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Stilkritik (119) | In der zweibändigen Quellensammlung »Kunsttheorie im 20. Jahrhundert« von 1998 wird man im Registereintrag > Performance zum > Happening verwiesen, das entwicklungsgeschichtlich aus dem Environment hervorgegangen ist.1) Dabei sollte, wie es der Künstler und Theoretiker Allan Kaprow benannte, die Trennlinie zwischen Kunst und Leben in einmaligen Aktionen verschwinden, bis hin zur Eliminierung des Publikums. »Performance« ist nun im Alltag gelandet und nötigt Individuen – auch Architekten – Öffentlichkeitstauglichkeit auf.

Preisverleihung an Architekturstudierende. Seit Joschka Fischer als Minister und später Dieter Zetsche als Mercedes-Chef mit weißen Turnschuhen auftraten, taugen diese für jede »Performance«. (Bild: Ursula Baus)

Sein und Schein

Vorab sei daran erinnert, dass das Wort »Person« in der römischen Antike für die Rolle des Schauspielers auf der Bühne verwendet wurde, aber auch für die Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Nicht nur die abendländische Erkenntnis- und Kulturgeschichte beschäftigt seit Jahrhunderten das, was Menschen als Individuen im einzelnen kennzeichnet und voneinander unterscheidet und welche Fragen die Differenz zwischen Sein und Scheinen aufwirft. Bleibt man beim Ort des Geschehens, also der Bühne, taucht unwillkürlich das Performativum auf, mit dem in der Sprachtheorie unterschieden wird, was man redend tut und was man sagt.2)

Rede was, und verschweige Murks

Die alltägliche Beobachtung, dass ein gut redender Architekt mehr Zustimmung, zumindest mehr Aufmerksamkeit erhält als ein hilflos stammelnder, bestätigt den Sinn dieser Unterscheidung und erklärt, warum der Begriff »Performance« sich als Anglizismus im deutschen Sprachraum eingenistet hat. Performances gibt es heute omnipräsent, auch an der Börse, auch in der Politik. In diesen beiden Metiers verharmlost die Bezeichnung »schlechte Performance« bisweilen krasse Fehler und erweist sich als euphemistische Finte. Denn es ist ja nicht die Art und Weise wichtig, wie ein Signal oder eine Botschaft in die Öffentlichkeit gebracht wird, vielmehr ist das Signalisierte haarsträubend oder die Botschaft niederschmetternd bis falsch. Auch der größte Unfug und Missmanagement lassen sich rhetorisch meisterhaft in die Öffentlichkeit bringen. Christian Bruch, Konzernchef von Siemens Energy, meinte kürzlich lapidar: »Wir können nicht zufrieden sein mit der finanziellen Performance der Firma«.3) Und wie oft wirft man einem politischen Gegner neuerdings eine »schlechte Performance« vor, ob es nun um Robert Habecks Bückling vorm Scheich oder Kanzler Scholz‘ Gedächtnislücken in der Causa Warburg Bank geht. Als ob verzapfter Mist mit einer »Performance« in mildes Licht zu rücken sei.

Erkenntnis und Vermittlung

Dass »Performance« inzwischen als Beschreibung des alltäglichen Seins gilt, liegt auch am Wandel der Öffentlichkeit. Sowohl bei allen, die in den Social Medias bereits im Kindesalter auf ihre Erscheinung und das Wahrgenommen-Werden achten müssen, als auch bei denen, die berufsmäßig in der Öffentlichkeit beziehungsweise in Teilöffentlichkeiten präsent sein müssen, spielen Verhaltens- und Darstellungsweisen eine wachsende Bedeutung. Bei der Fülle der Architektur- und Stadt-Veranstaltungen, Tagungen, Symposien, Kongresse, Biennalen, Architekturwochen, Pecha-Kucha-Abende, Tage des offenen Büros, Stadtspaziergänge, Partizipations-Workshops, Think Tanks, Talks, Foren und Labore müssen ArchitektInnen immer öfter Bühnen- beziehungsweise Podiums- und Moderationspräsenz beweisen und damit anders arbeiten als es das bisherige Berufsbild erwarten lässt.

So wundert es nicht, dass in der Ausschreibung einer deutschen »University of Applied Sciences« für eine Professur (Fachbereich Design, Architektur) das Aufgabengebiet als »Verantwortung für den Themenbereich Visualisierung und Narrationsformen« definiert wird. Die Studierenden lernen nicht, wie die ganz Alten der Zunft, Zeichnen und Modellieren als Methoden des Erkennens und Gestaltens, sondern »Visualisierung, Zeichnen und Zeichen, Animation, Storytelling, wissenschaftliche Illustration, Informationsgrafik und angrenzende Bereiche«. Hier erscheinen die visualisierenden Tätigkeiten völlig unabhängig vom eigentlichen Metier. Sie dienen nicht eigener Erkenntnis, sondern den Mitteilungsweisen. Es ging, wie gesagt, nicht um Kommunikationsdesign. Mit der Erweiterung der Architektentätigkeiten in Richtung Performation verschiebt sich ihr Kompetenz- und Einflussbereich. Und in diesem Kontext wird dann auch schon mal der Vogel abgeschossen: In einem »Sofa-Talk« geht es in der Baufachkommunikation am Nikolausabend (6.12.22) um die Frage: »Was ist eigentlich Performance Marketing?«. Wer das wohl wissen will.

Bühnen und Räume

Bemerkenswert ist, dass »Performances« auch auf Orte und Städte bezogen werden, wobei Stadtmarketing gar nichts neues ist. Gegenwärtige Aktionen der Klimaschützer wenden die Performance wieder in einen Bereich, der zwischen Kunst und Protest anzusetzen ist, siehe oben. Sowohl im privaten Raum (Museen, Flughäfen), als auch im öffentlichen Raum (Straßenkreuzungen, Autobahnen) agieren die »Klimarechtler« der Letzten Generation performativ. Als Protestierende sind sie skurrilerweise eher zu belangen als wenn sie ihre Aktionen als Kunst proklamieren würden.
Die Schäden durch Klimaschützer-Aktionen sind, wie schon vielfach angemerkt worden ist, mit ihren Konsequenzen völlig unbedeutend verglichen damit, welchen Schaden Industrie und Politik durch ihr Tun und Lassen anrichten. Solchen Fragen ist, und das lässt die Klimaschützer hier und da verzweifelt scheinen, mit Performances nicht mehr beizukommen. Es ist keine »schlechte Performance« von Alexander Dobrindt, wenn er die Protestierenden in die Nähe der RAF rückt, es ist dreiste Ignoranz.
Da ist die Evangelische Kirche, wenn sie – irgendwie rührend – ihre Schäflein zum Tempolimit 100 auf Autobahnen auffordert, schon weiter als die Politik und erst recht die Autoindustrie.

Gerade für die Gestaltung öffentlicher Räume wird die Aufgabe, Bühne der zunehmend performativen Gesellschaft zu sein, alltäglich. Aufenthaltsqualität allein genügt nicht. Da sei nun wieder an die ursprünglichen Kompetenzen der Architektenschaft appelliert, die sich auch künftig – so hoffen wir – nicht im Performativen erschöpfen.


1) Charles Harrison, Paul Wood (Hrsg., für die deutsche Ausgabe ergänzt von Sebastian Zeidler): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. 2 Bde. Stuttgart 1998, Bd. 2, Seite 863

2) Kuno Lorenz, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart 2004, Seite 85-86

3) Thomas Fromm: Das Leben ist eine Baustelle. In: Süddeutsche Zeitung, 17.11.2022, Seite 13