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Architekt und Macht

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Frühe Skizze des sowjetischen Pavillons auf der Weltausstellung in Paris. Perspektive, 1937 (© Tchoban Foundation)

Stalins Architekt? Geisel einer Epoche? Die Tchoban Foundation zeigt das Lebenswerk des Architekten Boris Iofan (1892-1976).


Wer immer sich mit der Baukunst des 20. Jahrhunderts beschäftigt, kommt an ihm nicht vorbei. Boris Michailowitsch Iofan (1892-1976) gehört zu den berühmtesten Architekten seiner Epoche. Dabei haben aus seinem ansehnlichen Œuvre nur zwei realisierte Bauten internationale Beachtung und entsprechende fachkritische Reflexion gefunden: das riesenhaft verschachtelte und von düsterem Geschehen umflorte »Haus der Regierung« am Moskwa-Ufer (1928-31), und der sowjetische Pavillon zur Pariser Weltausstellung 1937, dessen dynamische Art-Deco-Formen leider im Schatten unter Vera Muchinas allegorischer Skulptur »Arbeiter und Kolchosbäuerin« stehen.

Palast der Sowjets. Gesamtansicht von der Moskwa aus gesehen, 1934 (Bild: Slg. Tchoban 0305)

Palast der Sowjets. Gesamtansicht von der Moskwa aus gesehen, 1934 (© Tchoban Foundation Nr. 0305)

Den wahren Stoff für Iofans »unsterblichen Ruhm« gab allerdings ein Projekt, das über den Bau der Fundamente nie hinauskam – der Palast der Sowjets. Dieser wahrlich babylonische, von einer Lenin-Statue gekrönte Turm sollte aller Welt vom Glanz der proletarischen Weltrevolution künden, hätte den Eiffelturm wie auch New Yorks Wolkenkratzer an stolzer Höhe überragt, zugleich dem »weisen Führer« des Sowjetreiches ein nicht mehr zu übertrumpfendes Denkmal geschaffen. Stalin selbst, so legen Archivdokumente nahe, habe den Entwurfsprozess immer wieder mit sehr konkreten Wünschen »gelenkt«, auch die 75 Meter hohe Lenin-Figur folgte seinem Geheiß.

An den megalomanen Turmbau mit der markanten Silhouette wie an dessen geradezu episches Scheitern wird jeder denken, sobald der Namen Iofan fällt. Zu den Seltsamkeiten um die historische Person gehört, dass alle weltweit publizierten Bilder und Planzeichnungen einem Konvolut im Moskauer Schtschussew-Museum entstammen, welches jenseits der drei sattsam ausgedeuteten Sonderbauten nur wenig über das sonstige Schaffen des so begabten wie ehrgeizigen »Staatsarchitekten« verrät.

Klassizismus versus Avantgarde

 

Boris Iofan (Bildmitte) auf einer Baubesprechung, 1948 (Bild: unbekannter Fotograf)

Boris Iofan (Bildmitte) auf einer Baubesprechung, 1948 (Bild: unbekannter Fotograf)

Dank glücklicher Umstände besitzt die Tchoban Foundation über hundert Zeichnungen aus Iofans Nachlass, von denen die meisten jetzt erstmalig gezeigt werden. Und anders als der nur die Highlights fokussierende Moskauer Bildbestand, entfalten diese Blätter die ganze Lebensgeschichte: Die führte den aus Odessa stammenden Akademieschüler zuerst länger nach Italien (1913-1924), wo er nach ausgiebigen Zeichen- und Kunststudien erste Praxiserfahrungen an Haus- und Gartenstadtprojekten sammelte, auch seine künftige Frau traf.

Entwurf eines Wohnhauses, Italien vor 1924 (Bild: Tchoban Foundation 1146_0142)

Entwurf eines Wohnhauses, Italien vor 1924 (© Tchoban Foundation 1146_0142)

Von italienischen Genossen zum Kommunismus bekehrt, befreundete sich Iofan mit einem hochrangigen Funktionär der neuen Sowjetregierung und zog auf dessen Zuraten 1924 mitsamt der Familie nach Moskau. Dort zeugen Entwurfsskizzen aus den wirren Jahren nach dem Bürgerkrieg von halbherzigen Versuchen, Anschluss an den gerade florierenden Konstruktivismus zu finden. So recht will das aber nicht gelingen, Klassizität, Monumentalität, die »ewigen Gesetze der Schönheit und Ordnung« sind aus seinen modernistischen Ansätzen nie ganz zu verbannen. Selbst das »Haus am Ufer«, seine bis dahin bedeutendste Bauaufgabe, kann in seiner seltsamen formalen Unentschlossenheit »als Antwort auf Le Corbusiers Prinzipien gesehen werden«, wie Wladimir Sedow im Buch zur Ausstellung1) schreibt, »wo immer es möglich ist, werden Symmetrien hergestellt.« Dem »Technizismus und apparatehaften Schematismus« der Avantgarde-Kollegen versucht Iofan »gewisse menschliche Bezüge« entgegenzusetzen, seine Architektur soll »Komfort und Gemütlichkeit« ausstrahlen (Sedow, Seite 83). Selbst Satteldächer sind bei ihm zugelassen, was linke Kritiker dann – womöglich zu Recht – kleinbürgerlich nennen.

Von Stalins Gnaden

Palast der Sowjets – Perspektivskizze für 1. Wettbewerb, 1931 (Bild: Tchoban Foundation Nr. 1146_0129)

Palast der Sowjets – Perspektivskizze für 1. Wettbewerb, 1931 (© Tchoban Foundation Nr. 1146_0129)

Ab dem ersten Wettbewerb zum Sowjetpalast 1931 ist sein Schaffen zunehmend von dem Ehrgeiz bestimmt, für das globale Gesellschaftsprojekt des Kommunismus eine angemessene Pathosform zu finden. Von Stalin persönlich zum Gewinner bei allen drei Konkurrenzen auserkoren, fällt Iofan damit die Rolle des »Hauptarchitekten Moskaus der Dreißigerjahre« zu, die Arbeit am künftigen Zentralbau des Sowjetstaates bedeutet ihm rückblickend »das Herzstück meines Lebens« (Seite 112). Doch mit Kriegsbeginn werden die Bauarbeiten am Sowjetpalast eingestellt, nach 1945 setzt der landesweite Wiederaufbau andere Prioritäten. 1948 wird das Projekt offiziell abgesagt, die gewaltigen Fundamente bescheren den Moskauern für die folgenden fünfzig Jahre ein ganzjährig wohltemperiertes Freiluftbad.

Entwurf für den Pavillon der UdSSR auf der Weltausstellung 1939 in New York. 1938–1939 (Bild: Tchoban Foundation Nr. 1146_ 0166)

Entwurf für den Pavillon der UdSSR auf der Weltausstellung 1939 in New York. 1938–1939 (© Tchoban Foundation Nr. 1146_ 0166)

Die Entwurfsarbeit am monumentalen Palast lässt wenig Raum für andere Aufgaben, doch mit dem vergleichsweise kleinen Projekt des Sowjet-Pavillons zur Pariser Weltausstellung 1937 betritt Iofan tatsächlich die Weltbühne der Architektur. Am Ufer der Seine rennen seine pathetischen Figuren gegen den trutzhaften „Adlerhorst“ an, den Albert Speer dort für Hitlers III. Reich postiert hat – welch vielsagende Konkurrenz der Bilder, die heute wie eine Vorahnung des bevorstehenden Krieges wirkt. Als Iofan zwei Jahre danach auch den Pavillon für die Weltausstellung in New York entwirft, ist aller Schwung des Pariser Auftritts dahin. Ein müder, stoischer Ehrenhof umfängt jetzt die Besucher, wichtig scheint allein der schlanke Pylon, auf dem ein Arbeiter den rubinroten Stern des Sozialismus in Amerikas Himmel reckt. Während des Krieges, den Iofan mit seinem Atelier im sicheren Swerdlowsk (Jekaterinburg) zubringt, sind ihm nur kleine Projekte vergönnt, etwa die heroisch strenge Metrostation Baumanskaja oder ein irritierend klassizistischer Pavillon für das Physikalische Institut.

Entwurf für den Wiederaufbau von Noworossijsk. Perspektive des zentralen Platzes, 1944 (© Tchoban Foundation Nr. 0312)

Entwurf für den Wiederaufbau von Noworossijsk. Perspektive des zentralen Platzes, 1944 (© Tchoban Foundation Nr. 0312)

Seine Wiederaufbaupläne für die komplett zerstörte Hafenstadt Noworossijsk zeigen kurz »eine lebensfrohe, siegreiche, üppige, feierliche Architektur« (Sedow), doch schon bald kehrt er zu seinem gravitätischen Stil zurück. Der muss jetzt aber der überbordenden Dekorationslust der späten Stalin-Jahre weichen: Mitten in den Planungen zur Lomonossow-Universität (1948) wird Iofan das Projekt entzogen und an Lew Rudnew aus der Riege der neuen Hochhauskünstler übergeben. Zu den hohen Kreml-Kreisen hat er fortan keinen Zugang mehr. Fiel er einer Intrige zum Opfer? Zeichnungen aus seinen späten Lebensjahren bezeugen einen kaum noch inspirierten, alten Träumen nachhängenden Mann.

Erklärungsversuche

 

Entwurf der Wohnhäuser in der Schtscherbakowskaja-Straße in Moskau. Perspektive, 1962–1969 (© Tchoban Foundation Nr. 1146_0885)

Entwurf der Wohnhäuser in der Schtscherbakowskaja-Straße in Moskau. Perspektive, 1962–1969 (© Tchoban Foundation Nr. 1146_0885)

Die Blätter der Tchoban-Kollektion zeigen die Hartnäckigkeit, mit der frühe Eindrücke, Bildmotive, kompositorische Prinzipien oft ein ganzes Berufsleben prägen können: Noch in Iofans Skizzen der späten 1960er Jahre tauchen die monumental aufgetürmten Rotunden seiner italienischen Diplom-Phantasien wieder auf. Doch dem Phänomen des »Staatsarchitekten« kommt man ohne weiterführende Lektüre nicht näher. Das Buch zur Ausstellung liest sich nicht immer einfach (auch fachlich fundierte Übersetzungen erfordern noch ein sorgfältiges Lektorat!), auch mögen solch weitschweifige Formanalysen hierzulande ungewohnt erscheinen. Aber weil er als Bauhistoriker am Moskauer Architekturinstitut selbst eine innige Neigung zu Historismus und altitalienischer Tradition verspürt2), kann Wladimir Sedow sich einfühlen in die Gewissensnöte eines lebenslang überzeugten Kommunisten und zugleich Kulturbürgers, dessen Hang zum klassischen Repertoire sich zufällig deckt mit den Vorlieben der herrschenden Clique. Deren Ambitionen folgt er, weil er selbst noch in den grausamen Jahren des Großen Terrors ihr Weltbild teilt. Und weil sie ihm außerordentliche Spielräume öffnen: »Er wohnt in dem von ihm selbst errichteten Haus der Regierung, im obersten Stock, die Fenster seiner Wohnung gehen zur Baustelle des Sowjetpalastes. […] Er hat ein Auto mit Chauffeur, er hat Beziehungen zur Regierung, er ist Mitglied der kommunistischen Partei, er schreibt Briefe an Stalin, sieht ihn persönlich oder telefoniert mit ihm. Iofan war in den 1930er Jahren sechsmal bei Stalin. Er ist ganz oben.« (Seite 140)

War der Mann also tatsächlich »Stalins Architekt«, oder sollte man ihn als »Geisel der Epoche« sehen? Sedows Klärungsversuch ist so verführerisch wie heikel: Um die Formenwelt des Sowjetpalastes nicht prinzipiell abweisen zu müssen, will er Überzeugtheit gelten lassen, den Glauben an die Aufgabe. »Die Führer wollten die Größe der Epoche und ihre eigene Größe in der Architektur bestätigt sehen. […] Um diese Größe zu vermitteln, musste [ein Architekt] an sie glauben, an die Ideologie seines Landes und seiner Epoche. Ungläubigkeit hätte alles zunichtemachen können – so wie beim Parlamentspalast in Bukarest, der, während der Herrschaft von Ceaușescu gebaut, zu einem Unsinn wurde.« (Seite 138)

Entwurf für die Akademie der Wissenschaften in Moskau. Variante II. Panorama, 1969 (© Tchoban Foundation 1146_0812)

Entwurf für die Akademie der Wissenschaften in Moskau. Variante II. Panorama, 1969 (© Tchoban Foundation 1146_0812)

Weil es naheliegt, zieht Sedow mehrfach die Beziehung Marcello Piacentinis zu Mussolini oder jene von Albert Speer zu Hitler als Parallelen heran. Einen anderen Vergleich wählt Deyan Sudjic aus London, der zur Eröffnung der Berliner Ausstellung mit sardonischem Lächeln eine Anekdote beisteuerte: Der New Yorker Kollege Wallace Harrison, bei Iofan in Moskau zu Besuch, habe mit dem Sowjet-Palast gehadert, weil er ihn rein ingenieurtechnisch für nicht baubar hielt. Iofans Nähe zur Macht dürfte dem prominenten Gast hingegen kaum anrüchig gewesen sein, schließlich war Harrison doch selber ein Hofarchitekt – in Diensten der Rockefeller-Dynastie.

1) Wladimir Sedow: Stalins Architekt. Aufstieg und Fall von Boris Iofan. Berlin (DOM publishers) 2022. 304 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-86922-808-2

2) Vgl. hierzu Wladimir Sedow: Architektur im Kulturkampf, Berlin 2013, rezensiert unter https://www.bauwelt.de/dl/737677/bw_2013_40_0002-0003.1928281.pdf


Ausstellung: Stalins Architekt. Aufstieg und Fall von Boris Iofan
Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung
Christinenstraße 18a, 10119 Berlin
5. Februar – 15. Mai 2022
Öffnungszeiten: Mo–Fr  14 – 19 Uhr, Sa–So: 13 – 17 Uhr

Die Tchoban-Foundation hat einen kleinen Film über sieben wichtige Einzelprojekte von Boris Iofan für das Internet produziert: https://youtu.be/7KdV8paRuO4