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Wege in die Transformation

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Wie kommen wir bei der dringend notwendigen Transformation der Städte voran? Wie kann eine aktive Stadtpolitik vorausschauend absehbare Entwicklungen berücksichtigen und das Gemeinwohl stärken? Zwei Publikationen werfen einen Blick auf Gebäude und Areale, die schon jetzt oder sehr bald nicht mehr wie geplant gebraucht werden. Und eine neue Publikation zeigt einmal mehr, wie dringend eine andere Bodenpolitik ist – für die Stadt und für das Land.

Vor kurzem sind zwei Bücher erschienen, die sich dem Potenzial widmen, das sich Städten mit nicht mehr gebrauchten Gebäuden und Arealen bietet – die obsolet geworden sind. Sie gehen auf dasselbe Projekt zurück. 2019 hatte die Robert-Bosch-Stiftung Wissenschaftler:innen eingeladen, ihre Vorstellung zukünftiger Stadtentwicklung zur Diskussion zu stellen, eine starke Idee vorzustellen, „wie sich Stadtgesellschaften durch soziale Innovationen lebenswerter und nachhaltiger gestalten lassen.“ Daraus entstand das Projekt „obsolete Stadt“ der Universität Kassel, Fachgebiet Städtebau, dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und dem Kompetenzzentrum Social Urban Design der Hochschule Niederrhein mit vier weiteren Forschungspartner:innen anderer Hochschulen. Der Abschlussbericht der über drei Jahre verfolgten Forschung ist im Internet frei zugänglich.

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Stefan Rettich / Sabine Tastel: Die obsolete Stadt. Wege in die Zirkularität. 408 Seiten, 150 farbige Abb., 14 x 21 cm, 38 Euro
Jovis Verlag, Berlin, 2025

Warum also noch zwei separate Buchprojekte? Eine Antwort findet sich im Vorwort der ersten Veröffentlichung „Die obsolete Stadt“ von Stefan Rettich und Sabine Tastel von der Universität Kassel: Hier wird dargelegt, dass Teile der Publikation neu gefasst und recherchiert wurden. Das betrifft das Kapitel 1, das immerhin etwa die Hälfte des Buchs umfasst. Es widmet sich den theoretischen Grundlagen des Themas. Zudem wurde dieser theoretische Ansatz in 12 Grundsätzen verdichtet. Und es sind Ergebnisse weiterer Forschung eingeflossen.

Worum geht es? Die Stadt ist permanenten Veränderungen unterworfen. Neue Wirtschafts- und Handelsformen, Kommunikations- und Verwaltungstechniken ändern sich, die Zusammensetzung der Stadtgesellschaft und kulturelle Praktiken ebenso. Dabei entstand – seit Beginn der Stadtgeschichte – die Diskrepanz aus der Nutzung, für die eine Gebäude gebaut wurde und der, die später tatsächlich gefragt war: Obsoleszenzen. Diese Entwicklungen sind für die heutige Stadt von großer Relevanz, sie öffnen neue Räume der Aneignung, Umnutzung, Neubewertung. Es wird abgerissen, umgenutzt, in Teilen wiederverwendet, Material receycelt.

Im ersten Kapitel werden die verschiedenen Formen von Obsoleszenzen differenziert: funktionale, geplante, psychologischenund qualitative. Gründlich werden Megatrends, aktuelle Entwicklungen, Typen des Obsoleten vorgestellt und schließlich auch Politikfelder und Instrumentarien eingeschlossen, um mit diesen Entwicklungen umzugehen. Es werden die „Obsentials“ eingeführt, obsolete Typen mit dem Potenzial zur Transformation. 16 solcher Obsentials werden vorgestellt: Vom Ladenlokal über Shoppingmall, Industrieareal, Parkplatz bis zum Friedhof und der Kirche. Als Nuggets werden Perspektivräume der Stadt bezeichnet, in denen Neuprogrammierungen einzelner Gebäude eine Kaskade an Veränderungen in der Umgebung hervorrufen – genauso wie es Folgen hat, wenn ein Gebäude aus der Nutzung fällt.

Hier wird deutlich, dass es nicht um die Kreislaufwirtschaft im Bauen geht:

Der wichtige Schritt, der in diesem Buch gefordert wird, ist der Schritt von der Bauwende zur Stadtwende: Nicht Materialien sollen zirkulieren, sondern Nutzungen. 

Wie groß das Potenzial einer solchen Verschiebung ist, wird in weiteren Teilen des Buchs am Beispiel Hamburgs und eines exemplarischen Gebiets im Stadtteil Stellingen deutlich gemacht – es ist größer als vermutet. 44 Prozent der Büroflächen könnten bis 2030 betroffen sein, 41 Prozent der Friedhofsfläche, jede dritte noch betriebene Tankstelle. Die Systematik, die zu dieser Erkenntnis führt, legt nahe, daraus stadtstrategischen Honig zu saugen. Das geht aber nur, wenn die Potenziale systematisch erfasst, wenn eine Stadt also auch weiß, welche Potenziale sie tatsächlich hat – und dass sie für Gemeinwohl und städtische Transformation gesichert werden. Das gelingt nur, wenn, wie Sabine Tastel und Stefan Rettich fordern, die vielen losen Fäden zu einer Gesamtstrategie einer groß angelegten Gebäudetransformation zusammengebunden werden.



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Anamarija Batista / Julia Siedle: Rethinking Obsolete Typologies. Transformation Potentials and Scenarios. 288 Seiten, 230 farbige Abb., 17 × 24 cm, englisch, 54 Euro
Birkhäuser Verlag, Basel, 2025

Die zweite Publikation zum Thema der Obsoleszenz wurde von Anamarija Batista und Julia Seidle verfasst, zwei der vier Forschungspartner:innen im Forschungsprojekt „obsolete Stadt“. Auch sie stellen ihrem Buch eine Einleitung voran, die allerdings andere Schwerpunkte setzt. Sie weist auf die Fragwürdigkeit „ökologischer Obsoleszenz“ hin die den Abriss wegen veralteter Gebäudetechnik nahelegt, und nehmen den Begriff der „Goldenen Energie“ in die Diskussion auf:

Es geht nicht nur um die Emissionen und Baustoffe, sondern auch um Geschichte, Kultur, Erinnerung, um immaterielle Werte.

Es wird darauf verwiesen, dass der Umgang mit veralteten Gebäuden der letzten Jahrzehnten ein geschichtlicher Ausnahmefall ist.

Daraus wird deutlich, dass hier der Fokus ein anderer ist. Hier geht es tatsächlich darum, wie man Gebäude umnutzen kann. Der Hauptteil dieses Buches untersucht detailliert neun Gebäudetypen auf Qualitäten, Potenziale, Möglichkeiten einer Neunutzung und Programmierung für das Gebäude selbst wie für das direkte Umfeld. Verschiedene Häuser für den Handel, Kaufhäuser, Shopping Center, Bürogebäude, Tankstellen, Friedhöfe werden dafür erfasst; auch hier ist Hamburg der Untersuchungsraum, aus dem die Beispiele und Vertiefungen bezogen werden. Versiegelungsgrad, Grundstücksausnutzung, Größe der erfassten  Gebäuden werden dargestellt, im Gesamten hat das etwas von Fleißarbeit, da das Buch sicher nicht dazu gemacht wurde, Interessenten beispielsweise für die Umnutzung von Hamburger Parkhäusern zu finden.

Um zu überzeugen, dass hier Potenziale bestehen, die man nicht brachliegen lassen sollte, sind die vorgestellten Beispiele für Umnutzungen daher von größerem Wert, auch die skizzenhaften Umnutzungsalternativen zeigen, welche Potenziale der Innenentwicklung bestehen. Das Buch endet mit einer kurzen Einschätzung darüber, welche Aspekte für die Umnutzung wichtig sind und angegangen werden müssen. Sie reichen von der Bedeutung und möglichen Transformation des öffentlichen Raums und des Raums, den ältere Gebäude für gemeinschaftliche Nutzung zur Verfügung gestellt haben, bis hin zur Frage der Vorschriften und Finanzierungsmodelle, die nicht von der Wiederverwendung von Häusern und Material ausgehen. Experimente müssen dann genauso gewagt werden wie sich übliche Planungsabläufe und -hierarchien ändern müssen.



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Isabel Feichtner / Susanne Heeg / Anne Klingenmeier / Gesine Langlotz / Katja Schubel (Hg.): Stadt – Land – Boden. Verbindende Bodenpolitik zwischen Stadt und Land. 410 Seiten, 28 Euro
Transcript Verlag, Bielefeld, 2025
Open Access

Wenn die in den beiden ersten hier vorgestellten Büchern eingeforderten städtischen Strategiewechsel vollzogen werden sollen, braucht es auch eine andere Bodenpolitik. Dass der Bedarf einer solchen anderen Politik aber nicht auf den städtischen Raum beschränkt bleiben darf, zeigt der Sammelband Stadt – Land – Boden. Er geht auf einen Workshop zurück, der Ende 2023 in Hamburg stattfand.

Sehr eindringlich wird in der darauf zurückgehenden Publikation dargestellt, warum sich die Bodenpolitik ändern muss: Die Ausbeutung des Bodens zugunsten von Kapitalinteressen erzeugt Ungerechtigkeit und Leid, beschleunigt die Klimakrise, trägt zur immer stärker abnehmenden Biodiversität bei.Im Konflikt zwischen Privateigentum und Gemeinwohlverpflichtung ist der Schutz des Privateigentums bislang immer den gemeinwohlfördernden Aspekten übergeordnet worden. Wenn es je anders war, zeigt sich aber, dass heute die Vorstellung, Privateigentum werde sorgfältiger gepflegt als das vergemeinschaftete, nicht mehr gilt: „Privateigentum an Boden ist keinesfalls ein Garant für eine sorgsamen Umgang mit Boden“, so bilanziert Isabel Feichtner in der Einleitung. Und das gilt nicht nur für den städtischen Boden, der viel zu oft der Renditemaximierung unterworfen ist, sondern auch dem ländlichen. Hingewiesen wird darauf, dass die Nutzung des Bodens vom Privateigentum auch hier schon bedenklich stark von seiner Nutzung entkoppelt ist: etwa 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen werden verpachtet. So unterschiedlich wie oft dargestellt seien die Bodenverhältnisse in der Stadt und auf dem Land nicht. Feichtners Schluss daraus:

„Erfreulich fruchtbar ist es, gemeinsam an dem Thema Boden zu arbeiten und sich gegenseitig zu stärken.“

Für den, der mit der Bodendiskussion bereits vertraut ist, wird dieser Band ein Update bieten; aktuelle Instrumente (wie der Baulandbeschluss in Frankfurt), Initiativen und Genossenschaften werden vorgestellt (etwa auch die BIoBodengenossenschaft, die selbst ein landwirtschaftliches Unternehmen ist und so für den Ankauf von Bodenflächen in einer privilegierten Position ist), der Kontext zur EU_Agrarpolitik wird hergestellt, diskutiert wird, wie der Schutz des persönlichen Eigentums, aber auch Nutzungsrechte gegenüber dem Schutz von Eigentum als Kapitalanlage gestärkt werden können, damit tatsächlich die gefördert werden, die den Boden bewohnen, bewirtschaften, pflegen. Für alle, die sich bisher nicht oder nur wenig mit dem Thema beschäftigt haben, bitet der Band einen fundierten Einstieg. Und vielleicht schaut sich der ein oder die andere die genanten Genossenschaften, Vereine, Initiativen so genau an, dass er sich dazu durchringen kann sie, mit seinem Eigentum zu unterstützen und damit unabhängig von gesetzlichen Regelungen seinen Gemeinverpflichtungen nachzukommen. Durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen etwa.