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Taschentuchweberei in Blumberg, 1950, Egon Eiermann; saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Foto: Eberhard Troeger

Vielfach publiziert, mit Ausstellungen geehrt, in Sammelwerken gebührend vertreten. Egon Eiermann kennt man. Sollte man meinen. Eine Ausstellung in Karlsruhe zeigt bislang weniger bekannte und überraschende Facetten seines Werks.

1970 starb Egon Eiermann. Schon 1974 wurde sein Werkarchiv an die Architekturfakultät der Technischen Hochschule Karlsruhes, dem heutigen KIT übergeben. Heute ist es Teil des SIAAI, des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau. Zu den über 50.000 Archivalien gehören etwa 18.000 Vintage Prints, also Drucke, die zu Lebzeiten des Architekten angefertigt wurden, teilweise gibt es mehrere vom gleichen Negativ in Ausschnitten, Belichtungsvarianten und Dubletten. Außerdem Teil des Archivs: etwa 6.000 Negative.

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Deutscher Pavillon auf der EXPO ‘58 in Brüssel, Egon Eiermann und Sep Ruf; saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Foto: Eberhard Troeger

Diese Bestände werden nun digitalisiert, auf ihnen baut die Ausstellung „Egon Eiermann DIGITAL“ auf, die bis zum 25. April in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe zu sehen ist. Anhand einer für Eiermanns Werk der Nachkriegszeit repräsentativen Auswahl gewährt sie einen Einblick in die Arbeit eines der einflussreichsten und wichtigsten Architekten der deutschen Nachkriegsmoderne. Aber nicht nur das. Sie zeigt, wie unser Bild der Bauten, manche von ihnen nicht weniger als Ikonen der jungen Bundesrepublik, von einer intensiven Arbeit an ihrer Darstellung und Präsentation beeinflusst sind.


Auratisierungsarbeit


In der Ausstellung steht die Arbeit von zwei Fotografen im Mittelpunkt, die intensiv für und mit Egon Eiermann gearbeitet haben: Eberhard Troeger, der unter anderem den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel (1958) abgelichtet hat. Nachdem Troeger sich zur Ruhe gesetzt hatte trat Horstheinz Neuendorff in dessen Fußstapfen. In der Ausstellung werden vollständige Abzüge der Negative gezeigt, also der ganze Bildausschnitt, der für Veröffentlichungen oftmals wesentlich verkleinert wurde. Manche Bilder – etwa aus dem alten Turm der Berliner Gedächtniskirche – wurden bislang noch überhaupt nicht veröffentlicht.

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Kesselhaus der Taschentuchweberei in Blumberg, 1950, Egon Eiermann; saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Foto: Eberhard Troeger

Darin erschöpft sich die Arbeit an den Bildern aber nicht, wurden doch die Bilder für Veröffentlichungen, auch wenn sie ursprünglich farbig waren, als schwarz-weiß-Abzüge mit starken Kontrasten erstellt. Viel von der Differenziertheit etwa hinsichtlich der Materialität der Bauten, die die Negative enthalten, wurde so in den Hintergrund gedrängt. Die Ausstellung zeigt nun neue Abzüge: also das, was früher schon auch hätte gezeigt werden können. In der Gegenüberstellung von Troegers Bildern und den farbigen des Eiermann-Mitarbeiters Georg Pollich (er leitete die Planung und Bauausführung des Brüsseler Pavillons) etwa wird deutlich, wie stark der Profi stilisiert. Neuendorff geht darin dann nochmals weiter: Er war ein wahrer Meister der Retusche. Nicht nur ist in den bekannten Abbildungen beispielsweise der Frankfurter Neckarmannbauten das Farbspiel von orangenen und blauen Flächen in der Fassade und von orangeroten und gelben Markisen im schwarzweiß-Print nicht mehr auszumachen, nicht nur wird durch die Wahl des Ausschnitts etwa bei Eiermanns Haus in Baden-Baden die Nachbarbebauung ausgeblendet. Neuendorff hat Häuser im Hintergrund  etwa der Olivetti-Türme oder beim Haus in Baden-Baden kurzerhand wegretuschiert. Auch störendes im Vordergrund – Baustelleneinrichtungen, Straßenlaternen, Schrebergartenhütten wurde entfernt.


Wettbewerbe und ein Büroausflug


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Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin, 1963, Egon Eiermann; saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Foto: Horstheinz Neuendorff

Die Ausstellung zeigt diese Arbeit am Bild, die Überhöhung der Architektur als auratisches Objekt, in dem sie die Prozesse der Veränderung wunderbar nachvollziehbar macht, teilweise an neuen Abzügen, die den Vintage Prints gegenübergestellt werden, teilweise auf Touchpads, so dass in der auf den ersten Blick kleinen Ausstellung letztlich doch um die 400 Bilder zu sehen sind. Unter der Hand wird dabei nicht nur Eiermanns Perfektionismus auch im Umgang mit Fotos deutlich, es wird auch ein neuer Blick auf sein Werk möglich, der manches zeigt, was man in den gängigen Publikationen so bislang nicht gesehen hatte. Dass sich die Ausstellung dabei auf das Nachkriegswerk Eiermanns konzentriert, hat einen einfachen Grund: sowohl das Archiv Eiermanns als auch das Troegers sind im Krieg zu großen Teilen zerstört worden.

Ergänzt wird dieser aufschlussreiche Einblick in die Forschungsarbeit am Eiermann-Archiv zum einen durch eine Bilderstrecke, die Eiermann von der privaten Seite zeigen: eine Vitrine ist einem Büroausflug von 1939 gewidmet, der von Berlin über Apolda und Würzburg in die Heimat Eiermanns führte.

Zum anderen eröffnen einige Fotos von Modellen einen neuen Blick auf Eiermanns Werk. Sie zeigen Wettbewerbsarbeiten, die entweder nicht gewonnen oder nicht realisiert wurden. Hier zeigt sich das Werk Eiermanns vielfältiger, als es das gebaute Werk vermuten lässt. Kreuzförmig angeordnete Terrassenhäuser für die Neue Stadt Wulfen überraschen ebenso  wie der Entwurf für eine evangelische Kirche in Baden-Baden, der in seiner Leichtigkeit auf eine Weise Bezüge zur Stuttgarter Schule, zu Rolf Gutbrod und Rolf Gutbier herstellt, die sonst weniger zu spüren ist. Kurzum: Der Besuch dieser  Ausstellung, kann jedem Freund der Nachkriegsarchitektur empfohlen werden.