Die politische Bedeutung des Bauens wird weder von leidenschaftslosen Genehmigungsbehörden, umsatzorientierten Baulöwen, Vertretern des Stadtmarketings und erst recht nicht von den sogenannten fortschrittlichen Kräften bestritten. Das Irritierende ist nur, dass bestimmte architektonische Ausdrucksformen fixiert scheinen – ein Beitrag zur Kontinuität der Debatte über Gestaltungsfragen.
Altstadtportfolien
Es gibt das strittige Denkmodell, Architektur sei der ordnende Nachvollzug sozialer Beziehungen durch Gebautes. Das könnte zum Umkehrschluss führen, damit werde bei der Rekonstruktion historischer Stile oder obsoleter Baugestaltung auch die ehemals herrschende Gesellschaftsform und politische Räson gut geheißen, vor allem wenn es sich um vergangen geglaubte un- oder antidemokratische Strukturen handelt. So eindeutig zu beweisen ist das zum Glück nicht, mit dem Wiederaufbau eines Hohenzollernschlosses kehrt nicht die Monarchie zurück. Aber es kann nicht geleugnet werden, dass einerseits gebieterische, hierarchische Ordnungen mit andererseits anheimelnden kleinteiligen Bauweisen, wie man sie aus der Geschichte kennt, zu einem neuen Altstadtportfolio zusammenfinden, das von einem rückwärts gewandten Milieu als gebaute Umgebung propagiert wird. Diese Sehnsucht scheint zu existieren, als ließe sich mit der passenden Einrichtung der dazugehörige Inhalt transportieren. Stephan Trüby hat mit der Arch+-Ausgabe Nr. *** nachgewiesen, wie die Rekonstruktionsarchitektur der „autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten“ als Schlüsselmedium dient. Allerdings entlastet er seinen Exkurs mit dem Hinweis, dass sich „keine direkten Verbindungen zwischen gebauter Materialität und politischer Ideologie“ herstellen lassen und es „keine per se rechte oder linke Architektur“ gebe.
Herrschaftsarchitektur
Wir hatten einmal ein sehr entspanntes Verhältnis zur Herrschaftsarchitektur. In den späten 1960er Jahren galt es zum Beispiel als Glücksfall, eine Gründerzeitwohnung zu ergattern, in der man die Ehrfurcht einflößenden hohen Räume mit Emporen aus rauen Brettern volltackern und die Stuckornamente mit greller Farbe zumalen konnte. Die prollige Aneignung kannte keine Denkmalpflege. Zehn Jahre später erwischte uns die Postmoderne. Ihr Retro kam nicht ohne das Adjektiv „ironisch“ aus, weshalb sich die seriöse Kritik daran entzündete, ob schlechte Grundrisse in Mietwohnungen besser würden, wenn man einem Haus Thermenfenster und Säulen hinzufügte. Die IBA in Berlin war dafür der Austragungsort.
Revisionen aus der Gegenwart
Bemerkenswert ist, wie grundsätzlich diese Debatte heute geführt wird. Als sei Eile geboten, als müsse jetzt eine Richtung gefunden werden, als gäbe es eine Deadline für eine immer gültige Architektur. Alte Gebäude werden gemeinhin wie überlieferte Erbstücke betrachtet, dabei waren sie immer wieder unverschämten Veränderungen, Abrissen und Überformungen ausgesetzt. Der Speyrer Dom ist ein Palimpsest, das man regelmäßig überschrieben hat, bis man – vergleichbar der historischen Aufführungspraxis in der Musik – beim romanischen Ernst angekommen war. Kurios die Baugeschichte der Konstantinbasilika in Trier, die erst im 19. Jahrhundert als römische Palastaula „stilrein“ rekonstruiert wurde, während sie zweihundert Jahre lang fragmentarisch als Renaissance-Seitenflügel des kurfürstlichen Schlosses diente. Und selbst die Inkunabel der Porta nigra ist kein unberührtes römisches Stadttor, sondern enthält unter der schwarzen Tarnung den romanischen Ostchor der ehemaligen Stiftkirche St. Simeon.
Gutes Erbe: die 68er
Wenn heute Ähnliches passiert, etwa in Mainz beim dritten Wiederaufbau der Marktplatzfassaden innerhalb von fünfzig Jahren, berührt das unsere akademische Rechtschaffenheit. Das ist gut so. Es gibt für jede städtebauliche Veränderung eigene Argumente. Und Gebäude können mannigfaltige Formen annehmen. Um es drastisch zu formulieren: Auch in einer modernen gläsernen Polizeiwache kann man Demonstranten verprügeln. Anspruchsvoller ist es, sich durch Stefan Trübys geisteswissenschaftliches Labyrinth zu navigieren, was er hilfsweise zur Verortung seiner Rechten Räume angelegt hat. Sein Ausgangspunkt, dass „die emanzipatorischen Errungenschaften von 1968ff.“ auf dem Spiel stehen, kann man auch so deuten, dass die alten Fragen noch immer Gültigkeit haben, wenn wir Architekturkritik nicht als Gourmetfeuilleton betrachten wollen: Wem dient das Bauen? Wer bezahlt es? Wer verdient daran? Und wir vergessen dabei nicht Trübys Merksatz: „dass die politischen Bedeutungen der architektonischen Form immer volatil sind“.