Wie alt müssen Kulturdenkmale sein? Diese Frage beschäftigt die Denkmalpflege bereits seit ihrer Entstehung. Im Denkmalschutzgesetz von Baden-Württemberg findet sich beispielsweise keine Altersgrenze für Kulturdenkmale. Gegenwärtige Debatten um herausragende Bauten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart hinein legen nahe, die Geschichte junger (Bau-)Kulturdenkmale aus Sicht der Inventarisation nachzuverfolgen und damit den Diskurs im Sinne der wissenschaftlichen Praxis zu versachlichen.
Begriff und Phänomen
Der Begriff „junge Kulturdenkmale“ meint die schutzwürdigen Zeugnisse einer noch nicht lange zurückliegenden Epoche der Architekturgeschichte, die dennoch als historisch abgeschlossene und damit bewertungsfähige Zeitschicht betrachtet wird. Damit haben sich auch frühere Generationen von Denkmalpflegern beschäftigt und jeweils etwas anderes darunter verstanden. Die Denkmalerfassung ist als wissenschaftliche Praxis zu beschreiben, die in eine sich wandelnde gesellschaftliche Auffassung von Geschichte und damit in veränderbare Perspektiven auf Baukultur und Kunst eingebettet ist. Eine Altersgrenze für Ausweisung von Kulturdenkmalen lässt sich nicht absolut fassen. Blicken wir beispielsweise zurück in die ersten Jahrzehnte der frühen institutionalisierten Denkmalpflege im Großherzogtum Baden oder im Königreich Württemberg, so wird deutlich, dass um 1880 die Zeugnisse der Barockzeit als „junge“ Kulturdenkmale galten und erst dann wie die mittelalterlichen Burgen, Schlösser und Rathäuser in die Denkmalinventare aufgenommen wurden. Um 1920 beschäftigten sich die Konservatoren und Kunstverständigen mit Bauten der Zeit bis 1850. Mitte des 20. Jahrhunderts erweiterten die etablierten Institutionen das Spektrum um Objekte der Zeit bis 1870. Um 1960 begann schließlich die denkmalfachliche Wertschätzung von Bau- und Kunstzeugnissen der sogenannten Gründerzeit und des Jugendstils.
Mit der modernen Denkmalschutzgesetzgebung in den frühen 1970er Jahren wurde erstmals, wenn auch noch vereinzelt, die Denkmalwürdigkeit von Bauten und Kunstzeugnissen der Zeit um 1950 diskutiert. Seither sind auch Zeugnisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgenommen worden. Um bewegliche Kulturdenkmale der Bau- und Kunstdenkmalpflege soll es im Folgenden ebenso wenig gehen wie um den Wandel in der Bodendenkmalpflege.
Wissenschaftliche Praxis
Zentral bleibt, ab wann Geschichte beginnt – ab wann Ereignisse und Prozesse in sich abgeschlossen und mit nötigem Abstand als Vergangenheit bewertbar werden – siehe den Beitrag in der Seitenspalte. Was muss also geschehen, damit wir die Historizität auch jüngerer Zeugnisse als Dokumente der Vergangenheit anerkennen können?
Beispielhaft stellt sich diese Frage der Denkmalpflege in Baden-Württemberg mit Blick auf das Denkmalschutzgesetz und die Geschichte der Gesetzesgenese in besonderer Weise. Während diverse Denkmalschutzgesetze im Deutschen Kaiserreich eine Altersgrenze für Kulturdenkmale in der einen oder anderen Form formulierten, war allein im Entwurf zum Denkmalschutzgesetz Württembergs von 1914 ein gewisser Spielraum zur Unterschutzstellung von Werken der Gegenwart vorgesehen. Auch das spätere Badische Denkmalschutzgesetz von 1949 verband den Begriff des „Kulturerbes“ nicht zwangsläufig mit Hinterlassenschaften der Vergangenheit. Vielmehr handele es sich um „Gegenstände alten oder neuen Ursprungs“, die „erhalten zu werden verdienen, insofern sie Erkenntnisquellen […] bilden, […] sei es durch künstlerische Gestaltung, meisterliche Ausführung, Eigenart oder Alter […]“ (§2 Abs. 1 Satz 1 BadDSchG).1 Die Badische Gesetzgebung wertete also nicht nur Merkmale wie „künstlerische Gestaltung“ oder „meisterliche Ausführung“, sondern bezog auch den Wert für Wissenschaft und einen spezifischen Erinnerungswert mit ein. Zwar galt die Frage ob der Denkmalbegriff auf Zeugnisse der Gegenwart auszudehnen sei bereits zu dieser Zeit durchaus als umstritten; in Baden jedoch beantwortete der Gesetzgeber deutlich und „im positiven Sinne“.2
Nach wie vor ist die juristische Auseinandersetzung mit Zeitgrenzen in den Denkmalschutzgesetzen im Allgemeinen und die Frage der Denkmaleigenschaft für Bauten der jüngsten Vergangenheit im Speziellen ein Thema der Denkmalpflege – als wesentlicher Aspekt der Denkmalkunde. Verstärkt durch den aktuellen Bauboom, den hohen Veränderungsdruck und eine gewisse geringere Halbwertszeit verwendeter Materialien steht die Gesellschaft nun jedoch vor die Aufgabe, den besonders gefährdeten jüngeren Baubestand nach schützenswerten Zeugnissen zu befragen. In den meisten Bundesländern Deutschlands ist die aktuelle Rechtslage aufgrund entsprechender Gegebenheiten gefordert.3
Inventarisation und Schwellenobjekte
Volker Osteneck, 1984-2004 Leiter des Referats Inventarisation, stellte 1988 folgende Frage: „Sollten nun Objekte Denkmalwert besitzen, die jünger sind als ein Großteil der Bevölkerung, entstanden in einer Zeit, die man bewusst miterlebt, z. T. sogar mitgestaltet hat?“.4 Damals beschäftigte er sich erstmals und programmatisch mit jungen Kulturdenkmalen aus Sicht der Inventarisation. Die Frage war rhetorisch, denn die Erfassung von Gebäuden der frühesten Nachkriegszeit in Verzeichnissen war bereits seit einigen Jahren in vollem Gange, und die Denkmalpflege erschloss sich bereits die Denkmalwerte der ersten Gebäude der 1960er Jahre. Osteneck begann mit den Wohnhäusern der Familie Schmitz in Biberach des Architekten Hugo Häring.
Die Bauten waren bereits 1970 in das damalige Landesverzeichnis Süd-Württemberg aufgenommen worden und gelten heute, da die Eintragung vor der Verabschiedung des Denkmalschutzgesetzes Baden-Württemberg im Jahr 1972 vollzogen wurde, als Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung gemäß § 28 DSchG BW. Die frühe Aufnahme der Gebäude Schmitz in ein Landesverzeichnis für Denkmale ist bemerkenswert, denn zum einen handelt es sich um die ersten Kulturdenkmale der Nachkriegsmoderne in einem baden-württembergischen Denkmalverzeichnis überhaupt. Und zum anderen liegen zwischen Gebäudeentstehung und Ausweisung als Kulturdenkmal gerade einmal 20 Jahre. Befragt man den bislang bekannten Denkmalbestand auch für die Bau- und Kunstzeugnisse der 1960er bis 1990er Jahren nach solchen Youngtimern, dann lässt sich eine Tradition erkennen, die in der inventarisatorischen Erfassung bis in die heutige Zeit nachvollziehbar ist.
Geschichte der Inventarisation junger Kulturdenkmale
Wann und wie ein Gebäude aus einer spezifischen Zeit oder die Baukultur einer ganzen Dekade in den Blickpunkt der Denkmalpflege rückt, hat verschiedene Gründe. Zum einen werden von der Denkmalpflege maßnahmenbezogene Überprüfungen vorgenommen, die bis heute immer dann notwendig werden, wenn Zeitzeugnisse aufgrund anstehender baulicher Veränderungen oder gar Abbruchgesuche zu verschwinden drohen. Die frühen Ausweisungen junger Kulturdenkmale, jener Schwellenobjekte wie beispielsweise die Biberacher Wohnhäuser der Gebrüder Schmitz, sind in diesem Zusammenhang vorgenommen worden. Zum anderen werden Kulturdenkmale seit den 1970er Jahren im Rahmen flächendeckender Erfassungen in die Verzeichnisse aufgenommen. Das Erkennen und Anerkennen junger Kulturdenkmale lässt sich als Prozess skizzieren, der sich stets in Wechselwirkung mit den wandelbaren gesellschaftlichen Auffassungen über die Wertigkeit vergangener Bau-, Kunst- und Kulturphasen vollzieht.
Die Erfassungsgeschichte junger Kulturdenkmale in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich gut nachvollziehen, wenn man den Zeitpunkt der jeweiligen Gebäudeerrichtung mit dem Zeitpunkt des Erkennens der Kulturdenkmaleigenschaft zueinander ins Verhältnis setzt. Beide Angaben lassen sich als Achsen eines Koordinatensystems verwenden und ermöglichen so eine Visualisierung der frühen Erfassung „junger“ Kulturdenkmale: Schwellenobjekte sind stets Teil des Prozesses der Inventarisation gewesen (in der Darstellung mit Pfeil markiert). Zum anderen wird deutlich, dass in der Regel selbst bei diesen Fällen ein zeitlicher Abstand von circa 20 bis 25 Jahren zwischen Entstehung des Objektes und dem Erkennen seines Denkmalwerts eingehalten wurde. Dieser vom Denkmalschutzgesetz zwar nicht explizit eingeforderte Abstand hat sich als sinnvoll erwiesen, ermöglicht er doch eine Überprüfung mit der Distanz ungefähr einer Generation. Kulturgeschichtliche Veränderungen sind so deutlicher zu überblicken oder zu begründen, außerdem können die architektonischen oder wissenschaftlichen Qualitäten eines Objektes grundlegender eingeordnet werden.
Wie stellt sich also die Erfassungsgeschichte dar? Werden in den 1970er Jahren die ersten Zeugnisse der 1950er Jahre in die Listen genommen, so folgen in den 1980er Jahren einzelne Kulturdenkmale der 1960er Jahre, in den 1990er Jahren dann jene der 1970er Jahre und so weiter. Diese Fälle stellen jedoch nur den „Erstkontakt“ dar und sind als „Schwellenobjekte“ noch eher Ausnahme als Regelfall. Regelhaft werden beispielsweise Kulturdenkmale der 1950er Jahre ab den 1980er Jahren, jene der 1960er Jahre ab den 1990er Jahren und jene der 1970er Jahre ab den 2000er Jahren in die Verzeichnisse der Bau- und Kunstdenkmalpflege aufgenommen.
Die Inventarisation seit den 1970er Jahren hat sich natürich nicht ausschließlich mit den Bau- und Kunstzeugnissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Die Erfassung von Kulturdenkmalen ist eine Daueraufgabe, die sich regelhaft im Rahmen von Listenüberprüfungen, nach Maßgabe jüngerer Erkenntnisse oder anlässlich von Baumaßnahmen weiterhin Zeugnissen aller vergangenen, auch älterer Epochen zuwendet.
Roaring Fifties
„Wann wird ein Gebäude Denkmal? Hierzu gibt es alte, konservative und neue, progressive Antworten, die gegenwärtig unter den Denkmalpflegern und Kulturwissenschaftlern auf internationaler Ebene diskutiert werden.“ 5. 1970 wurde die Aufnahme der Wohnhäuser Schmitz in ein Landesverzeichnis der Bau- und Kunstdenkmale kontrovers diskutiert, sie musste behutsam begründet werden. Da es sich um das erste in Baden-Württemberg erfasste Kulturdenkmal der Nachkriegsmoderne handelte, kam jener Überprüfung der Denkmaleigenschaft eine wegweisende Rolle zu, die später als Präzedenzfall dienen sollte. Doch wie kam es überhaupt zu dieser Überprüfung? Nach der Insolvenz der Seidenweberei-Unternehmer Schmitz beantragten die Stadt Biberach, Vertreter der Universität Stuttgart, die Akademie der Künste in Berlin, der Bund Deutscher Architekten sowie der Deutsche Werkbund eine Denkmalüberprüfung der Hugo-Häring-Gebäude. Denn das Grundstück sollte für die Gläubiger gewinnbringend verkauft und die Bauten abgerissen werden. Nach erfolgter Begehung legte das Staatliche Amt für Denkmalpflege Tübingen eine befürwortende Einschätzung zur Denkmaleigenschaft vor – und die „jüngsten“ Kulturdenkmale erhielten große öffentliche Aufmerksamkeit.
Ausschlaggebend war die Bedeutung des Architekten und seiner Rolle als Theoretiker des organischen Bauens – beides wurde bereits 1965 in einer Personen- und Werkbiographie gewürdigt. Begründet wurde die Denkmaleigenschaft mit der baugeschichtlichen Rolle der Biberacher Gebäude, als Manifestationen des organischen Bauens und Spätwerk eines bedeutenden Architekten. Es handelt sich um die einzigen nach 1936 verwirklichten Bauten Härings. Bereits in der Denkmalbegründung wurden die zentralen Gedanken Härings zum Thema Wohnen betont, die auch für spätere Architekten handlungsleitend sein sollten.
RPS-LAD, Hausner, 2011
Seit den 1980er Jahren wurden die Bauten der 1950er Jahre als Kulturdenkmale salonfähig und standen damit regelmäßig im Fokus der Denkmalpfleger – eine Entwicklung, die sich auch bundesweit feststellen lässt.6 In Baden-Württemberg nutzte man amtlicherseits die 1987 vollzogene Eintragung der Stuttgarter Liederhalle in das Denkmalbuch (Abb. 4) für eine Aufarbeitung zeitgleicher Bauten und stellte die Architektur der frühen Nachkriegsmoderne in einem Artikel des Nachrichtenblattes erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vor. Im Zuge der flächendeckenden Listenerfassung fanden nun auch Bauten der 1950er Jahre regulär eine Aufnahme, wie beispielsweise die Freiburger Tankstelle der Firma Borgward mit Café, Autohaus und Wartungshallen von 1951, der Stuttgarter Fernsehturm von 1954-56 oder der Überlinger Kursaal von 1954.
Brutalismus – die 1960er Jahre
In den 1980er Jahren kam es auch zum „Erstkontakt“ mit Bauten der 1960er Jahre. Mit dem Haus Domnick in Nürtingen (1967) wurde 1982 nicht nur eines der ersten Gebäude dieser Zeit als Kulturdenkmal erkannt, sondern auch die darin untergebrachte Privatsammlung moderner Kunst in Sachgesamtheit mit dem Gebäude in das Denkmalbuch mit eingetragen.
Der Bau – eine innovative Kombination aus Wohnhaus und Galeriegebäude – stammt von Paul Stohrer. Die hier verwirklichte Sichtbetonfassade ist durch das Wechselspiel zwischen glatt geschalten Partien und brettergeschalten, eingehängten Wandfeldern belebt. Die bauzeitlichen Oberflächen sind – vermutlich aufgrund der frühen Aufnahme in das Denkmalbuch – in vorbildlicher Weise überliefert. Ein weiteres junges Kulturdenkmal ist die 1960 bis 1962 errichtete und 1983 in das Denkmalverzeichnis aufgenommene Mensa I in Freiburg, die sich als weitgehend verglaster Stahlquader-Flachdachbau durch moderne Baumaterialien wie Sichtbeton, Keramik, Glas und Metall und durch die kühne Konstruktion als Stahlskelettbau mit außen liegenden Trägern auszeichnet. Auch die 1962/63 errichtete Kirche Verklärung Christi auf dem Feldberg vom Karlsruher Architekten Rainer Disse wurde 1986 als eines der frühen Kulturdenkmale der 1960er Jahre erfasst. Das wirkungsvoll in Hanglandschaft gesetzte Gebäude steht für die neue Formfindung im Sakralbau, die durch neue Baumaterialen (hier Beton, Glas, Eisen und offen gezeigtes Holztragwerk) ebenso ermöglicht wurde wie durch eine neue Offenheit der kirchlichen Institutionen.
Regelhafter wurden Bauten der 1960er Jahre dann im Rahmen der flächendeckenden Listenerfassung der 1990er Jahre Eingang in die jeweiligen Verzeichnisse aufgenommen. Ausgewählt wurden Bauten, deren Bauaufgaben hervorgehoben, deren Architekten renommiert oder deren architektonische Gestalt außergewöhnlich war. Beispiele sind das Federseemuseum in Bad Buchau von Manfred Lehmbruck aus den Jahren 1965-67 (Abb.7) oder repräsentative Wohnbauten namhafter Architekten wie Max Bächer (Haus Hutt in Gerlingen) oder Chen Kuen Lee (Haus Schmidt in Giengen an der Brenz).
Das entfesselte Jahrzehnt: die 70er
Im Jahr 1996 wurde beispielsweise das Pforzheimer Rathaus als Kulturdenkmal ausgewiesen (Abb.8, nein). Der rasterplanmäßig angelegte Verwaltungsbau mit baulich eigenständigem Ratssaalgebäude entstand nach Entwurf des Stuttgarter Architekten Rudolf Prenzel, der das Gebäude mitsamt Freiraumgestaltung 1968-73 verwirklichte. Auch die Mannheimer Multihalle, die von den Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner sowie dem Tragwerksplaner Frei Otto 1974-75 für die Bundesgartenschau realisierte freitragende Holzgitterschale über amorphem Grundriss, wurde 1998 als Kulturdenkmal erkannt und in das Verzeichnis aufgenommen (siehe auch den Beitrag in der Seitenspalte).
Regelhafter fanden Gebäude der 1960er und 1970er Jahre im Rahmen verschiedener Pilotprojekte des Landesamts für Denkmalpflege Aufnahme in die Denkmalverzeichnisse.7 2009-2012 befasste man sich für den Regierungsbezirk Stuttgart beispielsweise umfassend und erstmals systematisch mit verdichtetem Wohnungsbau (Abb. 10), 2010-2014 mit Verwaltungsbauten, aber auch mit Schulen und Universitätsbauten. 2017-2018 – nun für das gesamte Land – mit Sakralbauten.
Postmodern: die 1980er und 1990er Jahre
Vor einigen Jahren begann die Beschäftigung mit der Architektur der 1980er Jahre, mit der sogenannten Postmoderne. Ein richtungsweisendes Zeugnis der Postmoderne ist die Stuttgarter Staatsgalerie (Abb. 11), die nicht nur eines der ersten Baudenkmale der 1980er Jahre in einem Kulturdenkmalverzeichnis in Baden-Württemberg darstellt, sondern zugleich ein Präzedenzfall für den Umgang mit zeitlichen Erfassungsgrenzen und ein Extremfall in der Geschichte der Denkmalerfassung ist.
Der 1984 vom Büro James Stirling im Auftrag des Landes Baden-Württemberg errichtete städtebaulich anspruchsvolle und mit baugeschichtlichen Zitaten angereicherte Erweiterungsbau der alten Staatsgalerie wurde bereits wenige Jahre nach seiner Fertigstellung als Kulturdenkmal erkannt. Im Kommentar zum Denkmalschutzgesetz aus dem Jahr 1989 wird die neue Staatsgalerie – 5 Jahre nach ihrer Einweihung – als Beispiel für den Umgang mit Zeitgrenzen als Kulturdenkmal benannt: „Die noch andauernde Produktion eines noch nicht abgeschlossenen Zeitabschnitts erlaubt es in der Regel nicht, die bedeutenden Leistungen zu bestimmen. […] So dürfte nur im Ausnahmefall bei Werken einer gegenwärtigen Periode die Denkmaleigenschaft zu bejahen sein, wenn künstlerischer Rang, Beispielhaftigkeit usw. unbestritten sind (z.B. Fernsehturm in Stuttgart, ehemalige Hochschule für Gestaltung in Ulm, neue Staatsgalerie in Stuttgart).“ 8
Jüngst sind auch einige Gebäude der 1990er Jahre als Kulturdenkmale erkannt worden – die Zeitschwelle von etwa 25 Jahren setzt sich auch hier fort. In Ulm ist das 1986-1993 verwirklichte Stadthaus des New Yorker Stararchitekten Richard Meier 2018 als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung begründet worden. Es handelt sich um einen wichtigen Vertreter einer Gegenbewegung zur Postmoderne in den späten 1980er Jahren, der die Ambivalenz dieser Epoche dokumentiert. Das Gebäude ist in prominenter Lage, in direkter Umgebung vor dem Münster entstanden und stellt zugleich ein städtebauliches wie platzgestalterisches Konzept in Abstimmung mit der damaligen Denkmalpflege dar.
Wie weiter?
Unsere heutigen jungen Kulturdenkmale sind eben erst dabei, als kulturelles Erbe entdeckt zu werden – ein Prozess, der von jeher parallel zu der bereits einsetzenden Gefährdung dieser baukulturellen Zeugnisse vonstatten geht. Beginnende Akzeptanz und drohender Abbruch stehen in einem spannungsreichen Verhältnis: Denn auch junge Kulturdenkmale sind eben nicht „forever young“. Eine kontinuierliche Aufgabe der Denkmalpflege ist also die weiterführende Vertiefung unserer Kenntnis jüngerer Architekturepochen sowie deren Vermittlung an die Öffentlichkeit. Auch wir stehen vor der Aufgabe, neue Denkmal-Zeitschichten zu erkennen, zu erforschen und zu schützen.
1 §2 Abs. 1 Satz 1 BadDSchG
2 Dimitrij Davydov: Zu nah an die Gegenwart? Die Zeitgrenze als Merkmal des Denkmalbegriffs. In: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege: Denkmalplfege als kulturelle Praxis. Zwischen Wirklichkeit und Anspruch. Hameln 2018, S. 64-68, hier Seite 64
3 Davydiv, 2018, Seite 67
4 Volker Osteneck: Über den inventarisatorischen Umgang mit der Architektur nach 1945. Oder: Wie alt müssen Kulturdenkmale sein, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 17/2, 1988, Seite 80-85, hier Seite 80
5 Zitiert aus der Pressenotiz zur Informationsfahrt des Regierungspräsidiums zu den Wohnhäusern Schmitz in Biberach a.d. Riss, 8.12.1970
6 Vgl. Kleinschulte & Knipping 2017
7 Vgl. Meyder 2013
8 Zitat nach Strobl/Majocco/Birn 1989, S.38
Der vorliegende Beitrag ist eine in Teilen erweitere Fassung des Aufsatzes: „Forever young? Zur Geschichte der Erfassung von jungen Kulturdenkmalen. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 48/1, 2019, S.18-24
Literatur
– Andreas Beyer: Wann beginnt Geschichte? In: Marlowes – Magazin für Architektur und Stadt; 1.Mai 2018, https://www.marlowes.de/wann-beginnt-geschichte/ [Abgerufen am 30.08.2019]
– Dimitrij Davydov: „Zu nah an die Gegenwart“? Die Zeitgrenze als Merkmal des Denkmalbegriffs. In: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege: Denkmalplfege als kulturelle Praxis. Zwischen Wirklichkeit und Anspruch. Hameln 2018, S. 64-68
– Eberhard Grunsky: Zur „Entdeckung“ historistischer Architektur als Problem der Denkmalpflege. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 12/2,1983, S.96-104
– ders.: Zur Denkmalbedeutung der Stuttgarter Liederhalle. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 16/2,1987, S.91-111
– Martin Hahn und Clemens Kieser und Melanie Mertens: Projekt Youngtimer. Denkmalwerte der 1980er Jahre – eine Annäherung. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 45/2, 2016, S.82-89
– Stefan Kleineschulte und Detlef Knipping: Deutschland. Ein Überblick zur Denkmalerfassung von Bauten des Brutalismus. In: Oliver Elser und Philip Kurz und Peter Cachola Schmal: SOS Brutalismus. Eine internationale Bestandsaufnahme, Zürich 2017
– Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Beton, Glas und Büffelleder. Verwalten in Denkmalen der 1960er und 1970er Jahre im Regierungsbezirk Stuttgart, Arbeitsheft 30, Stuttgart 2014
– Simone Meyder: Sichtbeton, Faserzement und Glas. Kulturdenkmale der 1960er und 1970er Jahre. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 42/4, 2013, S.227-232
– Volker Osteneck: Über den inventarisatorischen Umgang mit der Architektur nach 1945. Oder: Wie alt müssen Kulturdenkmale sein. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 17/2, 1988, S.80-85
– Ulrike Plate: Denkmalkunde – eine zentrale Aufgabe für Denkmalschutz und Denkmalpflege. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 38/2, 2009, S.68-74.
– Ingrid Scheurmann: Wie jung kann ein Denkmal sein? Zur Auswahl und Bewertung von Bauten der Nachkriegszeit. In: dies.: Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege. Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit, Köln 2018, S. 94-113.
– Heinz Strobl, Ulrich Majocco und Helmut Birn: Denkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg. Kommentar mit ergänzenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Stuttgart 1989
– Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Zwischen Scheibe und Wabe. Verwaltungsbauten der Sechzigerjahre als Denkmale, Berichte zu Forschung und Praxis der Denkmalpflege, Bd. 19, Wiesbaden 2012
– Jörg Widmaier: Forever young? Zur Geschichte der Erfassung von jungen Kulturdenkmalen. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 48/1, 2019, S.18-24