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Im Abrissstaub

2241_Ludwigshafen_wdLudwigshafen, Teil 1. Es gibt Städte, die für einen anderen Planeten geplant sein könnten, nach Jahrzehnten irdischen Gebrauchs und wechselhafter Geschichtsläufe aber eine eigenartige Faszination entwickeln. Ludwigshafen gehört dazu. Morbide Brückenreste, verwahrloste Bahnhöfe, Unterführungen und manch schauerliche Brachflächen: Residiert hier mit der BASF nicht ein sehr wohlhabender, Steuern sprudelnder Weltkonzern? Teil 1 einer Momentaufnahme in Ludwigshafen, die im Teil 2 Optimismus verbreiten wird.Bahnhofsumfeld in Ludwigshafen (Bild: Wilfried Dechau)

Der Rest: die Stadtmitte

Als wir mit Alexander Thewalt, seit Juli 2020 Bau- und Umweltdezernent, eine Fahrradtour durch »sein« Ludwigshafen machen, trauen wir an vielen Stellen unseren Augen nicht. Inmitten des Schlachtfeldes, das die Verkehrsplaner in den 1960er Jahren bis spät ins 20. Jahrhundert hinein fabriziert und prägend hinterlassen haben, gibt es Wege durchs Grüne, die unvermutet reizvolle Quartiere der Stadt erschließen. Der Ortskern liegt jedoch direkt am Rhein, zwei gewaltige Verkehrsschneisen – autobahnartig – schnüren zwischen Konrad-Adenauer-Brücke im Osten und der Kurt-Schumacher-Brücke im Westen zusammen mit vielen Gleisanlagen eine kleine Stadtmitte ein, gen Norden erstreckt sich riesig und unpassierbar das Gelände der BASF. Aber es ist andererseits unglaublich, wie sich im Schatten der Trassen Nischen bilden, wie sich die Hinwendung zum Rheinufer mit aufgewerteten öffentlichen Räumen zu lohnen scheint. Architektonisch zeigt sich, wie man salopp sagen darf, überall noch Luft nach oben.

Ludwigshafen, Hauptbahnhof (Bild: Ursula Baus)

Bahnhof Ludwigshafen – Mitte (Bild: Ursula Baus)

Rhein-Galerie Ludwigshafen (Bild: Rudolf Stricker, Wiki)

Rhein-Galerie Ludwigshafen (Bild: Rudolf Stricker, Wiki)

Projekte wie die Rhein-Galerie – eine modische Shopping Mall, ECE/HPP 2010 – oder die umgebaute Walzmühle – reißen niemanden vom Hocker. Zugleich weiß die Stadt noch nicht recht, welche Hinterlassenschaften aus der Nachkriegszeit zu schätzen und schützen sind. Ernst Bloch, 1885 in Ludwigshafen geboren, nach 1933 aus Deutschland ausgebürgert und ins Exil in die USA ausgewandert, hatte 1928 in einem Essay Ludwigshafen – die Industriestadt – und Mannheim – die Residenzstadt – verglichen: „Das Mannheimer Schloss als Dekoration gab der Bourgeoisie Haltung – Ludwigshafen dagegen blieb der Fabrikschmutz, den man gezwungen hatte, Stadt zu werden.“ 1)
Ludwigshafens Ruf, ”Stadt der rauchenden Schlote“ zu sein, galt zunächst als Erfolg und ist heute ein Makel sondergleichen. Industrie und Verkehr zerfressen die Stadt, deren Bewohner sich langsam, aber sicher zu wehren wissen; in den Planungsbehörden wendet sich – wie überall sonst auch – erst mit Generationswechseln etwas. Den grundsätzlichen Handlungsbedarf zeigt ein Blick auf den >>> Bahnhof Ludwigshafen Mitte (Foto-Strecke): Bahn und Stadt sind hier gefordert. Und bevor wir in Teil 2 auf Planungsperspektiven schauen, sei die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, was leider immer noch symptomatisch für die Gegenwart ist. Alle reden davon, dass weiter- und umgebaut werden soll. Faktisch dominiert aber der Abriss.

Das BASF_Hochhaus nach der Fassadensanierung (Bild_Wilfried Dechau)

Das BASF-Hochhaus nach der Fassadensanierung (Bild: Wilfried Dechau)

Abrissorgien

Die Rolle der BASF für die städtische Entwicklung Ludwigshafens kann kaum überschätzt werden. Mit dem »Feierabendhaus« (1913 von Martin Duller gebaut, 2011 saniert) und der Arbeitersiedlung »Kolonie« (ab 1900) trug die BASF durchaus erwähnenswerte, bis heute geschätzte Architektur bei. Bis heute unfassbar ist aber, warum das Friedrich-Engelhorn-Hochhaus der BASF erst saniert und dann abgerissen wurde.2) Das Haus entstand 1957 als damals höchstes Verwaltungsgebäude der Republik, gebaut von Hentrich & Petschnigg, war rasch ein Wahrzeichen der Stadt, stand unter Denkmalschutz und wurde 1996 aufwändig saniert3). 2011 wurde eine Komplettsanierung angeregt, aber wegen anscheinend unfinanzierbarer Schadstoffentfernung in der Substanz aufgegeben. Der Denkmalwert und die Aussagekraft des Hauses für die BASF selbst focht den Konzern nicht an. 2014 war es weg.
Ohnehin stellt sich die Frage, wieso die BASF sich nicht selbst oder mit Druck auf die Politik für einen hinnehmbaren Zustand des öffentlichen Raums in »ihrer Stadt« engagiert. Mit 39.000 Arbeitsplätzen ist der Konzern an Ort und Stelle präsent, engagiert sich in vielen Kulturbereichen durchaus, aber stadträumlich kaum.

Rathaus und Hochstrae? Alles wird abgerissen, um ”neu gedacht« zu werden. (Bild: Wilfried Dechau)

Rathaus und Hochstraße? Alles wird abgerissen, um »neu gedacht« zu werden. (Bild: Wilfried Dechau)

»Neu denken«?

Abriss-Kandidaten sind auch die >>> Hochstraße und Rathaus-Center (Foto-Strecke) – Hinterlassenschaften des »Projekts Visitenkarte« aus den späten 1950er Jahren, mit denen ein Gegenpol zum BASF-Hochhaus geschaffen und Hochstraßen fortgesetzt werden sollten. Beide Bauwerke sind – mehr oder weniger – marode und werden abgerissen. Grotesk dabei ist unter anderem, dass für die schweren Abrissgeräte eine 1450 Quadratmeter große und 50 Zentimeter dicke Betonplatte hergestellt werden muss.4)

Öffentlicher Raum unter der Hochstraße (Bild: Wilfried Dechau)

Öffentlicher Raum unter der Hochstraße (Bild: Wilfried Dechau)

Die Hochstraße soll durch eine ebenerdige »Stadtstraße« ersetzt werden, das angrenzende Rathaus-Center erwarb die Stadt von einem Immobilienfonds, um an dieser Stelle schalten und walten zu können, was dann von der OB Steinruck (SPD) folgendermaßen benannt wird: »Das bringt uns die Chance, die Innenstadt neu zu denken.«5) Die Formulierung »neu denken« ist ein nahezu nichtssagender Slogan aus der Werbebranche, denn »neu« ist wertfrei, klingt gut und fortschrittlich, heißt hier aber zum Beispiel konkret: Was schert uns der Bestand!

Das gesamte Rathaus-Ensemble wird restlos verschwinden. (Bild: Wilfried Dechau)

Das gesamte Rathaus-Ensemble wird restlos verschwinden. (Bild: Wilfried Dechau)

Die Stadt der Straßen

Arbeit an der Hochstraße entspricht einer Operation am offenen Herzen – die auch entsprechend teuer wird. Im Juli 2022 hieß es: ”Nach internen Berechnungen der Ludwigshafener Stadtverwaltung, die am Montag im Stadtrat vorgestellt werden, könnte die Sanierung des gesamten Hochstraßensystems (Nord- und Südtrasse, B44 und B37, inklusive Rathaus-Abriss) annähernd 1,5 Milliarden Euro verschlingen. Das entspricht der aktuellen Gesamtverschuldung der Stadt.«6) Bund und Land unterstützen den Abriss. Und um den Verkehr irgendwo entlangzuführen, muss das >>> Rathaus-Center eben gleich mit abgerissen werden.

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Gewaltige Straßen, kaum Autos: Ludwigshafens Hochstraße wurde nicht zu Unrecht als „Prunkstück“ und „Meisterwerk der Technik“ gefeiert. (© Stadtbroschüre 1959)

Die Ludwigshafener Hochstraßen waren für den überregionalen Verkehr konzipiert und in der Verkehrsstruktur seinerzeit spektakulär. Aber ein Mal mehr setzt die völlige Überbeanspruchung vor allem durch den Schwerlastverkehr den Bauwerken zu; so wurde die südliche Pilzhochstraße zum Beispiel schon teils abgerissen und steht nun als Stumpf herum, der Reisende aus Richtung Mannheim staunen lässt. Nicht die Architektur dieser Zeit, nicht das mangelnde Können der Bauingenieure dieser Zeit sind das Problem. Vielmehr zeigt sich in Ludwigshafen pars pro toto die von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragene und vorangetriebene Entwicklung der autogerechten Stadt. Sie, die Bevölkerung, wehrt sich gern gegen Verkehr vor der Haustür, aber kämpft um jeden Parkplatz. Sie ist keine Planungsinstanz, hat keine weitsichtigen Planungskompetenzen, und dass sie mitsprechen will und muss, widerspricht dem nicht. (https://ludwigshafen-diskutiert.de/rathaus_rathaus-center) Nur muss immer wieder vermieden werden, Stimmungen im Dorf, in der Stadt oder im Land für ganz andere Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Friedrich-Ebert-Halle stand bereits zur Disposition. (Bild: Wilfried Dechau)

Die Friedrich-Ebert-Halle stand bereits zur Disposition. Hier wurden »Wetten, dass?«-Sendungen veranstaltet, zig Mal präsentierte Dieter Thomas Heck die »Goldene Stimmgabel«, Udo Lindenberg trat auf, 13 Mio Besucher kamen bislang. (Bild: Wilfried Dechau)

Retten, was zu retten ist

Dass nun Abriss-Entscheidungen immer wieder, auch initiiert von BürgerInnen, revidiert werden können, zeigt sich beispielsweise an Frei Ottos Multihalle im benachbarten Mannheim – siehe Seitenspalte. In Ludwigshafen stand die >>> Friedrich-Ebert-Halle (Foto-Strecke) zur Diskussion, die Roland Rainer mit Ulrich Finsterwalder und Helmut Bomhard Anfang 1962-65 gebaut hatte. Sie wurde über die Jahrzehnte zwar nach Kräften gepflegt, aber nun steht nach entsprechend langer Nutzung eine umfassende Sanierung an – nach 50 Jahren.7) Derzeit soll die Friedrich-Ebert-Halle, in der unter anderem deutsche Fernsehgeschichte geschrieben worden ist, erhalten bleiben und eine neue Multifunktionshalle andernorts gebaut werden. Aufgrund bürgerlichen Engagements konnte beispielsweise auch ein Hallenbad, das in der Nutzung zu teuer war, dennoch erhalten und sogar mit Wasserbecken (jetzt Löschwasserbecken) umgenutzt werden. Geht doch.

Ludwigshafen, Hallenbad (Bild: Wilfried Dechau)

Ludwigshafen, Hallenbad Nord. 1938 von Heinrich Schmitt (der »Hochbau-Schmitt«) entworfen, 1953 von ihm überarbeitet und gebaut, wurde das hofartige Ensemble 2015 umgenutzt zur www.lucations.de. (Bild: Wilfried Dechau)

Gewiss, Ludwigshafen wirkt derzeit außergewöhnlich desolat. Aber gerade deswegen, gerade weil Tabula Rasa nach gutem Neuanfang klingt, droht der Verlust hochwertiger Bausubstanz statt ihrer präzisen Analyse im Hinblick auf Erhalt und Umnutzung. Profitieren doch Städte wie New York oder Kopenhagen und auch Paris enorm davon, dass gewaltige Verkehrsbauwerke, die den ursprünglichen Verkehrsarten nicht mehr standhalten, als öffentliche Räume ungeahnte Chancen bieten. Das wird Thema des Teils 2 zur Entwicklung der zweitgrößten Stadt des Bundeslandes-Rheinland-Pfalz. Schneller als Stadtentwicklung funktioniert Kulturarbeit, und mit den Festivals »Enjoy Jazz« und »Filmfestival des deutschen Films« gelingt sie über die Stadt- und auch Landesgrenzen hinaus.8) Baukulturell bieten sich in Ludwigshafen enorme Chancen, die mit einer Integrierten Stadtentwicklungsarbeit (ISEK) begleitet werden.

Teil 2 erscheint am 26.10.22.


1) Ernst Bloch: Ludwigshafen – Mannheim. 1928. Siehe dazu: Wolfgang Kemp: Wir haben ja alle Deutschland nicht gekannt. Das Deutschlandbild der Deutschen in der Zeit der Weimarer Republik. Heidelberg 2016

2) Wettbewerb 1953, Architekten: Helmut Hentrich, Hubert Petschnigg, Fritz Eller, Robert Walter, Richard Janeschitz, Ulrich Kölsch;

7) Christoph Gunßer: … in die Jahre gekommen. In: db 5/2015, Seite 52-56; https://www.rheinpfalz.de/lokal/ludwigshafen_artikel,-eine-stadt-im-baustellen-modus-_arid,5295463.html