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Der Blick auf das erfüllte Architektenleben von Rolf Gutbrod (1910 – 1999) – eines bescheidenen, deutschen „global players“ im 20. Jahrhundert – ist in Zeiten allzu hurtigen Abrissbegehrens wichtig. Hinterließ Gutbrod doch unter anderem in Stuttgart, Köln, Berlin, Wien sowie in Saudi-Arabien deutliche Spuren. Von seiner Herkunft anthroposophisch geprägt, aber nie dogmatisch unterwegs, wird er von baukunsthistorischer Seite dem organischen Bauen (Hugo Häring, Hans Scharoun, Alvar Aalto) zugerechnet. Joachim Kleinmanns rückt in seiner Werkschau unter der Überschrift „Eine Haltung, kein Stil“ einiges zurecht.

Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, 1964-68 von Rolf Gutbrod gebaut. (Bild: Raimond Spekking, Wiki Commons)

Joachim Kleinmanns: Eine Haltung, kein Stil. Das architektonische Wer von Rolf Gutbrod. Format 21,3 x 23,1 cm, 300 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 28 Euro. ISBN 978-3-86922-757-3

Joachim Kleinmanns: Eine Haltung, kein Stil. Das architektonische Wer von Rolf Gutbrod. Format 21,3 x 23,1 cm, 300 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 28 Euro.
ISBN 978-3-86922-757-3

Eine straff gefasste, dennoch inhaltsreiche Biografie, gespeist aus dem Nachlass Werkarchiv Rolf Gutbrod am saai in Karlsruhe und weiteren Quellen skizziert Werdegang und berufliches Umfeld.
Im Kern des Buches werden ausgewählte Bauten eingehend – mit reichlich zeitgenössischem Bildmaterial unterstützt – beschrieben. Leider fehlt hier das Heizhaus der ehemaligen Flakkaserne von 1939 in Friedrichshafen. Es eröffnet zwar das später folgende Fotoessay und taucht leider nur als Projekt Nr. 8 im Werksverzeichnis auf. Als denkmalgeschütztes Objekt steht es – renoviert im Jahre 2014 – am Rande des neuen Campus der Zeppelin-Universität und harrt der Zuführung zu einer geeigneten (kulturellen) Nutzung.

Heizhaus in Friedrichshafen von Rolf Gutbrod (Bild: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 3/2019)

Heizhaus in Friedrichshafen von Rolf Gutbrod (Bild: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 3/2019)

Das expressionistische Erscheinungsbild resultiert aus der technischen Binnenstruktur des Gebäudes. Gutbrod löst sich früh von seinen Lehrern Schmitthenner und Bonatz.
Die Liederhalle Stuttgart ist ein erster Höhepunkt in seinem Schaffen und ein früher Beleg für seinen ganz spezifischen Einfallsreichtum. Dabei erfüllen die Säle bis heute höchste Ansprüche an die Akustik. Die Kunst ist integrativer Bestandteil der Architektur. Hahnhochaus in Stuttgart, IBM-Verwaltung und Dorlandhaus in Berlin bilden wichtige optische Orientierungspunke im jeweiligen städtebaulichen Kontext. Auch dem verdichteten Wohnungsbau ringt Gutbrod besondere Qualitäten ab.

Gutbrod vor dem Modell für den Pavillon zur Expo 1967 (© Archiv Karin Gutbrod, aus dem besprochenen Buch)

Gutbrod vor dem Modell für den Pavillon zur Expo 1967 (© Archiv Karin Gutbrod, aus dem besprochenen Buch)

Der zu Unrecht oft vorrangig mit dem Namen Frei Otto verbundene deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal darf hier nicht fehlen, auch wenn Kleinmanns diesem Objekt bereits kürzlich ein ganzes Buch gewidmet hatte. Gutbrod bestimmte die Gestaltung der bewegten Ausstellungsebenen ebenso wie die Form der Zeltlandschaft. Der Lohn: der Prix Auguste Perret der UIA.
Dass im Anschluss an die Werkschau der heutige Zustand der Bauten in einem sogenannten Fotoessay isoliert zusammengefasst wird, könnte man bedauern. Der Projektdokumentation zugeordnet wären die jeweiligen Motive hilfreicher. Vielleicht hat ja auch ein verlagsseitiger Wunsch nach einem Farbbogen dazu geführt.

Der Werkkatalog, streng chronologisch aufgebaut, belegt mit 251 Projekten die Vielseitigkeit im Schaffen des Protagonisten. Auf jeden Fall verführt das hier präsentierte vielfältige Werk Rolf Gutbrods umgehend zu weiterführenden Recherchen. Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, dass sich Sir Norman Foster für sein Zelt in Astana erste Anregungen bei Gutbrods Monarto-Projekt in Australien holte.

Verwaltungsgebäude der IBM am Ernst Reuter-Platz in Berlin, gebaut von Rolf Gutbrod in den Jahren 1959-63 (Bild: aus dem besprochenen Buch)

Verwaltungsgebäude der IBM am Ernst Reuter-Platz in Berlin, gebaut von Rolf Gutbrod in den Jahren 1959-63 (Bild: aus dem besprochenen Buch)

Ein klarer Hinweis auf die Bedeutung des baulichen Schaffens von Rolf Gutbrod kann nicht zuletzt auch darin gesehen werden, dass nahezu alle wichtigen Bauten bereits vom Denkmalschutz erfasst sind. Da ist es gut zu wissen, dass im saai wichtige Informationen für kommende Sanierungsarbeiten zur Verfügung stehen.
Nach anfänglichem Zweifel scheint der Buchtitel bei DOM in der Reihe „Grundlagen“ bestens aufgehoben.


Zum Werk Gutbrods im saai Karlsruhe >>>


Aktuell:
Die Deutsche Botschaft in Wien von 1965, nicht unter Denkmalschutz gestellt, aber von docomomo als schutzwürdig gelistet, wurde nach einem Wettbewerb zur Sanierung 2014 („Für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) stand fest, dass Gutbrods Handschrift dabei weitgehend erhalten bleiben muss“) 2018 abgerissen.
In einem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt zu denkmalgeschützten Hochhausfassaden am Lehrstuhl für Neuere Denkmalpflege der TU München nimmt man sich aktuell der Fassaden des Hahn-Hochhauses in Stuttgart sowie des Dorlandhauses in Berlin an.