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Architektur des Aufbruchs


Über die afrikanische, die arabische und asiatische Moderne wissen wir hierzulande meist herzlich wenig. Drei neue Bücher helfen, den verengten Blick zu weiten.

Manuel Herz, Ingrid Schröder, Hans Focketyn, Julia Jamrozik (Hg.): African Modernism. The Architecture of Independence. Ghana, Senegal, Côte d’Ivoire, Kenya, Zambia, 640 Seiten, englisch, 909 farbige und 54 s/w-Abbildungen, 246 Planzeichnungen, 85 Euro
Park Books, 2. Auflage, Zürich 2022

Im Laufe der letzten Jahre ist der Eurozentrismus auch in der Architekturrezeption zunehmend einer weltweiten Betrachtung gewichen. Eine Vielzahl von Ausstellungen und Essays haben diese Horizonterweiterung im vergangenen Jahrzehnt begleitet. Zwei aktuelle Publikationen stechen beim Blick auf Afrika und Arabien nun heraus: „African Modernism. The Architecture of Independence“ fokussiert mit Ghana, Senegal, Elfenbeinküste, Kenia und Sambia fünf Länder der Subsahara. Sie werden im reich bebilderten Buch in der Reihenfolge ihrer Unabhängigkeitsdaten vorgestellt: mit einem kurzen Text, einer aufschlussreichen Zeitschiene, die Politik, Demographie, Wirtschaft und wichtige kulturelle Ereignisse zusammenführt, sowie einem Foto-Essay. Es folgen Dokumentationen von herausstechenden Projekten in den jeweiligen Ländern. Zwischen diese Länderporträts fügen sich längere, themenbezogene Textbeiträge. Hannah Le Roux etwa schreibt über west-afrikanische Architektur der ersten Jahre der Unabhängigkeit; Léo Noyer-Duplaix beleuchtet die Arbeiten des – obschon sehr umtriebigen – weitgehend unbekannten Henri Chomette; Manuel Herz die Zusammenhänge von postkolonialer Politik und Stadtplanung anhand des „Hotel Ivoire“ und der „Afrikanischen Riviera“; Zvi Efrat beschreibt die israelischen Einflüsse im Bereich der Subsahara; Till Förster die Dekolonisierung und territoriale Ausdehnung der betreffenden Länder und Ingrid Schröder erinnert an den ersten Pavillon eines souveränen afrikanischen Staats bei einer Expo, der 1967 in Montreal zu sehen war.

Die eigens für die Publikation angefertigten Fotografien von Iwan Baan und Alexia Webster verankern die Planungen der Nachkriegsmoderne im Leben der Menschen und damit im Hier und Jetzt. Dabei wird neben den Gemeinsamkeiten, die der International Style auch in diesen fünf Ländern hinterlassen hat, auch deutlich, welche lokalen Spielarten die Architektur jener Zeit hervorgebracht hat. Vielfach gesehene architektonische Versatzstücke werden zu durchaus ortsspezifischen Varianten der Nachkriegsarchitektur arrangiert, die zum Ausdruck bringen, unter welchen Prämissen diese Gebäude seinerzeit entstanden sind, welchen Status Architektur bei der Repräsentation der jungen, souveränen Staaten hatte. Neben den aufschlussreichen Essays ist es nicht zuletzt Verdienst des Buchs, im europäischen Kontext kaum bekannte Architekten wie die Senegalesen Pierre Goudiaby Atepa und Cheikh N`Gom oder den Ivorer Pierre Fakhoury mit gebauten Projekten vorzustellen.


 

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George Arbid und Philipp Oswalt (Hg.): Designing Modernity. Architecture in the Arab World 1945–1973, 288 Seiten, englisch/arabisch, 80 farbige und 40 s/w-Abbildungen, 29 Euro
Jovis, Berlin 2022, 29,– Euro

Ebenfalls um eine architektonisch wenig beachtete Region kreist das Buch „Designing Modernity“ von George Arbid und Philipp Oswalt. Oswalt ist seit 2006 Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel, George Arbid ist Architekt und lehrte an der Academie Libanaise des Beaux-Arts, der American University of Beirut sowie der Lebanese University, ehe er das Arab Center for Architecture mitbegründete und ihm seitdem als Direktor vorsteht. Das Buch, zweisprachig in englisch und arabisch, beleuchtet exemplarische Architekturen aus Irak, Libanon, Kuwait, Syrien, Palästina, Jordanien, Ägypten und Marokko, die zwischen 1945 und 1973 entstanden. Auch hier fügen sich zu den Architekturdarstellungen horizonterweiternde Texte, die länderspezifisch die jeweiligen Planungen in gesellschaftliche und soziale Kontexte einbetten. Durch eine Vielzahl historischer Aufnahmen und Zeichnungen wird deutlich, wie auch hier die architektonische Moderne gleichermaßen Zeichen des Aufbruchs sein sollte, wie die damaligen Protagonisten versuchten, aus dem Ort und seinen klimatischen Bedingungen spezifische formale und räumliche Lösungen zu entwickeln.


 

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Peter G. Rowe und Yun Fu: Southeast Asian Modern. From Roots to Contemporary Turns, 376 Seiten, englisch,, 200 farbige Abbildungen, 59,95 Euro
Birkhäuser, Basel 2022

Den Bogen aus dem Spannungsfeld postkolonialer Architektur bis in unsere Gegenwart schlagen Yun Fu und Peter G. Rowe. Rowe, Neuseeländer, lehrt ebenso in Harvard wie Yun Fu, dessen Familie aus Taiwan und Neuseeland stammt. Beide sind also mit der Region vertraut, hatten gemeinsam bereits ein Buch über die architektonische Moderne Koreas vorgelegt und ziehen den Fokus der Betrachtung nun deutlich weiter auf. Mit „Southeast Asian Modern. From Roots to Contemporary Turns“ untersuchen die beiden gut 60 Projekte in 12 zwölf Staaten zwischen Vietnam, Osttimor und Mikronesien. In einem langen Erzählstrang weben die Autoren vormoderne Kulturen und vernakuläre Architektur, frühe Herrschaftsdynastien und die Zeit der westlichen Kolonisierung sowie die Post-Kolonisationsära und die Rückbesinnung auf lokale Gegebenheiten zu gut lesbaren Fließtexten zusammen, die immer wieder von Collage-Artigen Bildseiten unterbrochen werden. Auf diesen, farbig hinterlegten Seiten werden Skizzen, Fotos und einige wenige Pläne – mitunter recht kleinformatig –zusammengetragen, was ihnen den Charakter von Reisetagebüchern oder Fotoalben verleiht. Rowe und Fu gelingt es dabei aber, die vielen unterschiedlichen Wurzeln der Architektur zu benennen, spezifische Eigenheiten von historischen Projekten zu beschreiben und nachvollziehbar zu benennen, wie diese mitunter verschlungenen Entwicklungspfade in zeitgenössischer Architektur münden. Einige der aktuellen Bauten kennt man dabei, ihre Kontextualisierung in einen größeren historischen Zusammenhang aber lässt sie mitunter in anderem Licht erscheinen. Überhaupt ist der Blick in die Architekturgeschichte der Region mit all ihren teilweise auch dunklen Facetten auch hier einmal mehr lohnend.