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Die Werkssiedlungen von Krupp in Essen, Eisenheim in Oberhausen oder das Postdörfle in Stuttgart sind als Arbeitersiedlungen zwar bekannter, aber einige der größten, inzwischen denkmalgeschützten Kolonien entstanden in Ludwigshafen am Stammsitz der BASF, die der Chemie-Konzern bis heute pflegt und weiterentwickelt. Wohnen und Arbeiten, ohne Pendlerpauschale.


Ludwigshafen ist keine schöne Stadt. Immerhin hat sie kulturell einiges zu bieten, mit dem Kultursommer und dem Filmfestival auf der Parkinsel beispielsweise lenkt sie regelmäßig von ihrer Befindlichkeit ab. Und ist offenbar nicht beleidigt, wenn man ihr leergelaufenes marodes Zentrum und die aktuellen oder geplanten Abrisse von Großbauten und Hochstraßen aufzählt. Im Gegenteil: Ludwigshafen kokettiert damit und gibt mit den Germany’s Ugliest City Tours Gelegenheit, sich an seinem unverwechselbaren städtischen Grusel zu weiden. Die Themenführungen begleitet der Architekt Helmut van der Buchholz.
Sollte einen das Schicksal zwingen, es in der Stadt länger aushalten, sprich wohnen zu müssen, käme das Rheinufer in Frage. Oder der Stadtteil Friesenheim. Da sehen wir uns jetzt einmal um.

Friesenheim

Von der bauhistorischen Erbmasse aus dem 8. Jahrhundert ist hier nichts mehr erhalten. Ludwigshafen, entstanden aus einer Rheinschanze, ist eine Gründung des 19. Jahrhunderts, als die Pfalz zu Bayern gehörte und mit der gleichzeitig auf dem linken Flussufer errichteten Badischen Anilin- und Sodafabrik diese neue Ansiedlung ihren Lebensnerv erhielt. Denn immer, wenn von der Stadt die Rede ist, muss man BASF mitdenken. Selbst Ernst Bloch und Helmut Kohl, die hier geboren sind, gaben davon Zeugnis.

Die Fichtesiedlung im Ludwigshafener Stadtteil (Foto: Wolfgang Bachmann)

Die Fichtesiedlung im Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim (Foto: Wolfgang Bachmann)

Unsichtbare Bauphysik, neue Grundrisse

Spaziert man durch Friesenheim, noch weit von den Werkstoren entfernt, befindet man sich bereits im Interessengebiet des Unternehmens. Bereits 1872 hatte die BASF im benachbarten Stadtteil Hemshof begonnen, Werkswohnungen zu bauen, um die Abwanderung von Arbeitern wegen fehlender Verkehrsverbindungen zur Fabrik zu bremsen und sie an ihren Arbeitgeber zu binden. 1926 wird dazu die GEWOGE gegründet, die später als LUWOGE firmiert und sich als BASF Wohnen + Bauen GmbH seit einem Jahrzehnt um die Sanierung ihrer denkmalgeschützten Wohnanlagen kümmert. Im Zentrum steht die Fichtesiedlung, eine Blockrandbebauung mit zwei quadratischen Höfen, die das Chemieunternehmen ab 1923 von einem gewissen Baumeister Strang für ihre Angestellten und Beamten hat errichten lassen. Bei der Sanierung der 100 qm großen Wohnungen ist eine Vielfalt unterschiedlicher Angebote zwischen ein und sieben Zimmern entstanden, wobei durch logistisch organisierte Bauabschnitte ein Verbleib der bisherigen Bewohner ermöglicht wurde. Zu den Vorgaben des Projekts gehörte, gleichzeitig Forderungen der Denkmalpflege und Bedingungen einer energetischen Instandsetzung zu erfüllen. Dreifach verglaste Sprossenfenster waren noch die leichtere Übung. Aufwändiger war die Sanierung der Außenwände. Bei den von einem leisen Neobarock geprägten Häusern wurden nur die zu den Hofseiten gerichteten Fassaden mit einem WDVS gedämmt, während die repräsentativen Straßenfronten einen 7 cm dicken Innenputz erhielten. Für die Außendämmung wurde das hauseigene Produkt Neopor verwendet; dabei handelt es sich um einen EPS-Schaumstoff, der mit Graphitstaub angereichert wurde, um den Transport thermischer Energie innerhalb des Materials zu reduzieren. Die Balkone wurden hofseitig als Stahlkonstruktion vorgestellt. Verantwortlich waren die Architekten Humpert & Kösel-Humpert.

Fichte- und Hohenzollernsiedlung; Neubau von *** (Foto: Wolfgang Bachmann)

Fichte- und Hohenzollernsiedlung; Neubau von Hemmes Wirtz (Foto: Wolfgang Bachmann)

Da einer der zerstörten Blöcke nach dem Krieg nur vereinfacht wieder aufgebaut worden war, konnten Stein Hemmes Wirtz nach einem Wettbewerbsgewinn einen Ersatzneubau ergänzen, der mit seinen über die Fassaden irrlichternden Putzfaschen das historistische Ensemble geschickt kolportiert. Die sich im Innenhof in den Untergrund faltenden offenen Parkrampen sind vom gleichen Büro geplant.

Trum

Hermann Trum und Wilhelm Scholler von der GAG mit Markus Sternlieb: die Ebertsiedlung (Foto: Wolfgang Bachmann)

Ein Kapitel Baustilkunde

Bemerkenswert ist, dass das unmittelbare Gegenüber einem anderen, sachlichen Duktus folgt – vergleichbar dem baugeschichtlichen Spagat mit Weißenhof und Kochenhof in Stuttgart. Diese Ebertsiedlung, wenige Jahre später verwirklicht, ordnet sich mit weiß verputzten dreigeschossigen Zeilen und gliedernden Turmbauten in den Stadtgrundriss, öffnet sich im Halbrund zum Ebertpark und markiert mit haushohen Pfeilerportalen die Schwellen zwischen öffentlichem Straßenraum und grünen Innenhöfen. Architektonisch und technisch komfortabel entsprach die Wohnanlage den fortschrittlichen Möglichkeiten ihrer Zeit. Geplant wurde sie unter Mitwirkung der Architekten Hermann Trum und Wilhelm Scholler von der GAG mit ihrem jüdischen Chef Markus Sternlieb, der zuvor als Oberbaudirektor das gesamte Bauwesen der Stadt verantwortet hat. An dieser gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ist die BASF mit 30 Prozent beteiligt. Beim späteren Bauabschnitt in der NS-Zeit wurde die affirmative Moderne aufgegeben, als Hindenburgsiedlung mit einer Adolf-Hitler-Straße folgte die Fortsetzung anderen Prämissen.
Auch dieses Denkmal wurde in den letzten Jahren instandgesetzt. Man könnte mäkeln, dass in der Thermohaut der Fassaden die plastische Bossierung der Eingänge versäuft, aber trauriger ist das bekannte Manko der sich unter dem Putz abzeichnenden (wärmeren) Tellerdübel der Dämmplatten und über den Küchenfenstern die Verschmutzung durch die beim Lüften aufsteigende feuchte Wärme.

An diese bekannten Wohnquartiere schließen weitere Kleinsiedlungen der BASF an. Sie sind wie die Straßen nach bedeutenden Chemikern benannt (Liebig, Wöhler, Bosch, Brunck, Mittasch, Hüttenmüller, Wislicenus, Clemm, Bohn…), einige von ihnen arbeiteten als leitende Angestellte beim Unternehmen. In der Denkmaltopografie der Bundesrepublik (Band 8) heißt es: „Insbesondere anhand des BASF-Werkswohnungsbaus, der einige bedeutende Wohnkomplexe hervorgebracht hat, lässt sich die Entwicklungsgeschichte er Siedlungsarchitektur lückenlos in allen Stilphasen aufzeigen.“ Es lohnt also, sich hier an Heimatstil, Neobarock, Bauhaus und Expressionismus im großen Maßstab zu orientieren, die – leider meist verschlossenen – Kirchenbauten stehen als unverwechselbare Inkunabeln der jeweiligen Epoche dazwischen.

Bunker in Ludwigshafen (Foto: Wolfgang Bachmann)

Bunker in Ludwigshafen, heute eine Event-Location  (Foto: Wolfgang Bachmann)

Erbschaft dieser Zeit

Was man dabei nicht übersehen wird, sind die zahllosen Bunker, die nahtlos an die Wohnbauten anschließend als unheimliche graue Monolithen die Bombardierung überstanden haben. In einer Zeit, in der die Gesellschaft Begriffe wie „kriegstüchtig“ wieder in ihren Mindset aufnehmen soll, können diese martialischen Denkmäler Beklemmungen auslösen. Ludwigshafen galt im Zweiten Weltkrieg als „Luftschutzort erster Ordnung“. Das bedeutete, dass die benachbarten Werkssiedlungen der „Anilin“ – Kern der von den Nazis geförderten, Rüstungsgüter produzierenden I.G. Farben – hervorragende Angriffsziele bildeten. Deshalb sollten die ab 1940 eilig errichteten Hochbunker die Zivilbevölkerung schützen. Sie prägen noch heute das Stadtbild. Manche erinnern an mittelalterliche Wehr- und Geschlechtertürme, sie sind um ihre Lüftungsöffnungen mit Akroterien und Betonfaschen baukünstlerisch dekoriert, es gibt sie auch mit Spitz- und Walmdächern. Manchmal ist über der Stahldrucktür ein Steinamulett (eine Mutter mit Kind als Schutzmantelmadonna) in den Beton eingelassen. Man mag sich nicht vorstellen, was die Menschen gefühlt haben, als sie von auf- und abschwellendem Sirenenalarm begleitet mit ihrem Notgepäck in die Schutzräume gehastet sind. Diese „Un-Architektur“ hat Eingang in die Denkmaltopografie gefunden. Jedes dieser Monster ist ein Kriegsdenkmal. Mancher Bunker wurde als Lagerraum, einer provisorisch als Hotel genutzt, ein anderer zum Wasserturm ergänzt. An ihn ist eine Terrasse gebaut und hinter den bombensicheren Mauern dieses „KulTurm“ eine „EventLUcation“ eingerichtet. Statt Schwerter zu Pflugscharen gilt hier wohl Bunker zu Biergarten. Die Farbgestaltung an der Fassade soll das Grauen wegpinseln. Nicht auszuschließen, dass es Anwohner gibt, die die ehemalige Nutzung noch erlebt haben. Auf jeden Fall eignen sich die bis zu zehn Geschosse hohen Betontürme, um allerlei Antennengeschling anzubringen.

Humpert & Kösel-Humpert (Bld: Wolfgang Bachmann)

Creation Center, von Humpert & Kösel-Humpert umgebauter Bunker (Bild: Wolfgang Bachmann)

Ein Arbeitskreis Bunkermuseum e.V. pflegt die „Erinnerungskultur“ anhand der mehr als 30 verbliebenen städtischen Schutzbauten. Einige befinden sich heute in Privatbesitz. Schon von außen am auffallendsten ist der von der BASF zum „Creation Center“ umgewidmete Monolith in der Karl-Müller-Straße, den die Architekten Humpert & Kösel-Humpert mit einem lebensfreundlichen Dachgeschoss zivilisiert haben. Es ist ein gläserner, gegen die Bunkerfluchten verdrehter Pavillon, der mit seiner organischen Aluminiumstruktur die weltweite Vernetzung des Unternehmens emblematisch abbildet.

Alles, was zur Stadt gehört

Eine besondere Denkmalzone bildet der Ebertpark, 1925 anlässlich der Süddeutschen Gartenbauausstellung in den sumpfigen „Friesenheimer Erdlöchern“ von C. W. Siegloch und Hans Graf angelegt. Nach Kriegszerstörungen wurde die Anlage mit dem expressionistischen Turmrestaurant, dem Sternbecken und den Kassenhäuschen wieder hergestellt. Die von barocker Gartenkunst inspirierte Anlage besaß für die einzelnen Gemeinden die Bedeutung als Central Park von Ludwigshafen. Sie war in den 1950er Jahren das nahe Ausflugsziel für die Familien, wenn sie sich sonntags etwas gönnen wollten.

Ebert-Halle von Roland Rainer (Foto: Wilfried Dechau)

Ebert-Halle von Roland Rainer (Foto: Wilfried Dechau)

Typisch war und ist, was sich in diesem Stadtteil auf kleinstem Raum zusammenfindet. Ein immobiler Mikrokosmos. Hemshof und Friesenheim im Ludwigshafener Norden, vom Rhein durch die am Ufer ausgebreitete BASF getrennt, beherbergen, was zu einer richtigen Stadt gehört. Wie auf einer Grundplatte für die elektrische Eisenbahn steht alles in Rufweite beieinander. Im Ebertpark zur einen Seite die Stadthalle von Roland Rainer, zur anderen ein Müllheizkraftwerk, beide Mitte der 1960er Jahre betoniert. Mehrzweckkultur und Energie aus Hausmüll, Sperrmüll und Gewerbeabfällen halten eine urbane Balance. Auf halber Strecke steht das Klinikum – für alle Fälle.

Abgerissen: BASF-Hochhaus, Aufnahme von 2013 (Foto: Wilfried Dechau)

Erst aufwändig saniert, dann abgerissen: das BASF-Hochhaus, Aufnahme von 2013 (Foto: Wilfried Dechau)

Abgerissen wurde vor zehn Jahren das nach einem der BASF-Gründer benannte Friedrich-Engelhorn-Haus, 1957 von Hentrich Petschnigg gebaut und mit gut hundert Metern Höhe lange Zeit das höchste Gebäude in Deutschland. Seine Sanierung wäre für das Unternehmen unbezahlbar geworden (https://www.rhein-neckar-industriekultur.de/objekte/abgerissen-friedrich-engelhorn-hochhaus-der-basf). Es scheint, als hätte es sich gerächt, dass Eggert Voscherau, ehemaliges Vorstandsmitglied, einmal in einem Interview gesagt hat, die BASF sei kein „Architektur-Unternehmen“. Zum Konzern gehören eben keine Signature Buildings, mit denen andere Firmen (Fagus, AEG, Vitra, Schlumberger, Braun, Siemens, Porsche, Daimler-Benz, Trumpf…) in den Kunstführern verzeichnet sind. Die BASF baut Chemieanlagen und liefert Baustoffe, aber sie hat auch Baugeschichte geschrieben. Ihr gehören in Ludwigshafen knapp 6000 Wohnungen. Das taugt als normale Stadt. Schon durch den widersprüchlichen Zusammenhalt einschließlich der ökumenischen Sozialstationen und die in vielen Arbeiterquartieren typischen Einrichtungen und Läden aus anderen Kulturkreisen. Es gibt hier sogar noch zahlreiche Geschäfte für den täglichen Bedarf. In der Ebertsiedlung – wie ein obsolet gewordenes städtisches Attribut – säumen sie eine lange Straßenflucht.

Hier lässt es sich leben

Die schmalen Gassen, die sich senkrecht zu den Hauptverkehrsachsen ausrichten, sind meistens baumgesäumt oder von kleinen Grünanlagen unterbrochen. In den Vorgärten wuchert es, als handele es sich um einen Leistungsbeweis für den Kunstdünger der BASF. Nicht umsonst wurden einige Straßen als Gartenweg nummeriert. Nach Süden und Westen schließen durch Kiesgewinnung entstandene Weiher an, sie sind zum Angeln und Baden willkommen. Kaum zu glauben, dass man sich in unmittelbarere Nähe einer Chemiefabrik befindet. Das Nebeneinander von Arbeiterwohnungen und gutbürgerlichen Häusern hat seinen eigenen Reiz, vor allem, weil sich Baugeschichte unmittelbar ablesen lässt – und sei es nur, dass die schwarz gewordenen Ziegelsteinfassaden mit befremdlich weißen Kunststofffenstern kokettieren. Nach und nach werden beim Umbau auch die Fassaden gereinigt, wenn ein neues Haus dazukommt, fügt es sich – nur ein wenig stattlicher – im gleichen Duktus unauffällig ein. So entstand ein Quartier, das voller Erzählungen steckt, weil die zahllosen Indizien uns ihre Deutung aufdrängen. Hier ist etwas passiert. Eine angehaltene Bewegung, mit der ein Roman beginnen könnte.
Man müsste ihn nur aufschreiben.