen“ (Seite 245, Nerdinger bezieht sich hier auf Reidel, 2010). Woher solch ein radikaler Sinneswandel?

Gropius nutzte die Zeit in den USA, wo er auf Hinwirken von Joseph Hudnut nach Harvard kam, wieder zum Netzwerken und dann auch zur Bauhaus-Propaganda, etwa mit der Bauhaus-Ausstellung am MoMA. Aus politischen Entwicklungen hielt er sich raus, profitierte aber von seinen Harvard-Jahren später mit Reisen und Ehrungen. Zurück in Deutschland, nutzte er alle Chancen, die „Lesart“ seines Wirkens und seiner Bedeutung selbst zu bestimmen. Winfried Nerdinger resümiert zu Ende des Buches nüchtern: „Dass Walter Gropius die Weltarchitektur mit dem Faguswerk und dem Bauhausgebäude bereicherte und dass er mit dem Bauhaus eine Schule gründete, die zum Stilbegriff für eine ganze Epoche wurde, dieser Ruhm kann ihm nicht genommen werden“.

 


 

Das Buch zum Bauhaus-Erbe: 168 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Text Deutsch und Englisch, ISBN 978-3-95553-482-0

Das Buch zum Bauhaus-Erbe: 168 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
Text Deutsch und Englisch, ISBN 978-3-95553-482-0

Zur Kontextualisierung dessen, was in der Gropius-Biografie aufleuchtet, ist ein weiteres „Bauhaus-Buch“ zu erwähnen. Hier finden sich Schlaglichter aus der Gegenwart auf die Wirkungsgeschichte des Bauhauses: etwa von Aaron Betsky aus den USA und Raquel Franklin aus Mexiko oder von Hans Ibelings, dem Publizisten und Kurator. Schließlich auch von Stephan Trüby, dem Architekturtheoretiker, der sich hier ins historische Metier begibt und beklagt, dass gerade in Deutschland das Bauhaus und mit ihm „die“ Moderne gern verteufelt und als Feindbild gezeichnet wird, um konservativ-rekonservative, revisionistische Tendenzen zu rechtfertigen und zu stärken.