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Fünf Räume für ein Halleluja

Ausstellungsansichten Save Land

Ausstellungsansicht „Save Land. United for Land“, Bonn. (Foto: David Ertl, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Die Ausstellung „Save Land“, die die Bundeskunsthalle in Bonn noch bis 1. Juni dieses Jahres zeigt, spannt geschickt einen Bogen zwischen Denkräumen, die individuell und subjektiv gefüllt werden können, und konkreten, niedrigschwelligen Handlungsempfehlungen zum Schutz der Erdoberfläche.

Die Zahlen allein sind ebenso beeindruckend wie in letzter Konsequenz auch bedrückend. Nur 29 Prozent der Erdoberfläche sind nicht von Wasser bedeckt und kommen überhaupt als Lebensraum für uns Menschen in Frage. Zieht man die Wüstenflächen ab, wird es noch einmal weniger – rund 40 Prozent aller Böden weltweit gelten heute als verödet, können also auch nicht genutzt werden. Der Grund für diese Verödung ist in vielen Fällen unsere Art und Weise zu wirtschaften und damit die Grundlage unseres Lebens, den Boden nämlich, zu übernutzen. Jedes Jahr kommt eine Fläche zerstörten Landes hinzu, die dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Jährlich also werden 100 Millionen Hektar gesunder und produktiver Böden vernichtet. Wer sich fragt, wie sogenannte illegale Migration gestoppt werden kann, könnte auch mit Blick auf derlei „Fluchtursachen“ erkennen, dass die Renaturierung unserer Böden von „höggschder Dringlichkeit“ ist, wie ein ehemaliger Fußballbundestrainer vielleicht gesagt hätte. Dringlich für uns selbst, für unsere Versorgungssicherheit, für die Artenvielfalt und letztlich das Weltklima.

Interaktive Elemente, Kunst und wissenschaftliche Informationen finden in der Ausstellung „Save Land. United for Land“ zusammen, Foto: David Ertl, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Interaktive Elemente, Kunst und wissenschaftliche Informationen finden in der Ausstellung „Save Land. United for Land“ zusammen, Foto: David Ertl, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Die Ausstellung „Save Land“ zeigt noch bis zum 1. Juni 2025 in der Bundeskunsthalle in Bonn das ganze Dilemma auf, ergeht sich aber nicht in Endzeitstimmung oder moralinsaurem Zaunpfahlgewinke. In fünf Räumen ist das Thema überraschend und dadurch angenehm niedrigschwellig aufgearbeitet. Jedem ausführlichen Einleitungstext der Unterabteilungen der Schau ist ein Text in einfacher Sprache zugeordnet. Dabei versammelt die Ausstellung zeitgenössische Kunst ebenso wie den naturwissenschaftlich fundierten Stand der Dinge, verbindet Skulptur, Fotografie, Infografiken, Videos, Animationen und interaktive Ausstellungsobjekte zu einem Erlebnis für alle Sinne – „immersiv“ heißt das heute.

Grundlegend konkret und individuell erschließbare Denkräume


Interaktiver Globus „Land global“, 2024 © dform/Bildwerk, Wien

Interaktiver Globus „Land global“, 2024 © dform/Bildwerk, Wien

Der erste Raum widmet sich dabei generell unserer Lebensgrundlage und erläutert unter dem Titel „Land ist Leben“, was das Wort „Land“ überhaupt bedeutet, welche Böden zur Besiedlung und Bewirtschaftung in Frage kommen und wie viel Zeit es braucht, bis sich derlei Erdböden bilden. Hunderte von Jahren kann das mitunter dauern, unbedachtes menschliches Handeln oder Extremereignisse – auch und vor allem durch den menschengemachten Klimawandel ausgelöst – können sie jedoch in wenigen Minuten vernichten. Schon hier, zum Auftakt der Ausstellung, wird deutlich, dass es – um unsere Böden zu schützen – auf Wissen ankommt, auf Erkenntnisse aus Naturwissenschaften, der Kulturgeschichte, Soziologie und politischen Ökonomie – vor allem aber auch auf lokales, indigenes Wissen.

Im Folgeraum wird einmal mehr deutlich, welchen Einfluss Architektur und Stadtplanung auf den Erhalt unseres Lebensraums haben. Mehr als acht Milliarden Menschen leben heute auf der Erde, mehr als die Hälfte davon ballen sich auf nur zwei Prozent der Erdoberfläche: in Städten. Bis 2050 werden nach aktuellen Schätzungen zwei Drittel der Menschheit in dieser Siedlungsform zusammengefunden haben. Die Natur ist in ihnen hochgradig gestört, die Böden versiegelt, das Verkehrsaufkommen hoch und die Bebauung dicht. Neben sozialer Gerechtigkeit, das macht die Ausstellung klar, brauchen wir weitere Ideen, wie wir das Klima in den Städten lebenswert halten und gleichzeitig Widerstandsfähigkeiten gegen Hitze und Trockenheit auf der einen und starke Regenfälle auf der anderen Seite entwickeln, ohne dabei die Frage nach der Nahrungsmittelproduktion aus dem Blick zu verlieren.

Liam Young, Planet Stadt, 2021 © Regie und Design: Liam Young with VFX Supervisor Alexey Marfin

Liam Young, Planet Stadt, 2021 © Regie und Design: Liam Young with VFX Supervisor Alexey Marfin

Tierische Erzeugnisse, die im ländlichen Raum produziert werden – und wer die Bilder der Farmen weltweit kennt, weiß, dass „Produktion“ das treffende Wort ist – decken weltweit 18 Prozent der verbrauchten Kalorien, nehmen dafür aber, auch durch die Futtermittelproduktion in der Viehzucht, mehr als die Hälfte der zur Verfügung stehenden Flächen in Anspruch. Pflanzliche Produkte dagegen liefern eindrucksvolle 82 Prozent der weltweit verbrauchten Kalorien, nur 39 Prozent der Böden verwenden wir für ihren Anbau. Mit Monokulturen und dem Einsatz von Chemikalien führt die moderne Landwirtschaft dennoch dazu, dass wir die Böden nach und nach genauso verbrauchen wie andere Güter. Global gehen 80 Prozent der Entwaldung, 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs und 29 Prozent der Treibhausgasemissionen auf das Konto der Lebensmittelproduktion. Sie ist damit die Hauptursache für den Verlust der Artenvielfalt, der hinzukommende Abbau von Rohstoffen führt zu einer zusätzlichen Zerstörung von Land.

Der dritte Teil der Bonner Ausstellung illustriert, dass wir das aktiv ändern können, wenn wir den tatsächlichen Nährwert der hergestellten Erträge pro Hektar ebenso bemessen wie die Kosten und Vorteile für Umwelt und Gesellschaft. Dankenswerterweise bleiben die Kurator:innen hier nicht im anklagenden Duktus des Aufzählens unserer gesamtgesellschaftlichen Versäumnisse, sondern zeigen konkretes Gelingen und führen Beispiele ins Feld, wie und wo es anders geht.

Ermunterung statt ermüdender (Selbst-)Anklage


Julius von Bismarck, I like the flowers, 2023 © Julius von Bismarck; VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy: der Künstler und Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Roman März

Julius von Bismarck, I like the flowers, 2023 © Julius von Bismarck; VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy: der Künstler und Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Roman März

Dass nur noch 23 Prozent, weniger als ein Viertel der bewohnbaren Oberfläche unseres Planeten, heute noch als nahezu unberührte Natur eingestuft werden können, zeigt der Folgeabschnitt. Wir  neigen dazu, derlei Naturräume zu romantisieren – das alleine hilft aber wenig. Denn vor allem ist der Schutz dieser Räume eine zentrale Stellschraube im Kampf für den Erhalt einer Umwelt, die uns als Menschheit ein sorgenfreies Leben weiterhin ermöglicht. Gelingt es, die Entwaldung zu stoppen, würde der Erhalt der Artenvielfalt ebenso einfacher werden wie der Kampf gegen den Klimawandel.
Kiki Grammatopoulos, Rewild the Run (Part 2), 2024; Foto: Tom Mannon

Kiki Grammatopoulos, Rewild the Run (Part 2), 2024. (Foto: Tom Mannon)

Mit fünf einfachen Handlungsanweisungen entlässt die Ausstellung ihre Besucher:innen schließlich konsequent bodenständig: „Schärfen Sie Ihre Aufmerksamkeit für das Thema und informieren Sie sich“, „Unterhalten Sie sich mit anderen über das Thema und teilen Sie Ihre Erfahrungen“, „Treten Sie für das Thema ein, zum Beispiel durch die Teilnahme an Kampagnen“, „Ändern Sie Ihr Verhalten und Ihre Einstellungen im Alltag“ und „Werden Sie aktiv für die Renaturierung geschädigter Böden tätig“. Das liest sich im Vergleich zu den sonst allzu erdrückend wirkenden Daten und Fakten wiederum recht machbar, das riesig anmutende Problem erscheint handhabbar.
Die künstlerischen Arbeiten ergänzen die konkreten Daten dabei kongenial und erweitern die wissenschaftlichen Fakten immer wieder aufs Neue zu Denkräumen, die Jede und Jeder für sich erschließen und füllen kann. Dass es dabei nicht bedrückend bleibt, sondern eben auch beeindruckend wird, ist die große Stärke der Schau. So und durch die Sammlung positiver Beispiele aus allen Teilen der Erde gelingt der Ausstellung der Spagat zwischen eindringlicher Mahnung und motivierendem Ausblick.
Ganz bodenständig: Mit einfachen Ideen, das eigene Handeln zu hinterfragen und zu ändern sowie verschiedenen Beispielen der gelingenden Änderungen entlässt die Schau die Besuchenden mit einer positiven Grundstimmung

Ganz bodenständig: Mit einfachen Ideen, das eigene Handeln zu hinterfragen und zu ändern sowie verschiedenen Beispielen der gelingenden Änderungen entlässt die Schau die Besuchenden mit einer positiven Grundstimmung. (Foto: David Ertl, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)


Save Land – United for Land

bis 1. Juni 2025
Eintritt 13 Euro, ermäßigt 6,50 Euro, Eintritt frei bis einschließlich 18 Jahre
Di–So 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Museumsmeile Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn
www.bundeskunsthalle.de/saveland