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Bild: Christian Holl
Stilkritik (81) | Wenn dreiste Behauptungen oder falsche Alternativen ins Spiel gebracht werden, leidet die Qualität der Debatte, das lernen wir gerade schmerzlich. Deswegen geht es auch nicht immer darum, Schreihälsen zuzuhören oder faules Gerede als Meinungsfreiheit hinzuehmen. Es geht darum, eine Haltung einzunehmen, namentlich von öffentlichen Personen oder Politikern. Auch in Sachen Architektur.

In einem Herbststürmchen hat uns die rechtsnationale Akzentverschiebungsstratgie eine schäge Debatte in den Feuilletons der große Tageszeitungen beschert. Nach einer Umfrage glaubten 63 Prozent der Deutschen, so titelte die Zeit, dass man aufpassen müsse, was man sage, wenn man seine Meinung öffentlich äußere. Süddeutsche, FAZ, Spiegel – alle waren bei der Diskussion dabei. Wir wissen aber doch schon, wer die üblichen Verschwörungstheorien verbreitet und die Meinungsfreiheit als bedroht tituliert. Und wir wissen auch: Die Meinungsfreiheit ist nicht bedroht. Sie ist nicht bedroht, weil das, was als Bedrohung empfunden wird, die Meinungsfreiheit schützt.

Denn eigentlich müsste man ja festhalten, dass 63 Prozent nicht gerade viel sind. Es wäre schön, wenn nicht nur 63 Prozent glaubten, dass man aufpassen müsse, was man sagt, wenn man seine Meinung öffentlich äußert, denn das hieße, dass mehr als 63 Prozent glaubten, es sei wichtig, das Gehirn vor dem Mundwerk einzuschalten. Und es wäre auch schön, wenn jeder vor dem Reden nachdächte, wie sich seine Meinung mit Anstand und mit dem Respekt vor anderen Menschen verträgt, derer Würde bekanntermaßen unabhängig von deren Religion, Geschlecht, Herkunft oder sexueller Neigung unantastbar ist. Friederike Haupt hatte in der FAZ für die absurde Diskussion das schöne Bild gefunden: „Die AfD spielt den Ball ins Aus und behauptet dann, jemand habe das Spielfeld geschrumpft.“ Jeder der Fußball spielt, weiß, dass es ärgerlich ist, wenn man verliert, vor allem dann, wenn der Ball öfter mal eben nur knapp am Tor vorbei ging, wenn zwar Tore erzielt wurden, der Stürmer aber vorher knapp im Abseits stand oder den Ball mit der Hand gespielt hat. Der Fußball ist davon aber nicht bedroht.

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Wer hat hier beraten? (Bild: Christian Holl)

Ohne Regeln geht es nicht

Regeln setzen Grenzen. Das ist beim Fußball so, beim öffentlichen Äußern von Meinungen und eben auch bei der Architektur. Da gibt es sicher einige absurde Regeln, über die man nachdenken dürfte, jeder Architekt kann davon ein trauriges Lied singen. Traurig ist das Lied aber auch, wenn Regeln abschafft werden sollen, so etwa die verbindlichen Mindestsätze der HOAI. Diese hatten zum Ziel, Preisdumping zu verhindern und damit den Wettbewerb über die beste Lösung eben nicht über den Preis zu führen, sondern über das, was man als Qualität zu definieren im gleichen Zuge aufgefordert war. Die Mindestsätze wurden dann vom EuGH erstaunlicherweise auch nicht gekippt, weil ein Preiswettbewerb doch eine einfachere und weniger schwammige Angelegenheit ist, sondern weil bei uns Menschen Planungsleistungen erbringen dürfen, ohne dafür qualifiziert zu sein. Eine Rechtsberatung darf nicht jeder gegen Honorar anbieten, eine Bauberatung allerdings schon. Entsprechend sieht es bei uns aus.

Eine Regel lautet auch, dass man sich an das halten sollte, was man selbst vorher als Regel aufgestellt hat. Man kann nicht einfach irgendjemanden berufen, wenn man vorher festgelegt hat, was der zu Berufende können muss und das dann auf den Berufenen nicht zutrifft. Aber wie wir seit der Erfindung des Bauakademie-Florians-Prinzips wissen, geht das eben doch. Man sieht, dass es bei Regeln unter anderem darum gehen könnte, dass Macht nicht missbraucht wird. Die Berufungskommission hatte im Fall des Gründungsdirektoriums der Bauakademie einfach weitergespielt, obwohl der Ball schon lange im Aus war. Und kein Schiedsrichter hat das miese Spiel abgepfiffen. Entscheiden Sie selbst: Wer oder was ist nun bedroht? Kleiner Tipp: Die Meinungsfreiheit ist es auch hier nicht.

Eine Regel, die festlegt, was man mit den Häusern, die schon stehen, machen darf oder nicht, wird unter anderem mit dem Denkmalschutz geregelt. Der hat ebenfalls bestimmte Regeln zu erfüllen, damit er wirksam wird. Unter anderem ist streng reglementiert, wer wie was unter Denkmalschutz stellen darf. Das hilft er bei der Qualitätsdiskussion ungemein, denn damit sind weder Lieschen Müller oder Max Mustermann mit ihrer Meinung gefragt. Der Denkmalschutz sichert unter anderem, dass wir uns nicht irgendwann darüber ärgern, etwas abgerissen zu haben, weil das, was statt dessen dort errichtet wurde, viel hässlicher ist. Der Denkmalschutz bewahrt uns davor, dass wir kaum noch Gebäude aus einer vergangenen Zeit finden, Gebäude, die uns helfen, die Geschichte zu verstehen anstatt aus ihr banale Weisheiten abzuleiten.

Werte an sich


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Steht noch. Und unter Denkmalschutz. Das Landratsamt in Karlsruhe am Ettlinger Tor. (Bild: Martin Kraft; Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Der Denkmalschutz ist eine kulturelle Aufgabe, weil er uns hilft, uns in einem größeren Ganzen zu verorten. Er hilft uns dabei, herauszufinden, wer wir sind, wer wir sein wollen und wie man sich darüber sinnvoll unterhalten kann. Das ist ein Wert an sich. Man kann darüber streiten, ob man diesem Wert ein Recht einräumen will oder nicht. Ob man Fußball spielen will oder nicht. Was aber nicht geht, ist nach der „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Strategie immer mal wieder so zu tun, als gehöre es zu diesem Wert, den Denkmalschutz gerade so herzunehmen, wie man ihn braucht und ihn auch in Frage zustellen, weil es einem gerade in den Kram passt. Und wie bei der Bauakademie beim Spiel die Regeln zu ändern und einfach eine Alternative in den Ring zu werfen, die die bisherigen Regeln bricht.

Im Klartext: Wenn die öffentliche Hand ihr unter Denkmalschutz stehendes Gebäude abreißen will, dann unterläuft sie die von ihr selbst aufgestellten Regeln und ihre kulturelle Selbstverpflichtung. In Karlsruhe geht das gerade so: Man lässt eine Sanierung und als Alternative zu dessen Abriss und Neubau prüfen. Es geht hier um den denkmalgeschützten Bau des Landratsamts. Das nun eingeleitete Verfahren ist vielleicht immer noch besser als der vom Landkreis zunächst geforderte Abriss, aber viel besser ist er nicht. Damit hat man eigentlich schon kapituliert, denn der kulturelle Wert wird auf eine ökonomische Entscheidung heruntergebrochen und auf sie reduziert. Die „Wird man ja wohl noch fragen/sagen/behaupten“- Strategie – sprich, das dreiste Ansinnen des Landkreises, das Haus abzureißen, trägt Früchte. Besondere Ironie: Die Denkmalbehörde würde, sollte es soweit kommen, ihren eigenen Sitz abreißen. Und so die eigene Position schwächen, wenn es um Verhandlungen mit privaten Bauherren geht: Wie sollte man die zu etwas verpflichten, was man selbst nicht einhält?

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Und das werden sie auch, wenn es sich nicht rechnet. (Bild: Christian Holl)

In irgendeiner Architekturzeitschrift las ich neulich die dümmliche Headline, dass sich Schönheit rechne. Das klingt wie „Sex sells“ für Studierte. Mag sein, dass man sich manchmal solcher U-Boot-Argumentationen bedienen muss – aber doch nicht bei denen, die für die Schönheit verantwortlich sein sollten, was auch immer sie dann darunter fassen wollen. Wenn Schönheit, oder Denkmalschutz, oder Ausschreibungsfairness oder Meinungsfreiheit nur noch gilt, weil es sich rechnet, dann sind all diese Dinge nicht mehr viel wert.

Man stelle sich doch einmal vor, es würde irgendwann behauptet, dass es sich rechnet, die Würde des Menschen zu achten. Die Würde des Menschen zu achten ist eine Regel, die sicherstellt, dass sie geachtet wird, auch und gerade wenn ich den Menschen nicht kenne oder nicht mag oder er Regeln verletzt hat. Es ist so eine Art gesellschaftliche Zärtlichkeit. Zu ihr gehört, dass man die Würde nicht antasten darf. Also auch dann nicht, wenn man nachweisen kann, dass sich das rechnet.