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Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich breit, als bekannt wurde, Verena Hubertz werde Bundesbauministerin. Die Ratlosigkeit mündete in besten Wünschen für die Ministerin – und es stand durchaus ihre Qualifikation zur Debatte. Was sie für die ersten hundert Tage vorhat, offenbarte die 37-jährige Ministerin unter anderem in einem Gespräch, das im öffentlich-rechtlichen ARD-Morgenmagazin am 23. Mai 2025 ausgestrahlt wurde. Was demnach auf die Architektenschaft zukommt, lässt sich allmählich mutmaßen.

oben: Der Bagger rollt (Bild: Wolfgang Bachmann)

Vita Verena Hubertz (Bild: ARD Morgenmagazin)

Vita Verena Hubertz (Bild: ARD Morgenmagazin)

Eingeleitet wurde die Sendung im ARD Morgenmagazin (23.5.25) 1) mit den Worten: „Schön soll sie sein, die neue Wohnung, günstig gelegen und bezahlbar. Das wird immer mehr zur Herausforderung vor allem in Großstädten.“ Da hörten wir es wieder: das Wort „Herausforderung“, das omnipräsent im Politgeschwafel jedes Problem – ob es eines ist oder nicht – neutralisiert und verharmlost. Die Ministerin wurde vorgestellt als eine der wenigen, die in dem Bereich, in dem sie eingesetzt werden, schon gearbeitet habe. Sie war für die SPD in entsprechenden Ausschüssen.

In der eingeblendeten Vita steht nun „Unternehmerin“. Das war sie nicht im Bauwesen, sondern in einer Kochrezept-Branche, wozu es > auf ihrer Website heißt:
„In meiner Abizeitung stand: ‚Auch wenn Verena in der Restaurantbranche [Burger King] arbeitet, sollte man besser nicht mit ihr kochen.‘ Rezepte und vorausgesetzte Techniken überforderten mich und das wollten wir ändern. Meine Mitgründerin Mengting und ich zogen 2013 nach Berlin, um das klassische Kochbuch innovativ weiterzudenken und per App aufs Handy zu bringen. Wir wollten in Videos und Schritt für Schritt zeigen, wie einfach Kochen sein kann – auch für mich. Dafür suchten wir Startkapital, es wollte aber niemand in unsere Idee investieren. Damals haben wir sehr an uns gezweifelt und überlegt, die Idee über den Haufen zu werfen. Wir gaben aber nicht auf und fanden einen Weg. Wir verkauften das Auto meiner Mitgründerin und sammelten etwa 25.000 € aus dem Familien- und Freundeskreis ein. Kitchen Stories, so hieß unsere App, startete 2014 und wurde direkt zu Beginn von Apple entdeckt. Jetzt kamen die Investoren auf uns zu. Aus der Vision, dass jeder mit dem richtigen Werkzeug Freude am Kochen haben kann, ist inzwischen ein Unternehmen mit 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzern und über 50 Mitarbeitenden mit 18 Nationalitäten geworden. Ein besonderer Moment war der Besuch von Apple Chef Tim Cook in unserer Startup Küche 2017. Ende 2020 habe ich Kitchen Stories verlassen, um zurück in meine Heimat zu ziehen und hier für die SPD bei der Bundestagswahl anzutreten.“2)

Aber nun: Wohnen

Merz‘ Rezept, so hieß es in der Sendung, sei „Bauen, Bauen. Bauen“. Damit trötet der im Bauen unbedarfte Kanzler wie seine im Bauen unerfahrene Bauministerin in das Rohr der Bauwirtschaftslobbyisten. Diese Lobbyisten interessiert alles, aber nicht die mühsame Auseinandersetzung mit dem Bestand, die beim Wohnen ausschlaggebend in großen und kleinen Städten, Metropolregionen oder Dörfern sein wird. Mit dieser Bestandsaufgabe verdient die Bauwirtschaft nicht annähernd so viel und so leicht wie mit standardisiertem Neubau.
In der ARD kommt immerhin die Kritik zur Sprache, das Bauen sei nicht die Lösung, vielmehr stelle sich die Frage: „Wer baut was? Denn Sozialer Wohnungsbau und anderer günstiger Wohnungsraum wird immer knapper.“
Interessenverbände stehen Schlange vor der Ministerin, die mit ihren Vokabeln „Bauen, Bauen, Bauen“, „Turbo“ und „Brechstange“ auf den Lippen strahlt und strahlt und strahlt.

Im Gespräch mit Sabine Scholt vom ARD-Morgenmagazin geht es dezidiert um Wohnungsbau; die Versäumnisse der Ampel-Regierung in der – ohnehin vielfach hinterfragten Quantität von 400.000 Wohnungen – werden einleitend genannt.
Verena Hubertz sagt nun: „Bauen und Wohnen, das ist die soziale Frage unserer Zeit. Und wir müssen natürlich an vielen Stellschrauben drehen. Ich habe das für mich auf drei ‚Ts‘ runtergebrochen. Wir brauchen Tempo, wir brauchen Technologie, um auch die Baukosten runter zu bringen, und wir brauchen Toleranz, denn wir müssen auch bauen wollen, und wir haben ja oft die Situation in Deutschland, ja überall, aber nicht in meinem Hinterhof. „ (…)

> Tempo: Was heißt das konkret: schnell bauen? Die Interviewerin setzt nicht nach. Sollen die rollenden Bagger rasen dürfen? Sollen im Vorfeld Genehmigungsprozesse, Bürgerbeteiligungen, Umweltverträglichkeit, Energieprognosen keine Rolle mehr spielen?

> Technologie: Welche Technologie macht das Bauen billiger? Plattenbau? Fertighäuser aus den einschlägigen Katalogen? Standards, 0815? Welche Technologie soll in welcher Phase des Bauens zur Verbilligung des Bauens beitragen? Entwurf mit KI statt mit ArchitektInnen? Fallen Ausschreibungsvorschriften weg, die in der Praxis zeitaufwändig sind?

> Toleranz: Meint die Ministerin, dass Nachverdichtung angesagt ist, oder dass Neubaugebiete neben existierenden Wohngebieten ausgewiesen werden sollen, die am Waldrand oder am Naturschutzgebiet oder sonstwo liegen?

„Wir haben jetzt vor, in den ersten hundert Tagen dieser Regierung den sogenannten Bauturbo auf den Weg zu bringen. In Deutschland (…) dauert es manchmal länger, den Antrag, den Bebauungsplan aufzustellen als dann nachher auch zu bauen. Jetzt kriegen die Kommunen, die Städte, die Gemeinden eine Brechstange an die Hand, damit das alles ganz, ganz, ganz, ganz fix geht. (…) Das ist ein Paragraph im Baugesetzbuch, den wir jetzt einführen, und der ermöglicht, dass es eben nicht fünf Jahre dauert, sondern dass man auch direkt loslegen kann, und das brauchen wir, denn wir müssen eben auch mehr bauen, um unsere Wohnungsziele auch zu erreichen. Also mehr Wohnungen und mehr bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. (…) „

Welche bestehenden Genehmigungs- und Baurechts- und Kontrollgesetze werden damit ohne jegliche Differenzierung außer Kraft gesetzt? Was heißt „bezahlbar“? Wer ist „wir“?

Immer wieder: das Geld, die Renditen

„Wir investieren auch in den Sozialen Wohnungsbau, allein dieses Jahr 3,5 Milliarden, und da muss, und da wird auch noch mehr gehen. (…) Ich bin dafür, dass die Bagger rollen, aber ich werde die Bagger nicht selbst rollen lassen. Weil die Wohnungen werden ja vor Ort gebaut, also von kommunalen Wohnungsbauunternehmen, von der Wohnungswirtschaft. Und wir als Bund geben das Geld an die Länder, die legen auch nochmal jede Menge drauf, so dass aus den 3,5 nochmal viel mehr wird. Und das wird dann dort eingesetzt, wo der Wohnungsmarkt besonders angespannt ist.“

Damit deutet sich an, dass die steuergeldlich zu finanzierenden Milliarden des Schuldenpakets ohne Rücksicht auf bestehende Baugesetze durchgereicht werden an die Privatwirtschaft, die ihren Profit davon einstreicht – generell dort, wo es sich mit satten Renditen lohnt. Bund, Länder und Kommunen wären aber gut beraten, eigentümerisch selbst zu investieren und den Markt gemeinnützig zu steuern. In der Wertschöpfungskette entfielen dann die privaten Renditen der Wohnungswirtschaft. Dass vor Jahren das öffentliche „Tafelsilber“ – Wohnungsbauten, Grundstücke – an Private verscherbelt wurden, um Haushaltslöcher zu stopfen, wird aber jetzt im großen Stil potenziert, indem Steuergeld gleich in die Privatwirtschaft gelenkt wird.

Es geht im Interview auch um die Mietthematik – und die Zusicherung der Ministerin – beraten von einer Experten-Kommission – , dass die Mietpreisbremse fortgesetzt werde, wird ergänzt durch eine Verlautbarung aus dem Verband der privaten Hausbesitzer, dass man doch unterscheiden möge zwischen den Heuschrecken und international agierenden Immobilienkonzernen und BürgerInnen, die ein oder zwei Wohnungen in Deutschland vermieten.

Zurück zum Interview. Die Ministerin räumt ein: „Aber der Markt ist eben so komplex, dass nicht jede Antwort jetzt schon ausbuchstabiert fertig ist.“

Jedoch werden dank der drei ‚Ts‘ die Milliarden schon mal ausgegeben, der Markt wird’s schon richten. Dabei weiß Jede/r, dass die Verwaltungen ihrer Interessen ausgleichenden Arbeit, die damit auf sie zukommt, überhaupt nicht nach kommen können. Sie haben schlichtweg zu wenig Personal. Macht nichts, dann werden – Tempo! – Baugenehmigungen eben ungeprüft erteilt?


Fehlanzeigen

Nun seien noch Begriffe und Themen genannt, die die Ministerin nicht ein einziges Mal erwähnt:

Bauen im Bestand – eine ökologische Pflicht

Leerstandsaktivierung – ein baukulturelle Notwendigkeit, denn Eigentum verpflichtet

Standortbezogene Wirtschaftspolitik – ein grundgesetzliches Gebot

Klimawandel und seine Folgen – kommen nicht vor beziehungsweise nur als Faktor in den Nebenkosten

Nachhaltigkeit, Resilienz – tauchen nicht auf.


Kahlschlag – es geht aber auch anders!

Die drei ‚Ts‘ der Ministerin signalisieren ein Konjunkturprogramm für banalen Neubau, mit dem alles zunichte gemacht wird, was über Jahrzehnte im Sinne ökologischer Dringlichkeit und sozialverträglich entwickelt worden ist. Die Innenstädte werden noch mehr veröden, Grünflächen werden in horrendem Maß versiegelt, teure neue Infrastrukturen mit Schwerpunkt Automobilität bezahlt.
Was eine Stadt mit Leerstandsbekämpfung erreichen kann, zeigt unter anderem ein Ort in Rheinland-Pfalz, aus dem Bundesland, in dem die Ministerin aufgewachsen ist. Was in >>> Landau in Angriff genommen worden ist, um Wohnungsbedarf zu decken, ist vorbildlich, baukulturell ambitioniert, ökologisch sinnvoll und trägt zur Qualität des Wohnens in der Innenstadt bei.

Vielleicht sind Architektenkammern und -verbände bereit, die Ministerin wegen Machtmissbrauchs zur Rechenschaft zu ziehen? Das glaube ich nicht, denn Architekten und Bauingenieure und alle am Bau Beteiligten wollen ja mitverdienen und vom 500 Milliarden-Kuchen etwas abhaben. Leider nur Wenige werden versuchen zu retten, was zu retten ist von dem, was nach über einem Jahrhundert Forschen und Experimentieren zum menschen- und weltverträglichen Bauen die jüngere Architektur- und Stadtgeschichte prägt.

Frei Otto wäre vor wenigen Tagen 100 Jahre alt geworden. Er erkannte als experimentierender und praktizierender Architekt und Hochschullehrer die Zeichen der Zeit in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang – und es gab sogar BauministerInnen, die ihn unterstützten. In den Ministerien haben über Jahrzehnte viele MitarbeiterInnen dafür gearbeitet, auch dafür gekämpft, dass dem Raubbau an sozialer Gerechtigkeit und natürlichen Lebensgrundlagen im Bereich des Bauens entgegengewirkt wird.

Tempi passati, wenn die Ministerin der Bauwirtschaftslobby und nicht ihren MitarbeiterInnen zuhört.