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Das große Ungewisse: Was kommt nach der HOAI? Bild: Christian Holl
Marktgeschrei (19) | Architekten haben kein leichtes Leben. Nun droht ihnen auch, dass die Höchst- und Mindestsätze der HOAI vom Europäischen Gerichtshof gekippt werden. Es gibt aber auch Menschen, die behaupten, dass das gut und längst überfällig sei. Die Argumente lassen sich in etwa so zusammenfassen: Liberalisierung ist gut. Was muss eigentlich noch alles schiefgehen, bis uns das Märchen vom Markt, der alles regelt, nicht mehr erzählt wird?

In einem Kommentar hat vor Kurzem Nicolai Blank, Chefredakteur von competitionline, die Verteidiger der HOAI angegriffen. (Der Beitrag ist hier nachzulesen). Sie seien weltfremd und schürten gleich Populisten Ängste. Nun gut. Wir leben in einem Land, in dem bekanntlich Meinungsfreiheit herrscht. Wenigstens so lange es Annegret Kramp-Karrenbauer, die gerade Kevin Kühnert noch vorgeworfen hatte, die DDR wieder einführen zu wollen, nicht gelingt, diese Meinungsfreiheit einzuschränken. Nicolai Blank jedenfalls unterstellt den Verfechtern der HOAI, sich als Asterix-Gallier selbst zu heroisieren. Eine Polemik, die ins Leere zielt, denn gerade die beiden Beispiele, die Blank für Baukultur aus anderen Ländern nennt – Wiener Wohnungsbau und Kopenhagener Schulbau – basieren auf strengen regulativen Eingriffen und der Einsicht, dass es genau derer bedarf, um für gute Architektur zu sorgen. Und wer schon mal als Architekt in Frankreich bauen wollte, weiß, wie gut es dort verstanden wird, Architekten aus anderen Ländern den Zugang zum Markt sehr schwer zu machen. Von der Qualität englischer Wohnungen oder italienischer Regionalplanung zu schweigen.

Die Kritik an der Kommission ist angesichts der eklatanten Weigerung des Generalanwalts, sich auf die Argumente der Befürworter einzulassen, mehr als berechtigt. Solcher Kritik die Berechtigung abzusprechen, weil man damit dem Europa-Verdruss und den Populisten Vorschub leiste, ist perfide und genau das Niveau, das Blank den Kommissionskritikern vorwirft: das der platten Pauschalisierung. Und wie im Fall Rezo und Kramp-Karrenbauer gilt auch hier: Kritik, in diesem Fall an der Kommission, muss erlaubt sein. Immer.

Hindernisse. Welche Hindernisse?

Die Schlacht um das Vertragsverletzungsverfahren ist freilich eigentlich geschlagen. Dass Lobbyisten der Architekten deren Interessen vertreten, ist so normal wie erwartbar. Dass sie nun auf eine Honorarordnung in modifizierter Form hinarbeiten, die mit dem dann geltenden Recht vereinbar ist, scheint Blank zu ärgern, als würde in Gefahr geraten, worauf er sich schon freut. Denn er hält eine Honorarordnung für veraltet. Man befinde sich im Jahr 2019, danke für den Hinweis. Warum ein Instrument veraltet sein soll, das gleich den zunehmend gepriesenen und zum Glück auch praktizierten Konzeptverfahren hilfreich dabei sein kann, im besten Fall nicht den Preis, sondern das Konzept, den Entwurf, die Idee, die Gestaltung entscheiden zulassen, erschließt sich mir nicht, schon gar nicht, wenn die Kritik von jemandem geäußert wird, der mit den Ergebnissen von Architektur- und damit von Gestaltungswettbewerben sein Geld verdient. Schräg. Blank preist das wahrscheinliche Ende der HOAI damit, dass mit ihm eine Marktbarrieren abgebaut würden. Aha. Der Markt setzt offensichtlich gerade bei uns hohe Hürden. Wem eigentlich? Den vielen kleinen Büros vielleicht, deren Leidenschaft für die Sache die eigene ökonomische Lage in den Hintergrund treten lässt? Die sich um Aufträge, um Einfluss auf die gebaute Umwelt bemühen, auch wenn sie wenig Chancen haben. Idealisten, die, auch wenn sie riskieren, verbittert zu werden, immer noch ein bisschen Idealisten sind? Denen ihr Beruf viel wert ist und ihnen nicht nur dazu dient, Geld für den nächsten Segelurlaub zu verdienen?

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Barrieren abbauen! Freie Fahrt für freie Architekten und Architektinnen. (Bild: Christian Holl)

Man muss das nicht zu sehr idealisieren, aber man darf sich fragen, was uns eine Gesellschaft wert ist, in der es nur noch um ökonomische Leistungsfähigkeit geht, in der es ein hohes Gut ist, liberalisierte Märkte zu haben. Was hätten wir für eine Landschaft von Museen, Orchestern, Theatern, wenn sie marktbereinigt wäre? Ach, Architektur ist keine Kultur? Man setze für „Barrieren“  mal „Regeln“ – und schon sieht das Bild anders aus. Liberalisiert: Das ist der Fußball, in dem die Titel in den Ländern und in Europa nur noch unter den wenigen immer gleichen Mannschaften verteilt werden. Wer das hohe Lied des Marktes singt, der hat Bildung, Gesundheitsversorgung und den Wohnungsmarkt aus dem Blick verloren. Gerade der Wohnungsmarkt zeigt, wie er als liberalisierter wirkt: gesellschaftlich katastrophal. Soziale Gräben vertiefend, Menschenwürde negierend. Das ist die Realität des Jahres 2019: Ein Markt, der dafür sorgt, dass Enteignung bis tief in die Mittelschicht hinein attraktiv erscheint, so offensichtlich ist sein Versagen. Wer 2019 von Liberalisierung spricht, lebt noch im 20. Jahrhundert. Die Folgen dessen, was in den letzten Jahren dieses 20. Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben wir nun zu bewältigen.

Preisdumping soll gut sein?

Warum es ein Argument gegen die HOAI ist, dass Deutschland von der Liberalisierung an anderen Stellen profitiert, erschließt sich mir ebenfalls nicht. Wenn etwas an der einen Stelle funktioniert, muss es nicht dort eingeführt werden, wo es fragwürdig ist. Es ist ja vielmehr anders: Architekten aus dem europäischen Ausland sind nicht an die HOAI gebunden – der Straßburger Architekt hätte gegenüber dem in Kehl einen Vorteil. Der Grund dafür, nicht in Deutschland zu bauen, liegt vielmehr in der Sprache und der Gesetzgebung. Eher wären ja die Landesbauordnungen zu vereinheitlichen. Mal abgesehen davon, dass der Europa-Verdruss ganz gewiss nicht daher rührt, dass zu wenig für einen einheitlichen Wirtschaftsraum getan würde – er liegt doch eher darin, dass Bürgerrechte (Meinungsfreiheit!) und Sozialgesetzgebung der wirtschaftlichen Einigung weit hinterherhinken. Ein echtes Europa müsste eines der gemeinsamen Rechte und eines einheitlichen Sozialstatus sein. Wie wäre es mit einer europäischen Arbeitslosenversicherung? Nein, mit einer immer weiter getriebenen Liberalisierung, die Menschen zu Objekten ökonomischen Denkens reduziert, damit die Gelder nur um so reibungsloser an diesen Menschen vorbei bewegt werden können, haben wir aufgegeben, was diese Gesellschaft und was Europa zusammenhält oder zusammenhalten könnte.

Man mag die HOAI kritisieren, ihre Verteidiger auch, es wäre mir allerdings lieber, ich könnte Argumente hören, die mich überzeugen, anstatt die HOAI-Verteidiger mit dem Vorwurf des Europa-Bashings in eine Ecke zu stellen, die es so wunderbar bequem macht, Kritik zu äußern. Dass es jungen Büros erlaubt sein sollte, mit Preisnachlässen in den Markt einzusteigen, wie es Blank äußert, ist so eine Bequemlichkeit. Wenn das richtig ist, dann ist es nämlich auch anderen im liberalisierten Markt erlaubt – man nennt es Preisdumping. Tolle Idee. Richtig ist vielmehr: Junge Büros haben es so schwer, weil der Wettbewerb anhand aller möglichen Kriterien entschieden wird, aber nicht über die gute Idee. Die Abschaffung der HOAI würde daran nichts ändern. Im Gegenteil. Nein, wir brauchen nicht mehr Liberalisierung. Wir brauchen eine striktere Politik, die die Interessen des Gemeinwesens vertritt. Dass die HOAI verbessert werden kann, dass sie alleine nicht viel garantiert, ist richtig: aber das spricht nicht prinzipiell gegen sie. Wenn Gesetze zum Mieterschutz nicht greifen, sollten sie nicht abgeschafft werden, sondern verbessert und ergänzt werden. Es sein denn, man möchte den Mieterschutz schwächen.

Aber sehen wir es doch lieber so. Es ist gut für die Diskussion, wenn darin der ein oder andere provoziert wird, weil so dafür gesorgt wird, dass wir etwas besser wissen, wie der eine oder die andere denkt. Wir wissen nun etwas mehr über Annegret Kramp-Karrenbauer. Und auch etwas mehr über Nicolai Blank. Jeder kann nun selbst entscheiden, was mit diesem Wissen anzufangen ist. Immerhin haben wir es nun.