Ludwigshafen, Teil 2. Mit den großflächigen Abrissen im Verkehrs- und Gebäudesektor der Stadtmitte rückt deren funktionale Erneuerung in den Bereich des Möglichen. Linksrheinisch Einkaufen in Mannheim, rechtsrheinisch Wohnen in Ludwigshafen? Der Rhein dazwischen eine paradiesische Landschaft wie an der Elbe in Dresden? Nur viel besser für Passanten und Fahrradfahrer erschlossen? Es öffnen sich Perspektiven für ein neues, stadträumliches Gefüge entlang des Rheins, das den Paradigmenwechsel in einer der ältesten Kulturregionen Europas ankündigt.
»Rheinliebe«
Eigentlich befasste sich die IBA Basel mit keinem anderen Thema: Dort hieß es unter anderem »Rheinliebe« und beschrieb, wie über die Grenzen der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs hinweg die wunderbaren Landschaftsräume entlang des Rheins zum Nutzen und Frommen der Bevölkerungen erschlossen und verknüpft werden können – weil Industrie- und Hafengebiete ausgedient haben. Hier zwischen Ludwigshafen und Mannheim sind es Stadt- und Bundeslandgrenzen (im Schwarzplan links bildet der Rhein die gesamte Ostgrenze Ludwigshafens), die im Vergleich zum Drei-Nationen-Eck einfach zu überwinden sind. Es geht darum, große Flächen und öffentliche Räume aufzuwerten und zu einem attraktiven Stadt- und Landschaftsraum zu fügen, indem alte Planungsmaximen aufgegeben und der halbherzig verfolgte Wandel in der Verkehrs- und Planungspolitik konsequent vorangetrieben wird. Diese Aufgaben sind keineswegs neu, aber in den Dimensionen und in der Dringlichkeit wie hier und jetzt eher sehr selten.
Der Stadtplan zeigt zum einen, welchen Anteil das Gelände der BASF als planerische »Tabu-Zone« an der Fläche Ludwigshafens hat; zum anderen, welch unglaubliches Potenzial die Vernetzung im Bereich von Mannheims Innenstadt, des Waldparks und der Stadtteile Niederfeld und Neckarau liegt. Hier wie im Großraum Basel kommt es darauf an, dem Fußgänger- und Radfahrerverkehr sowie dem ÖPNV absoluten Vorrang einzuräumen und entsprechende Brücken zu bauen – etwa zwischen Ludwigshafens Parkinsel und dem Mannheimer Waldpark-Ufer im Südosten des Plans. Und zusätzlich an anderen Stellen zwischen der Rheingalerie und der »Pegeluhr«, also einem durchgehend autofreien öffentlichen Uferweg. Zudem fehlen im westlichen Stadtgebiet noch Fuß- und Radfahrerverbindungen über die raumgreifenden Gleisanlagen zu den Berufs- und Fachhochschulen.
Mit welchen Prioritäten, exzellenten Ingenieuren und Begeisterungen in den 1960er-Jahren geplant worden war,1) mutet heute etwas befremdlich an. Wie sich nun heute entsprechende Kräfte freisetzen lassen, an denen zudem Bürokratie, Beteiligungsverfahren, neue Bautechniken, Energie- und Infrastrukturkonzepte sowie unerbittlicher Preiswettbewerb zehren, kennzeichnet die Aufgaben in den nächsten Jahren.
1) Karin Berkemann: Hochstraßenkunst aus Ludwigshafen. In: moderne-regional, 3. Februar 2021 (https://www.moderne-regional.de/hochstrasse-ludwigshafen/)
Die neue Mitte
Die übliche Vorstellung, dass in einer Stadtmitte eine Einkaufszone für Fußgänger dominiert, trifft auf Ludwigshafen kaum mehr zu. Seit 2010 lässt sich in den 130 Geschäften der »Rheingalerie« der tägliche Bedarf decken und einiges mehr kaufen (HPP Hentrich-Petschnigg & Partner KG + Architekten der ECE, Tragwerk: Knippers Helbig). Die eigentliche, überregional relevante Einkaufsmeile liegt in Mannheim (»Planken«), frisch saniert und von Ludwigshafen aus gut zu erreichen. Was aber kann die Ludwigshafener Mitte im Zwickel zwischen den überregionalen Auto- und Bahnschneisen auszeichnen? Es fehlt noch eine konkrete Vorstellung davon, was die Besonderheiten dieses bewohnten Zentrums der zweitgrößten Stadt von Rheinland-Pfalz mit ihren über 170.000 Einwohnern ausmachen soll. Das ist nicht allein eine Frage der Verkehrkonzepte, siehe beispielsweise die Hochstraßenplanung > hier.
Was an neuem Wohnungsbau von üblichen Investoren derzeit auf freien oder frei geräumten Innenstadtgebieten gebaut wird, sieht republikweit nahezu gleich aus. Ein paar Tage später besuchen wir Dortmund-Hörde, wo an einem künstlichen See auf umgenutztem Industrieareal ähnliche Wohnungsarchitektur, aber eine bessere Funktionsmischung gelungen ist als hier in Ludwigshafen am Rheinufer – allerdings wie so oft für gehobenes Klientel.
Zurück nach Ludwigshafen: Die Rheinallee als Erschließungsachse der südwestlichen Innenstadt hat zwar einen mittleren Grünstreifen mit Bäumen, bei der Architekturqualität am Straßenrand ist aber noch sehr viel Luft nach oben. Dass üble Werbeplakate den Mittelstreifen verschandeln dürfen, wirft kein gutes Licht auf die zuständige Verwaltung und lässt befürchten, dass die Pflege des öffentlichen Raums noch nicht als Pflicht begriffen wird, um mit der »Stadt für alle« voranzukommen.
Wer baut wie?
Im Westen der Innenstadt entsteht ein Siedlungsprojekt, das mit rund 700 Wohnungen für 1.500 Menschen und eigener Haltestelle zusätzlichen, zentralen Wohnraum mit »smart city«-Eigenschaften bieten wird. Die Flächen – 15 Hektar – dieser Heinrich-Pesch-Siedlung gehörten dem Heinrich Pesch Haus und der Katholischen Gesamtgemeinde Ludwigshafen und werden nun in Erbpacht vergeben, 50 % des Wohnraums sind für Haushalte mit mittlerem Einkommen, 25 % für einkommensschwächere und 25 % für einkommensstarke Haushalte vorgesehen. Dazu kommen Funktionsmischungen aus Büro, Gewerbe, Kita und Begegnungshaus, die einem Wohngebiet dieser Größenordnung angemessen, auf dem freien Immobilien-Investitionsmarkt aufgrund der Renditeerwartungen aber sehr selten sind.
Privilegien verpflichten
Ludwigshafen ist dadurch privilegiert, dass es hier gewachsene, große, schöne Grünräume bereits gibt, die verbunden und ausgeweitet werden können; dass mit dem Rhein nicht nur eine wirtschaftsrelevante Wasserstraße, sondern auch ein einmaliger, öffentlicher Raum existiert; dass mit der BASF ein privater Förderer überall einspringen könnte, wo Bedarf besteht; dass die Vernetzung der Metropolregion Rhein-Main-Neckar insgesamt besser als in anderen Regionen dieser Art ist und die Vielfalt der Wirtschaft üppiger als andernorts. Weil die Voraussetzungen also eigentlich besser als beispielsweise im Ruhrgebiet sind, darf die Messlatte für die Transformation gerade in Ludwigshafen deutlich höher gelegt werden. In einem 2021 aktualisierten Architekturführer werden 42 Projekte aus Heidelberg, 82 aus Mannheim und 36 aus Ludwigshafen vorgestellt – von denen halte ich persönlich allenfalls 7 für erwähnenswert.
Im September 2022 erschien ein Ideenkonzept Innenstadt (> ISEK), das in seinen Ansätzen sehr vage und durchaus konventionell wirkt. Es wird »gefördert« und »gestärkt«, »aufgewertet« und »qualifiziert«, Begriffe wie »Nachbarschaftsboulevard«, »Super-Blocks« lassen große Interpretationsspielräume – bei Ideenkonzepten mag es so sein. Der Blick aufs Ganze lässt aber an eine Art Sonderplanungsformat denken, denn das ISEK bezieht sich auf eine große Fläche und impliziert Strategien, die mutmaßlich über das Übliche hinausreichen müssen.
Sonderplanungsformate wie die Internationale Bauausstellung im nahegelegenen Heidelberg (2022) oder die Bundesgartenschau in Mannheim (2023) werden in solchen Stadtentwicklungsphasen gern ins Auge gefasst. Ob sie für Ludwigshafen taugen, sei dahingestellt. So der so: Die Spitzen der Politik und der Verwaltung sind gefordert, aus dem business as usual herauszukommen.