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Democratic Umbrella

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Die Multihalle in Mannheim, 1975 zur BUGA von Carlfried Mutschler, Joachim Langer und Frei Otto gebaut, gehört zu den herausragenden Baudenkmalen des Landes – bis heute die größte freitragende Holzgitterschale der Welt. Kurz nach den Olympischen Spielen in München wurde bewiesen, was Leichtbau mit Holz zu leisten vermag. Als Provisorium konzipiert, steht die fantastische Gitterschale noch heute – jetzt geht es um ihre Zukunft.


Auf der Website des Vereins Multihalle Mannheim e.V. werden Art und Rang des „Wunders von Mannheim“ knapp und bündig erklärt: „Visionär und weltweit einzigartig: Zur Bundesgartenschau 1975 wurde im Mannheimer Herzogenriedpark die Multihalle erbaut. Entworfen wurde der außergewöhnliche Bau vom Mannheimer Architekten Carlfried Mutschler mit Joachim Langer. Der (spätere) Pritzker-Preisträger Frei Otto schuf eine Dachkonstruktion, die die Halle zum architektonischen Meisterwerk macht. Die größte freitragende Holzgitterschalenkonstruktion der Welt steht seit 1998 unter Denkmalschutz.“

„Raum der Möglichkeiten“


Im zweiten Absatz steht nun auf der Website, wie es mit der als Provisorium gebauten und heute durchaus gefährdeten Holzkonstruktion weitergehen soll: „Im Sinne des Frei Otto’schen Denkens wird die Multihalle jetzt zu einem vielseitig nutzbaren Raum der Möglichkeiten – als Symbol der zukunftsorientierten Mannheimer Stadtentwicklung.“
Was immer jetzt ein „Raum der Möglichkeiten“ sein soll: Sträflich hatte die Stadt Mannheim ihren Architekturschatz über Jahrzehnte vernachlässigt, und es ist diversen mehr oder weniger privaten Initiativen zu verdanken, dass sich jetzt viele um ihren Erhalt kümmern. Spät, aber immerhin befassten sich auch die Stadt Mannheim und die Architekten- und Ingenieurkammern mit dem eindrucksvollen Bauwerk und gründeten einen Verein zu seiner Rettung. (Informationen zum bisherigen Ablauf >hier)

Ein erster Preis: Einbauten bis unters Dach versperren den Blick aufs Ganze, das als solches konzipiert war.

Ein erster Preis, „Kulti-Multi“ von Christopher Rotman und Daniel Wilken: Einbauten bis unters Dach erlauben diverse Nutzungen, versperren aber den Blick aufs Ganze, das als solches konzipiert war.

Erster Preis von ***

Explosionsskizze zur Nutzungsstruktur des „Kulti-Multi“-Entwurfs

Weiter geht’s

Zuletzt wurde ein internationaler Wettbewerb ausgelobt, um dem konkreten Handlungsbedarf bei der Sanierung gerecht zu werden, denn Eile ist geboten. Die Ergebnisse – drei Preise und zwei Ankäufe – sind bis zum 28. Juni 2019 im BDA Wechselraum in Stuttgart ausgestellt. Und dabei zeigt sich bestens, woraus eine Schale ihren einzigartigen räumlichen Reiz bezieht und wie schnell man ihn zugunsten rentabler Nutzungen zugrunde richten könnte.

Der zweite erste Preis

Der zweite erste Preis der Architekten Guillem C. Colomer von COFO Architects und Gabriel R. Pena von PENA architecture aus Rotterdam

Gleich drei erste Preise deuten darauf, dass in der Jury vielleicht keine Einigkeit darüber herrschen konnte, wie es grundsätzlich weitergehen soll. So unterscheiden sich die ersten Preis deutlich: Im Projekt „Kulti-Multi“ liegt die Priorität auf einer möglichst problemlosen Funktionalität, die durch erhebliche Einbauten in regelmäßiger, volumetrischer Geometrie gesichert wird. Im Entwurf „Hallen-Allee“ dominieren farbenfrohe Bauteile unerschiedlicher Art, mit denen das Raumkontinuum der Multihalle verdichtet werden kann. Diese beiden Entwürfe erlauben allerdings kaum, die große Schale des Innenraums uneingeschränkt wahrnehmen zu können.

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Der dritte erste Preis, „Multimobil Halle“ von Till Schweizer, Daniel Gornik, Marcel Heller, Konrad Otto Zimmermann, Christina West und Malte Schweizerhof

Open mind and source

Dem Eigencharakter des Schaleninnenraums schenkt nur der dritte erste Preis im Sinne einer denkmalpflegerischen Sorgfalt hinreichend Aufmerksamkeit. Auch gelingt es den Verfassern, die ursprüngliche Blumenhallen-Funktion wiederzubeleben. Eingedenk der Tatsache, dass die größten Schwierigkeiten der Stadtplanung und Energiewende – Abkehr von der autogerechten Stadt und Senkung des CO2-Ausstoßes – maßgeblich von einer radikal anderen Mobilität unserer Gesellschaft abhängen, wäre es durchaus angebracht, Mobilität in dem „Wunder von Mannheim“ funktional zu thematisieren. Dieser Entwurf besticht auch durch eine adäquate Landschaftskonzeption.

Weil klare Entscheidungen in vielen Jurys inzwischen gemieden werden, beruft man sich unter anderem auf „Prozesskultur“. So auch in Mannheim – hier waren unter anderen Peter Cachola Schmal (Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, Vorsitzender) und Georg Vrachliotis (KIT Karlsruhe), Fritz Auer und Jan Knippers und viele andere (siehe Links unten) vertreten. Mit den MannheimerInnen, in deren Bewusstsein die Multihalle in all ihrer Bedeutung gebracht werden muss, wird jetzt also weiter debattiert. Und dann gibt es ja auch 2023 eine weitere Mannheimer Bundesgartenschau; bis dahin soll die Halle immerhin saniert sein.
Nichts gegen Prozesskultur und Mitbestimmung. Zuvor muss jedoch fachlich geklärt, also begründet werden, worauf es bei diesem Meisterwerk ankommt. Immerhin fördert auch der Bund die Sanierung mit etwa 5 Mio Euro.


Links

Verein Multihalle, Wettbewerbsergebnisse

Literatur

Frei Otto (Hrsg.): Multihalle Mannheim. Mitteilungen des Instituts für Leichte Flächentragwerke, IL 13, Stuttgart 1978
Ursula Baus: …in die Jahre gekommen. Die Multihalle Mannheim. In: db deutsche bauzeitung, 9/2015
Enrico Santifaller: Frei Ottos Multihalle in Mannheim. In: Bauwelt 12.2017
Georg Vrachliotis: Frei Otto, Carlfried Mutschler: Multihalle. Leipzig 2018