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Drei Bücher zur Architektur(theorie) in medial und wissenschaftlich prekären Zeiten


Horst Bredekamp, Wolfgang Schäffner (Hrsg.): Haare hören – Strukturen wissen – Räume agieren. Berichte aus dem Interdisziplinären ‚Labor Bild Wissen Gestaltung‘. 216 Seiten, Transcript Verlag, Bielefeld 2015. ISBN 978-3-8376-3272-9 | 34,99 Euro

Das Buch ist ein Tagungsband, der in einem „Exzellenzcluster“ der Humboldt Universität erarbeitet wurde. Nicht mehr was das Bild ist, wird hier untersucht, sondern welche Bildtechniken vor allem in den Wissenschaften zu analysieren sind. Konkret werden zum Beispiel Methoden der morphologischen Biologie eingesetzt, um vegetabile Ornamentsysteme der Gotik zu untersuchen. Auch, wie beispielsweise Bilder ärztliche Diagnosen und Entscheidungen prägen, macht die Relevanz solcher Fragen deutlich.
Sprachlich sind einige Holprigkeiten zu beklagen, die Zweifel an editorischer Sorgfalt aufkommen lassen: „Die Herausforderung besteht nun darin, aus diesem differenten, additiven, multidisziplinären Wissenswissen und Strukturwissen ein integratives, interdisziplinäres Wissenswissen und Strukturwissen zu entwickeln, welches die Grundlage für ein neues Denken von Wissensstrukturen bildet.“ (Michael Dürfeld). Was nun Architektur dazu beitragen kann, legt der Autor am Beispiel des Mauerns dar, aus dessen Praxis die Begriff „Struktur“ hervorgegangen sei und dem vier Wissensbereiche, drei Wissensformen und zwei Wissensformate zugrunde lägen. Es geht dem Autor letztlich um eine „transdisziplinäre Strukturengeschichte“, die aus dem „Zusammenspiel eines geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Stukturalismus und einer naturwissenschaftlich-analytischen Strukturforschung mit dem gestalterisch-synthetischen Strukturwissen der Architektur“ entworfen werden könne. Am konkreten Beispiel, wie Roboter für das Mauern eingesetzt werden können, lässt sich die Tauglichkeit dieses methodischen Konstrukts jedoch nur bedingt nachvollziehen.
Philipp Oswalt argumentiert in seinem Beitrag „Wissen – Nichtwissen – Entwerfen“ anders: Gestaltung als Synthese sei gerade dann produktiv, „wenn wir den Eigensinn der unterschiedlichen Wissenskulturen und Arbeitsweisen – nämlich von Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Entwurfsdisziplinen – stärken und in ein dialogisches Spannungsfeld setzen, anstatt auf Basis durchaus bestehender Ähnlichkeiten eine große Gemeinsamkeit zu konstruieren versuchen“. Darauf ziele ein guter Teil der über 50-jährigen Debatte des „Design Research“, die es zu hinterfragen gelte.


Marius Rimmele, Klaus Sachs-Hombach, Bernd Stiegler (Hrsg.): Bildwissenschaft und Visual Culture. 352 Seiten, Transcript Verlag, Bielefeld 2014. ISBN 978-3-8376-2274-4 | 24,99 Euro

Der Band erschien in der Reihe „Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften“ und versammelt Grundlagentexte zu Bildwissenschaft und Visual Culture in fünf Kapiteln. Während die – vor allem von Gottfried Böhm oder Horst Bredekamp verfolgte – Bildwissenschaft eine grundlegende Theorie des Bildes thematisiert, werden in der von Mitchell vertretenen Visual Culture eher kulturkritische Züge entwickelt, weil es nicht zuletzt um gesellschaftliche Bildpraktiken geht – also darum, wer was warum mit einem Bild macht. Bilder, so die Herausgeber, sind aus der Deutungshoheit der Kunstgeschichte heraus und inzwischen „evereybody’s darling“ in vielen Wissenschaften – ob es nun traditionsreiche Natur- und Technikwissenschaften oder junge Medienwissenschaften sind.
Für Architekten sind die hier vorliegenden Grundlagentexte insofern von Interesse, als dass einerseits die mediale Präsenz für sie in ihrer Praxis immer wichtiger wird, andererseits das Denken und Arbeiten in Bildern – ob in Diagrammen, Skizzen, Computermodellen oder Werbefotografien – durch die Digitalisierung immer komplexer werden. Die Gefahr, in diesem Kontext die Codierung von Bildern falsch einzuschätzen, ist groß.
Die thematische Struktur der Textsammlung lässt nun keinen Zweifel an ihrem wissenschaftlichen Anspruch zu: 1. Iconic und Pictorial Turn erklären sich in Beiträgen von Gottfried Böhm und W.J.T. Mitchell; 2. Bildtheorien werden mit Texten von Nelson Goodman und Bernhard Waldenfels und Richard Wollheim erklärt. Was 3. unter Visual Culture Studies zu verstehen ist, erläutern Essays von Irit Rogoff, Nicholas Mirzeoff und dem Duo Marita Sturken / Lisa Cartwright. 4. Die Spannung zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaften erhellen Schriften von Aby Warburg, Hans Belting und Horst Bredekamp; 5. Bilder zwischen Wahrnehmungs- und Wissenschaftsgeschichte erklären Jonathan Crary, Ludwik Fleck sowie Lorraine Daston mit Peter Galison.
Der fünfte Abschnitt mit Texten zur Bild-, Wahrnehmungs- und Wissenschaftsgeschichte ist im Kontext der Architektur-, Stadt- und Partizipationsentwicklung auch separat lesenswert, weil es um die verschiedenen, intentionalen und rezeptiven Wirkungsweisen von Bildern geht. Die Geschichtlichkeit der Wahrnehmung spielt hier eine maßgebliche Rolle, die keineswegs neu ist, ihre massenmediale Umsetzung auch nicht – aber hier leuchtet die Relevanz des Internet auf, das im Missbrauch von Bildern und Nachrichten derzeit seine ursprüngliche Heilsbotschaft verliert. Schließlich geht es um die Deutungsmuster kollektiver Wahrnehmung, die Ludwik Fleck (1896-1961) zu wissenschaftstheoretischen Überlegungen veranlasst. Ein Mangel der Publikation darf gerade hier nicht verschwiegen werden: Es ist mühsam, die wissenschaftlich verwertbaren Erscheinungsdaten – Datum, Titel, Sprache – der Texte zu finden. Für jede Bewertung von Geschichtlichkeit sind solche Angaben unerlässlich.


André Tavares: The Anatomy of the Architectural Book. 400 Seiten, engl. Text, Lars Müller Verlag, Zürich 2016. ISBN 978-3-03778-473-0 | 40 Euro

Was wird derweil aus dem Architekturbuch in Zeiten des Internet? Dieser Frage geht der Autor auf der Grundlage des Bestands im Canadian Centre for Architecture auch rückblickend nach. Wie und warum in Büchern Wissen über Architektur vermittelt wird, ahnt man, wenn man an Le Corbusiers „vers uns architecture“ von 1923 oder Rem Koolhaas‘ „S, M, L, XL“ denkt. Die Beziehung von Architekten zu Büchern ist meistens weniger von Neugier auf kluge Texte geprägt als vom Gefallen an einem eindrucksvoll gestalteten, materiellen Gegenstand. Corbusier und Koolhaas ging es – ähnlich wie den Autoren mancher Bauhaus-Bücher – um bisweilen auch polemische Einmischung in den Architekturdiskurs, in üblichen Fällen spielt die angemessene Präsentation des eigenen Werks die Hauptrolle.
Der im Buch ausgebreitete Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte des Architekturbuchs ist kurzweilig und informativ. Im Epilog kommt schließlich Victor Hugos 1831 erschienene Novelle „Notre Dame de Paris: 1482“ zur Sprache: „Ceci tuera cela. Le Livre tuera l’édifice“ – „Das Buch tötet das Bauwerk“ lautet eine der Botschaften. Das Buch habe seit dem 15. Jahrhundert Architektur als „Vehikel“ menschlichen Wissens nach und nach entmachtet. Dem widerspricht aber die These, dass beispielsweise Henri Labroustes Fassade der Bibliothèque Saint-Geneviève doch wie eine „Drucksache“ wirke. In vielen Beispielen wird deutlich, dass gerade Architekturbücher im Gestaltungsansatz Aspekte dessen spiegeln, was sie vermitteln sollen.