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Auch wenn Kanzler Olaf Scholz gerade von großen neuen Wohnsiedlungen auf grüner Wiese schwärmt: Die wichtigste Bauaufgabe bleibt in den nächsten Jahrzehnten die Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen. Heikel sind immer Bauten aus politisch belasteten Zeiten – jetzt stehen auch die Hinterlassenschaften der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) an, wie das Beispiel „Rotes Kloster“ in Erfurt offenbart.

Ornamentik und Farben im Stil der 1960er: die SED-Bezirksparteischule von 1972 (Bild: Martin Maleschka)

In der Bezirksparteischule büffelten SED-Aufsteiger für ihre Karrieren in Wirtschaft, Verwaltung und Politik, weshalb der als „Rotes Kloster“ verrufene Gebäudekomplex stets an finstere Machtzirkel denken ließ, oder gleich an Inquisition. Als jetzt die Einladung zur Besichtigung in meinem Postfach lag, beschlich mich ein ungutes Gefühl: Sollte man sich das wirklich antun?

Modell der Schule, 1972 (Foto: Maleschka)

Bezirksparteischule „Ernst Thälmann“, 1969-1972 erbaut nach dem Vorbild der zwei Jahre zuvor fertiggestellten Parteischule „John Schehr“ in Rostock. Architekten: Heinz Gebauer und Walter Schönfelder, Weimar. (Modellfoto: Martin Maleschka)

Die 1972 am Stadtrand von Erfurt eingeweihte Bezirksparteischule war bis 1990 in Betrieb, dann überließ die abgedankte Staatspartei ihre Immobilie dem neugegründeten Freistaat Thüringen, der im Trubel des großen Umbruchs erst mal eine Fachhochschule einquartierte. Nachdem die in den 2000er Jahren ausgezogen war, kamen andere Interessenten zum Zuge, auch kurzfristiger Bedarf wurde bedient für Tagungen, Konzerte, Discos, Flohmärkte und Ähnliches. Das Hochhaus diente weiter als Internat. Wichtig bei all dem: Die Zwischennutzer rührten am Vorhandenen keinen Finger, so dass über die Jahre hinweg alles im Originalzustand erhalten blieb: Internatshochhaus, Seminarräume, Audimax, Kantine, Grillplatz, Kegelbahn. Bloß das große, auf Gips gemalte Wandbild im Foyer sollte verschwinden.

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Lange Zeit hinter einem Vorhang verborgen, aber dadurch geschützt: Wandgemälde mit heiteren Sozialisten. Bildkünstler: Werner Wagner und Siegfried Terber (Foto: Wolfgang Kil)

Allerdings hätten – so wird erzählt – die Hausmeister Mitleid mit dem Kunstwerk gehabt und ließen es hinter einem Vorhang verschwinden; der musste in den folgenden Jahren für Neugierige so oft gelüftet werden, bis ganz auf ihn verzichtet wurde. Seitdem wird man im Foyer wieder von einer Phalanx zukunftsfroher Sozialisten begrüßt, was von allen Reminiszenzen des „Roten Klosters“ wohl eine der heikelsten bleibt.1)

Typologien

Den Zuständigen der thüringischen Landeshauptstadt war die ungemütliche, heute gern toxisch genannte Vorgeschichte des Baukomplexes sehr wohl bewusst. Selbst weniger kritische Bürger hätten mit Parteischule „vor allem Heuchelei und Inkompetenz assoziiert, was immer auch auf das Bauwerk abfärbt“ 2). Trotz solcher Befürchtungen setzte Stadtdenkmalpfleger Mark Escherich 2008 die gesamte Anlage auf die Denkmalliste. Recherchen hatten ergeben, dass in der DDR nicht nur für Schwimmhallen, Mensen oder Gesundheitszentren Typenprojekte entwickelt wurden, sondern dass auch ein spezielles Bauprogramm „Bezirksparteischule“ existierte. In den 1970er Jahren waren sechs derartige Kaderschmieden „mit durchaus interessanten Architekturen“ in verschiedenen Bezirksstädten entstanden, doch fast alle Objekte dieser speziellen Typologie waren entweder bis zur Unkenntlichkeit überformt oder dem Vandalismus preisgegeben worden. Einzig die Erfurter Schule blieb unangetastet, bis hin zum Mobiliar, den Leuchten, den Tapeten, den Wasserhähnen aus PVC. Geradezu ein Glücksfall materieller Überlieferung und somit „ein Pilotprojekt der Denkmalpflege für die Spätmoderne der DDR“3), für das man im Erfurter Denkmalamt mutig ins Risiko ging. Der Einsatz wurde belohnt. Ein Investor mit Faible für das 70er-Jahre-Design der Interieurs erwarb den Komplex, kooperierte bereitwillig mit dem Denkmalamt und sorgte für einen verlässlichen Dauermieter: die Generalzolldirektion. Die bildet jetzt hier ihren Nachwuchs aus, künftige Zollbeamte. Besser hätte es für die Immobilie mit der heiklen Vergangenheit nicht kommen können.

Foyer der Bezirksparteischule (Foto: Wolfgang Kil)

Foyer, Aufgang zur Saaltechnik. Die Zwischenebene wird selten benutzt, weil die originalen Geländer heutigen Sicherheitsnormen nicht entsprechen. (Foto: Wolfgang Kil)

Neue Sensibilität für die Siebziger

Doch als wie heikel gilt die DDR-Hinterlassenschaft nun wirklich? Anstatt befürchteter Beschimpfungen ernteten die Denkmalpfleger Aufgeschlossenheit, ja Zuspruch. Mit Genugtuung registrierten sie, dass „vor allem Jüngere sich von der Ästhetik, aber auch von sozialen und politischen Ambitionen der Sechziger- und Siebzigerjahre angesprochen fühlen und diese eben auch im baulichen Erbe entdecken“ 4). Eine zeithistorische wie ästhetische Sensibilität, die Escherich freut angesichts der vielen Vorbehalte, die er innerhalb seiner eigenen Profession immer noch gegenüber Architekturen der Spätmoderne spürt.

Typisch 1970er: das Foyer mit rot gefliester Seitenwand (Bild: Maleschka)

Typisch frühe 1970er: Keine Scheu vor intensiv farbigen Tapeten. (Foto: Martin Maleschka)

Vorbehalte, mit denen auch ich mich an einem sonnigen Novembertag der Einladungsgruppe anschloss. Und es geschah, wie erwartet: Wirklich erwärmen konnte ich mich für die penibel instandgesetzte Großform nicht. Der Zwölfgeschosser ein schwerfälliger Korpus mit reichlich groben Details, dazu überall diese penetranten Pastelltöne – lauter Unbehaglichkeiten, deretwegen ich damals meinen ersten Job im Baukombinat hingeschmissen hatte. Die Stimmung änderte sich aber nach Eintritt in das weiträumige Foyer, wo unser kleines Expertenkollektiv gleich mitten hinein in den normalen Alltag der Lehranstalt geriet.

Schöne Ausblicke von Schulräumen aus in die begrünten Innenbereiche (Foto: Wolfgang Kil)

Schöne Blicke aus der Kantine in den begrünten Innenhof. (Foto: Wolfgang Kil)

Lachend und rempelnd strebten junge Frauen und Männer durch lange Gänge vom Seminartrakt zur Kantine, in den fließend verschränkten Raumfolgen zwischen Foyer und Audimax herrschte genau jenes Gewusel, das die Entwurfsarchitekten auf ihren handgezeichneten Schaubildern seinerzeit erträumten.5) Und bei wärmerem Wetter hätten wir uns gern eine Verschnaufpause im gärtnerisch gestalteten Innenhof gegönnt, dessen Existenz bei allein äußerer Betrachtung verborgen bleibt.

Entlang unseres Besichtigungsweges gab es immer wieder Hinweise auf skurrile Überbleibsel der ursprünglichen Nutzung, handgeschmiedete Treppengeländer etwa, krass gemusterte Tapeten oder der „Salon Vilnius“, der mit seiner folkloristischen Staffage einst der Städtepartnerschaft mit Litauens Hauptstadt gewidmet war. Von der neuerlich nützlichen Bestimmung des Gebäudekomplexes rückte unser Rundgang dabei auf seltsame Weise ab. Unberührt vom Lehrbetrieb der Zoll-Azubis wandelten wir durch eine Art DDR-Museum, eine „Zeitkapsel“, deren Vollständigkeit ihresgleichen suchte. Denkmalfreunde mussten beeindruckt sein! Aber was von unserer Faszination ließe sich teilen mit jenen jungen Menschen, denen unser Herumstöbern in ihrem reibungslos funktionierenden Schulbau sicher genauso egal war wie jenes blasse Wandbild, das sie jeden Morgen auf dem Weg zum Unterricht passierten?

Hörsaal in der "Kaderschule" der SED (Foto: Maleschka)

Großer Veranstaltungssaal. Lediglich aufgearbeitet, wird das originale Gestühl für das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Generalzolldirektion weitergenutzt. (Foto: Martin Maleschka)

Spuren welcher Geschichte?

Ungeachtet des Auftrags „Parteischule“ war in den späten 1960er Jahren ein Ensemble von hoher praktischer Qualität entstanden. Wonach wir heute hier suchten – Spuren einer „toxischen“ Nutzungsgeschichte – gab es etliche, aber waren das im Grunde nicht bloß Drapierungen, Accessoires? Banale Äußerlichkeiten, die bei weniger sorgfältiger Sanierung genauso gut hätten verloren gehen können? „Dass es sich hier um ein Dokument der Herrschaft und Ideenwelt der SED handelte, wurde erst im Rahmen der Denkmalwerdung aufgerufen.“6) Diese (selbstkritische?) Einsicht der Erfurter Rechercheure hinterfragt auf überraschende Weise heutige Denkmaldebatten, in denen Steine gern als „Zeugen“ herhalten müssen, um „Geschichte zu erzählen“. Ließen wir mal von den krassen Tapeten und blassen Wandmalereien ab und befragten wirklich „die Steine“, sprich: die architektonische Hardware dieses Gebäudekomplexes, dann würde die, statt von Kaderschulungen, eher von einer gesellschaftlichen Aufbruchsphase berichten. Wir dürften staunen über den funktionalen Ehrgeiz und die unbändige Raumlust von Architekten, die einen Großen Krieg gerade hinter sich und die Alarmsignale des Club of Rome noch vor sich hatten. In jenem kurzen Sommer der Ostmoderne.

Dass einem solche Einsicht ausgerechnet in einer ehemaligen SED-Parteischule zufliegt, darf wohl irritieren, nach fünfzig Jahren Abstand aber womöglich auch erleichtern.


1) Zumal das illustrative Werk nicht zu den Glanzleistungen baubezogener Kunst in der DDR gehört.

2) Mark Escherich im Interview in: Dina Dorothea Falbe, Christopher Falbe (Hrsg.): Architekturen des Gebrauchs. Die Moderne beider deutscher Staaten 1960-1979; Weimar 2017

3) ebenda

4) ebenda

5) Ausführliche Objektbeschreibung durch die Projektautoren siehe: Architektur der DDR; Berlin (DDR), Heft 3/1976

6) Mark Escherich a.a.O.