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Das Deutsche Architekturmuseum präsentiert die Baugeschichte der Paulskirche – und setzt an wichtiger Stelle mit der naiv gestellten und der vox populi folgenden Frage, ob sie im Zustand von 1848 rekonstruiert werden solle, fachliche Kompetenz aufs Spiel. Die denkmalgeschützte Paulskirche steht als einzigartiges Entwicklungszeugnis der deutschen Demokratie nicht zum Abriss zur Verfügung. Der wäre Voraussetzung für eine Rekonstruktion des Zustands von 1848.


Zwischen Hochhäusern verzwergt: Die wiederaufgebaute Paulskirche ist der Ort, an dem die junge Republik sich politisch und kulturell selbstkritisch und auf intellektuell hohem Niveau an die Öffentlichkeit richtete und stets – etwa mit der Verleihung des Friedenspreises, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels jährlich vergibt –

Zwischen Hochhäusern verzwergt: Die wiederaufgebaute Paulskirche ist der Ort, an dem die junge Republik sich politisch und kulturell selbstkritisch und auf intellektuell hohem Niveau an die Öffentlichkeit richtete und stets – etwa mit der Verleihung des Friedenspreises, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels jährlich vergibt – weiterentwickelte. (Bild: Ursula Baus)

Schon der Titel lässt stutzen: Wieso steht die Paulskirche „unter Druck“? Wie alle Gebäude, die je in der Republik oder andernorts gebaut wurden, braucht auch die Frankfurter Paulskirche Pflege. Dem Rang des Gebäudes entsprechend, wäre eine besondere Pflegesorgfalt unbedingt Pflicht gewesen, aber seit 1948 ist stets nur vielfältig Nötigstes, in den 1980er Jahren immerhin etwas mehr gemacht worden. Aber noch immer werden beispielsweise Stromkabel mit gestreiften Klebebändern auf dem Boden befestigt – haustechnisch ein Witz. Sich regelmäßig um den Bestand kümmern – dieser Pflicht kam die Stadt leider nicht hinreichend nach, so dass die jetzt anstehende Sanierung zwangsläufig teurer als üblich ausfallen dürfte. Jeder Haus- oder Wohnungsbesitzer weiß um diese Zusammenhänge.

Skandalisierung

„Druck“ suggeriert die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum, weil „Stimmen laut“ geworden seien, die eine Rekonstruktion der Paulskirche im Zustand von 1848 fordern. Wer oder was sind „Stimmen“? Wenn der gesetzlich wirksame Denkmalschutz entschieden hat, die Paulskirche im jetzigen Zustand zu erhalten, dann sind „Stimmen“ eine befremdliche Gefahr für eine juristisch geklärte und baukulturell ohnehin gute Entscheidung.

Blick aus dem ehemaligen Regieraum in den Saal, 2019 (Foto: Moritz Bernoully)

Blick aus dem ehemaligen Regieraum in den Saal, 2019 (Foto: Moritz Bernoully)

Zur Paulskirche hatte sich der inzwischen aus Altersgründen aus der ZEIT-Redaktion ausgeschiedene Benedikt Erenz 2017 in einem Beitrag geäußert.i Die darin angeführte, manifestartig formulierte Forderung, die Paulskirche zu rekonstruieren, hätte man als Zeitungsente oder witzige Finte abtun können. Sie war jedoch ernst gemeint, und die Strategie des Autors ist bemerkenswert. Unter anderem schrieb er sinngemäß: Weil die Garnisonkirche in Potsdam rekonstruiert werde,ii solle man sich auch die Paulskirche vornehmen. Wo ist hier ein rechtfertigender, logischer Zusammenhang zu erkennen?iii Kurz erläuterte er den hohen Sanierungsbedarf der Paulskirche, nannte ihn ein „Desaster“, um dann den Hebel umzudrehen und von einer „Riesenchance“ zu reden: „…der Bau braucht nicht nur neue Technik und vielleicht sogar ein neues Dach. Die Paulskirche braucht eine ganz andere Fassung, will sie ihrem Rang für diesen Staat endlich gerecht werden.“iv Rudolf Schwarz habe „leider nichts von der politischen Bedeutung der Paulskirche begriffen“. Geblieben sei nur „ein endlos leerer, weißer, purgierter, gleichsam abstrakter Raum (…). … mehr Deckel als Kuppel … schmale Strickleitern Neongelamp. (…) Wer in dieser fahlen Frömmigkeit, diesem völlig enthistorisierten Raum noch das Parlament von 48 erkennen will, braucht sehr viel Fantasie“. Vielmehr solle hier „der parlamentarische Raum zu erleben“ sein.

Links: Schnitt durch die Paulskirche im Zustand 1848 und 1948 (Grafik: Feigenbaumpunkt); rechts daneben die Paulskirche während der Entrümmerung 1947 (Foto: Elisabeth Hase, Robert Mann Gallery, New York)

Links: Schnitt durch die Paulskirche im Zustand 1848 und 1948 (Grafik: Feigenbaumpunkt); rechts daneben die Paulskirche während der Entrümmerung 1947 (Foto: Elisabeth Hase, Robert Mann Gallery, New York)

Erenz argumentierte bar bauhistorischen Wissens. Die Paulskirche lag 1948 in Trümmern, und Rudolf Schwarz entwickelte aus der damaligen Gegenwart heraus eine Haltung, die man als angemessen anerkennen muss: Der von Deutschland angezettelte Weltkrieg war kaum vorüber, eben erst war „das Volk“ einem menschenverachtenden Diktator hinterhergerannt, hatte ihn gewählt, ihm brüllend gehuldigt. Mir nichts, Dir nichts an eine Phase vor zwei Weltkriegen anknüpfen: Das war abstrus. Zwei von Deutschland ausgegangene Weltkriege ausblenden wollte und konnte Rudolf Schwarz, konnte die Planungsgemeinschaft Paulskirche nicht.

Links: Entwurf des Saals, etwa 1946, Planungsgemeinschaft Paulskirche, Kohlezeichnung, Deutsches Architekturmuseum; rechts: Blick aus dem Regieraum, 1948 (Foto: Elisabeth Hase, Robert Mann Gallery, New York)

Links: Entwurf des Saals, etwa 1946, Planungsgemeinschaft Paulskirche, Kohlezeichnung, Deutsches Architekturmuseum; rechts: Blick aus dem Regieraum, 1948 (Foto: Elisabeth Hase, Robert Mann Gallery, New York)

Links: Treppenaufgang zum Saal, etwa 1946, Planungsgemeinschaft Paulskirche. Kohlezeichnung, Deutsches Architekturmuseum; rechts: Treppenaufgang etwa 1948 (Foto: Artur Pfau, Institut für Stadtgeschichte)

Links: Treppenaufgang zum Saal, etwa 1946, Planungsgemeinschaft Paulskirche. Kohlezeichnung, Deutsches Architekturmuseum; rechts: Treppenaufgang etwa 1948 (Foto: Artur Pfau, Institut für Stadtgeschichte)

Bestand und Analysen

Die bis 2012 CDU-geführte Stadt beauftragte immerhin Architekten mit einer Bauaufnahme der Paulskirche. Das ist ein bewährtes und in jeder Hinsicht gerechtfertigtes Verfahren, um Gebäude solcher Bedeutung kontinuierlich als Baukultur zu vergegenwärtigen und in technischen Aspekten zu analysieren. In der aktuellen DAM-Ausstellung – kuratiert von Maximilian Liesner und Philipp Sturm – geht es nun kaum um diesen technischen Zustand, sondern ergänzend um eine bauhistorische Analyse. Die Paulskirche in ihrer jetzigen, vereinzelt – etwa mit neuen Fenstern und Wandgemälden – behutsam veränderten Fassung, fasziniert in einer hellen, eleganten Atmosphäre, die ihren Reiz auch durch die unterschiedlichen Zonierungen erhält.

Wandelhalle, etwa 1948 (Foto: Artur Pfau, Institut für Stadtgeschichte)

Wandelhalle, etwa 1948 (Foto: Artur Pfau, Institut für Stadtgeschichte)

Man kann sich der feierlichen, aber nicht monumentalen Wirkung des Raums kaum entziehen, zumal, wenn man sich der Friedenspreis-Verleihungen erinnert, die seismographisch Aufschluss über den Zustand der deutschen Demokratie geben. Kein anderes Veranstaltungsformat in bleibender Kulisse hat je den Intellektuellen in Deutschland eine solche Bühne bieten können, ohne Schischi und Show, Pracht und Pomp. Allenfalls denkt man an den Karlspreis an jene, die sich um Europa verdient gemacht haben; der Preis wird im Aachener Dom verliehen – auch kein medientaugliches, für die Gäste komfortables Haus.

Präsidentenzimmer mit Buntglasfenster von Karl Knappe aus dem Jahr 1952 (Foto: Moritz Bernoully, 2019)

Präsidentenzimmer mit Buntglasfenster von Karl Knappe aus dem Jahr 1952 (Foto: Moritz Bernoully, 2019)

Die Geschichte der Paulskirche ist in der Ausstellung umfangreich, mit Zeichnungen, Plänen, Modellen und Fotos aus vielen Phasen dargestellt. Und dem vom DAM beauftragten Fotografen Moritz Bernoully gelingt es hervorragend, weil unspektakulär, die Atmosphäre der 1948er-Paulskirche in Bilder zu fassen. Ein Ausstellungshaus ist die Paulskirche nicht, auch kein Museum, kein Forum – eine Überfrachtung des Bestands mit Funktionen, die er nicht erfüllen kann, macht keinen Sinn. Und damit zur Denkmalpflege.

Denkmalpflege und Ästhetik

Denkmalpflege hat keine ästhetischen Vorlieben zu schützen, sondern – im Gegenteil – hochwertige Bausubstanz vor dem Furor der Ästheten und Einzelinteressen über die Zeiten zu retten. Mitte der 1970er Jahre wurde sie zu Recht und leider auch recht spät zu jener gesetzlich wirksamen Instanz, die auch dem Druck des Kapitals entgegenwirkte. Längst widmet sie sich der Nachkriegsarchitektur – mit Konsequenzen zur denkmalpflegerischen Praxis, die sich auf Bestand bis in die Gegenwart einlassen muss.v Sie kontextualisiert Architektur in Zeitgeschehen. Nun gehören beispielsweise zur Geschichte der deutschen Demokratie ja nicht nur die Nationalversammlung 1848 in Frankfurt, sondern auch zuvor das Hambacher Fest 1832 und dann die Weimarer Verfassung 1919. Und erst nach 1945 begann jene Phase, in der sich die Demokratie finden, etablieren und bewähren musste. Genau am Beginn dieser Phase, einer Art Bewährungsfrist, wirkte Rudolf Schwarz mit der Paulskirche, die inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert in einzigartiger Weise die Demokratiebewährung dokumentiert, siehe oben, denke man eben an Reden und Laudationes und Kontroversen von Theodor Heuss und Ernst Reuter, Ernst Bloch und Hannah Ahrendt, Alexander Mitscherlich, Jürgen Habermas, Martin Walser, Jorge Semprun, Aleida und Jan Assmann und vielen, vielen anderen. Schwarz und die Planungsgemeinschaft schrieben mit der Paulskirche deutsche Architekturgeschichte, in „ihrer“ Paulskirche nach 1948 ereignete sich Zeitgeschichte von herausragender Bedeutung.

Volk und Bürger

In dem Zusammenhang kann es nur gut sein, wenn Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in der Paulskirche auch den Bund zuständig und in finanzieller Verantwortung sieht – auch beim Hambacher Schloss wusste man die Kommune durch das Land Rheinland-Pfalz zu unterstützen. Wie soll das alles funktionieren? Die Gemengelage zwischen Politik und Baupraxis, Denkmalpflege und Architekturgeschichtsschreibung, „Volk“ und „Bürgern“ in der politischen Praxis und in neuen Vernetzungskanälen – sie wird hektisch.

Pinnwand in der Ausstellung des DAM: Zu den eingesammelten "Stimmen" sollen Post-its – Klebezettel – mit Stimmen der Besucher kommen. (Bild: Ursula Baus)

Pinnwand in der Ausstellung des DAM: Zu den eingesammelten „Stimmen“ sollen Post-its – Klebezettel – mit Stimmen der Besucher kommen. (Bild: Ursula Baus)

Der DAM-Ausstellung sind deswegen Unmengen interessierter und wissensdurstiger Besucher zu wünschen, die auch den Katalog lesen. Zweierlei ist allerdings nicht nachzuvollziehen: Die Kuratoren verlassen den gut gewählten Pfad der Aufklärung und Wissensvermittlung, wo sie mit einer ans Lächerliche grenzenden „Post it“-Aktion die Besucher über Rekonstruktion und Sanierung abstimmen lassen. Denn genau in solchen Aktionen liegt eine der Quellen politischer Verunsicherung: Wer unqualifizierten „Stimmen“ zu viel Bedeutung beimisst und jemandem zuhört, der dummdreist seine „Ich-Position“ in eine „Wir“-Forderung katapultiert und seine eigene Ansicht als die aller ausgibt, leistet Vorschub für Vertrauensverluste in Wissenschaften und fürs Entscheiden gewählte Repräsentanten der Politik.

Eröffnung der Nationalversammlung (mit abgehängter Zwischendecke) am 18. Mai 1848, Kreidelithografie, Historisches Museum Frankfurt; rechts: Innensicht der Paulskirche mit Empore, etwa 1833, Tuschezeichnung (Hiistorisches Museum Frankfurt)

Eröffnung der Nationalversammlung (mit abgehängter Zwischendecke) am 18. Mai 1848, Kreidelithografie, Historisches Museum Frankfurt; rechts: Innensicht der Paulskirche mit Empore, etwa 1833, Tuschezeichnung (Hiistorisches Museum Frankfurt)

 

Zweierlei: Denkmal und Haus der Demokratie

Die Paulskirche steht unter Denkmalschutz. Den Denkmalschutz mit dem Argument aushebeln zu wollen, „Wir“ oder „das Volk“ oder „die Bürger und Bürgerinnen“ wüssten es besser oder wollten es anders, muss von einer klar positionierten und entscheidungsfähigen Politik unterbunden werden. So muss man den Eiertanz des derzeitigen OBs Peter Feldmann (SPD) beklagen, der auf einmal einen „Bürgerdialog“ über die Paulskirche und ein Demokratiezentrum anregt.vi
Ein Mal mehr: Das Baugutachten muss her und die Paulskirche nach den Vorgaben des Denkmalschutzes saniert werden, der sehr genau weiß, wo und wie zeitgemäße Aspekte zu berücksichtigen sind. Wie ein Haus oder Forum der Demokratie aussehen muss – das möge der OB gern breit beraten, weist aber auf eine ganz andere Baustelle, bei der Benedikt Erenz in seinem Metier wäre. Er hat ja Recht, wo er verlangt, dass es einen Ort geben sollte, an dem über die Etappen der Demokratiegeschichte informiert, über den Zustand der Demokratie beraten und diskutiert werden kann. Am besten schenkt man gleich mehreren solcher Orte angemessene Aufmerksamkeit – in Hambach, in Weimar, in Frankfurt.

Der Paulsplatz, nach dem Entwurf von ASPLAN, 1975 (Foto: Department Studios Filmproduktion, Thomas Pohl, 2016)

Der Paulsplatz, nach dem Entwurf von ASPLAN, 1975 (Foto: Department Studios Filmproduktion, Thomas Pohl, 2016)

So ließe sich die Sache also vereinfachen: Die fachgerechte Sanierung des Gebäudes sind der Stadt, dem Bund und der Denkmalpflege in Zusammenarbeit mit erfahrenen Architekten anzuvertrauen. Die Wüstenrot Stiftung mit ihrer fulminanten Erfahrung auf diesem Gebiet einzubeziehen, wäre mehr als ratsam – zumal sie auch die Ausstellung bereits unterstützt hat. Gut wäre in dem Kontext, wenn Paulskirchen-fremde Funktionen dann in einem eigenen Haus angemessenen Platz fänden. Eine solche, durchaus notwendige Ergänzung im Sinne einer Bildungs- und Debattenstätte könnte ein Experiment im Sinne demokratischer Entscheidungsfindung werden.


Ausstellung
Im Deutschen Architekturmuseum bis zum 16. Februar 2020

Katalog
Maximilian Liesner, Philipp Sturm, Peter Cachola Schmal und Philip Kurz: Paulskirche. Eine politische Architekturgeschichte / A Political Story of Architecture. 27 x 19,5 cm, 160 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
av edition Stuttgart, ISBN 978-3-89986-315-4,
in der Ausstellung 29 Euro, im Buchhandel 39 Euro


Benedikt Erenz: Was wird aus der Paulskirche? In: Die Zeit, 12. Oktober 2017, Seite 21

ii  siehe dazu Philipp Oswalt: https://www.deutschlandfunkkultur.de/philipp-oswalt-zum-wiederaufbau-der-garnisonkirche-diese.1013.de.html?dram:article_id=451906

iii  Allenfalls ließe sich schließen, dass auch die Rekonstruktion der Garnisonkirche eine Fehlentscheidung gewesen ist, siehe dazu Philipp Oswalt >>>

iv  Erenz, 2017, s.o.

Dazu veröffentlichen wir in Kürze hier einen Beitrag eines Denkmalpflegers.

vi  In einer Veranstaltung, zu der es in der Süddeutschen Zeitung hieß: „Einen ganz handfesten Rat gab die Frankfurter Hochschullehrerin und Konfliktforscherin Nicole Heitelhoff dem Oberbürgermeister auf seiner Suche nach Antworten mit. Mit Blick auf das gemischte, in Wahrheit aber doch recht homogene Publikum im Kaisersaal – alles Leute, die sich regelmäßig für städtische Dinge und das Zusammenleben am Main engagieren – empfahl sie, die Menschen anzusprechen, die sich nicht in den üblichen Zirkeln wie dem im Kaisersaal einfinden. Ihre Empfehlung: ‚Gehen Sie zum Mainuferfest, zur Eintracht Frankfurt und zu den Festivitäten in den Stadtteilen!'“ (Susanne Höll: Ein Denkmal wird saniert. In: Süddeutsche Zeitung, 22. August 2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/frankfurter-paulskirche-ein-denkmal-wird-saniert-1.4572466)