Blumenschau mit Stadtkulisse. Und umgekehrt. Bild © BUGA Heilbronn 2019 GmbH
Sie ist fast eine Art Grand Projet: Die Heilbronner Bundesgartenschau ist nicht nur Vehikel, um den Stadtumbau voranzutreiben, sie repräsentiert auch den Anspruch der Stadt am Neckar, aktiv und beispielgebend die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Um diesen Anspruch zu dokumentieren, hat man die Gartenschau gleichzeitig als Stadtausstellung ausgerufen. Ein konsequenter und richtiger Zug. Etwas mehr Experimentierfreude hätte es allerdings sein dürfen.
Heilbronn gehört, man höre und staune, zu den reichsten Städten Deutschlands – im Durchschnittseinkommen seiner Einwohner liegt die Stadt ganz vorne. Der Durchschnitt ist freilich eine nur begrenzt aussagekräftige Zahl – so hat einen großen Anteil am Spitzenwert einer der reichsten Deutschen. Dieter Schwarz ist Lidl-Eigentümer und Gründer einer nach ihm benannten Stiftung, mit der Heilbronn viel Gutes getan wird. Der Bildungscampus der örtlichen Hochschule wird maßgeblich von ihr gefördert; die Studierendenzahlen sind dadurch deutlich gestiegen, die TU München hat hier kürzlich eine Dependance eröffnet. Auch die experimenta hätte es ohne die Stiftung nicht gegeben; über deren Neubau und neue Architektur in Heilbronn haben wir letzte Woche berichtet. Die Stadt lässt sich diesen Segen gerne gefallen, tut aber auch das ihre, um daraus weiteres Kapital zu schlagen. Denn in der Nachbarschaft zum Bildungscampus, auf einem in den letzten Jahren entwickelten Konversionsareal, wurde mit der kürzlich eröffneten Bundesgartenschau das getan, was inzwischen auch anderenorts mit diesem speziellen Ausstellungstyp getan wird: die langfristige Stadtentwicklung voranzutreiben. Das Areal der Bundesgartenschau liegt nun in direkter Nachbarschaft zum Bildungscampus und wertet auch dessen Umfeld wesentlich mit auf, öffnet der Stadt so weitere Entwicklungsoptionen. Nach dem Ende der Gartenschau wird der Umbau des Areals fortgesetzt, bis in einigen Jahren soll Quartier entstehen, das 3500 Menschen beheimaten und 1500 Arbeitsplätze bieten soll.
Die Buga als Entwicklungsbeschleuniger
Wer heute das Areal im Norden des Hauptbahnhofs durchstreift, sollte sich vor Augen halten, wie es hier noch vor gut zehn Jahren ausgesehen hatte. Eine mit 30.000 Autos am Tag stark frequentierte Bundesstraße trennte ein kaum der Öffentlichkeit zugängliches Industriegebiet vom Fluss. Hafenbecken, die hier einmal gewesen waren, sind im Laufe des 20. Jahrhunderts zugeschüttet worden, zuletzt war die kleinteilige industrielle Nutzung der Lage in direkter Stadtnähe nicht mehr angemessen. Vor etwa 20 Jahren wurde die Idee geboren, eine Bundesgartenschau als Katalysator für die Entwicklung dieses etwa 40 Hektar großen Areals zu nutzen, wenig später konnte die Stadt es mit Hilfe von Fördermitteln erwerben. In Konzepten ist früh die Idee entwickelt worden, durch eine geänderte Verkehrsführung das Gebiet von der Belastung durch die Bundesstraße zu befreien und damit die Trennung zum Fluss aufzuheben.
Den städtebaulichen Ideenwettbewerb für das neue Quartier hatten 2009 Steidle Architekten gewonnen, darauf aufbauend waren 2011 die Planer Machleidt und Partner mit Sinai Landschaftsarchitekten, beide aus Berlin, im Realisierungswettbewerb erfolgreich. Das Quartier, das nach diesen Plänen entstehen wird, heißt nun Neckarbogen und wird sich um teilweise wieder freigelegte Becken legen, Bänder mit unterschiedlich stark aufgebrochenen Blockstrukturen bilden eine dreischenklige städtebaulichen Figur.Im Nordwesten ist diese am Leitbild des Städtebaus aus dem 19. Jahrhundert orientierte Struktur am stärksten aufgelöst, es ist der von Stadt und Bahnhof am weitesten entfernte, für Wohnnutzungen attraktivste Teil. Direkt hinter dem Bahnhof, im Süden, ist die Blockstruktur an einem Boulevard aufgedoppelt. Über diesen Boulevard wird das Quartier erschlossen, an seiner südlichen Seite wird in Zukunft das Gewerbe dominieren.
Bislang hat man sehr darauf geachtet, dass in den Erdgeschossen der schon errichteten Häuser Gewerbeflächen angeboten werden. Das lässt sich besichtigen, denn für die Bundesgartenschau ist bereits ein Teil des Quartiers errichtet worden: An dessen Ostrand sind eine Jugendherberge und 22 fünf- bis neungeschossige Häuser mit 380 Wohnungen für etwa 800 Bewohner bereits fertiggestellt; sie bilden das Rückrat des Gartenschaugeländes und sind als Stadtausstellung dezidiert Teil des Buga-Programms. Sie sind auf großen Parzellen in drei Blöcken errichtet, streng dem städtebaulichen Konzept und einem Gestaltungsleitfaden der Stadtplaner folgend. 22 Gebäude in drei Blöcken, meist fünfgeschossig mit 380 Wohnungen, errichtet von 14 Investoren, die nur zweimal mit dem gleichen Architekten bauen durften und keine nebeneinanderliegenden Grundstücke erwerben durften.
Von allem etwas
Was bislang an Haustypen und Architektur zu sehen ist, ist durch ein von einer Baukommission begleitetes Konzeptverfahren bestimmt worden: Im Investorenwettbewerb wurde der Zuschlag für das Projekt vergeben, das hinsichtlich Architektur, Mischnutzung, Nutztungsflexibilität, Energiekonzept sowie der Kombination von Eigentums- und Wohnformen am meisten überzeugte. 50 Prozent der Erdgeschossfläche ist Gewerbe oder Geschäften vorbehalten, Eigentums- und Mietwohnungen sind in etwa gleicher Anzahl verwirklicht.
Von allem ist etwas zu finden: Inklusives Wohnen, eine integrierte Kindertagesstätte, Mehrgenerationenkonzepte, Angebote für Studierende, hochpreisiges und gefördertes Wohnen, Baugruppen. Hier ist eine den Begriff einer Ausstellung im Sinne eines Modellvorhabens angemessene Mischung zusammengekommen und in ansprechender Qualität errichtet worden. Die Baukommission trug dafür Sorge, dass die Versprechungen des Vergabeverfahrens auch eingehalten wurden.
Zu den Architekten gehören renommierte Büros wie Fink+Jocher aus München, deren Haus mit Holzschindeln bekleidet ist; Kaden+Lager aus Berlin haben hier das höchste Vollholzhaus Deutschlands errichtet, leider ist die Konstruktion hinter einer Aluminiumfassade versteckt. Kauffmann Theilig aus Stuttgart bauten ein Boardinghaus, Weinbrenner Single Arabzadeh eines, in dem Grafic Concrete, ein Verfahren zur Gestaltung von Betonfertigeteilen eingesetzt wurde, Baumschlager Hutter aus München eines mit umlaufenden, begrünten Balkonen, Birke Architekten ein Plusenergiehaus in Holzhybridbausweise. (Detaillierte Information über die Investoren, Programme und Architekten sind auf den Seiten der Buga oder in der Broschüre über die Stadtausstellung zu finden.)
Dem hohen Anspruch, hier in hoher Dichte – die GRZ reicht von 2,5 bis 4,2 – bereits die Vielfalt des zukünftigen Ganzen abbilden zu wollen, führt freilich dazu, dass gedrängt auf wenig Raum zusammengeballt wurde, was sich sonst über eine größere Fläche verteilt. Das daraus resultierende Fehlen von Normalität wird gestalterisch eher mühsam durch die Strenge des Städtebaus gehalten – vielleicht wäre es für die Zukunft angeraten, die Konzeptverfahren auch einer Interpretation der städtebaulichen Vorgaben zu öffnen und die Größenzuschnitte der Grundstücke nach oben und nach unten zu variieren, es ließe sich dadurch vielleicht ein Weg öffnen, die Investorenorganisationen breiter zu streuen, so dass auch Genossenschaften zum Zuge kommen. Wie man mit der Architektur zeigt, dass man ihr nicht vertraut: Sie wird in ein enges Korsett gesteckt, das das Schlimme verhindert, aber auch dem Besonderen wenig Chancen gibt. Davon abgesehen muss man anerkennen, dass hier sich eine Stadt sehr darum ringt, sich qualitätssichernde Verfahren anzueignen, ein Vorzeigequartier zu errichten. Sie hat mit Barbara Brakenhoff eigens eine Architektin als Moderatorin- und Koordinatorin eingesetzt; die Baukommission trug dafür Sorge, dass die Versprechungen des Vergabeverfahrens auch eingehalten wurden. Mit ihr will man auch die weitere Entwicklung begleiten. Blockheizkraftwerke, Photovoltaikanlagen, und die Nutzung von Biogas sollen für eine zukunftsfähige Energieversorgung sorgen; Regenwasser wird von den Gebäuden und er Straße in den zentralen See geleitet und dort mit Retensionsfiltern gereinigt.
Die Nagelprobe kommt noch
Konsequent ist das Gartenschauareal auf seine zukünftige Nutzung hin ausgerichtet. Ein hoher Wall im Norden schützt vor den dahinter liegenden Industriebereichen am Neckarkanal, in alle Richtungen sind mit Brücken und Wegen, teilweise am Wasser entlang, Verbindungen in die angrenzenden Stadtteile angelegt, mit Sitzbänken, kleinen Plätzen, Treppenanlagen, Spielplätzen und einem Kletterfelsen sind die Voraussetzung für ein Quartier geschaffen, von dem alle Heilbronner dauerhaft profitieren können; die leider zur Buga nicht realisierte Brücke im Westen des Hauptbahnhofs kommt hoffentlich noch.
Aber dennoch bleibt das schale Gefühl, dass man auf das letztlich Erwartbare trifft. Hier das bundesrepublikanisch Vorbildliche zusammengetragen und auf einem städtebaulichen Konzept aufgebaut, das tragfähig, aber auch nicht originell ist. Das Gartenzwerg-Maskottchen Karl macht das anschaulich. „Darauf muss man erst mal kommen“, spottete der Kabarettist Oliver Maria Schmitt über diese Idee der Macher.
Der Mangel an Traute zeigt sich am deutlichsten im Mobilitätskonzept. Man hat es nicht gewagt, auf eine Tiefgarage unter den drei Blöcken zu verzichten und die Parkplätze so zu zentralisieren, dass der Weg vom PKW zur Wohnung allein schon für eine Belebung sorgte; der Stellplatzschlüssel liegt bei 0,6 Parkplätzen je Wohnung. Auf lange Sicht ist ein Modalsplit von 30 zu 70 angestrebt, dabei setzt man auf die Qualität von Angeboten, die es leichter machen, das Auto stehen zu lassen, wie einer vielfältigen Flotte an Fahrzeugen für Sharing, Informationssystemen und gut ausgebauten Rad- und Wegenetzen. Hier hätte man sich dann doch etwas mehr Mut gewünscht, zum Ausbau des ÖPNV scheint man noch abwarten zu wollen, in der 59-seitigen Informationsbroschüre ist dazu keine Information zu finden.
Aber auch dort, wo sich später die Bebauung fortsetzen wird, hätte es etwas gewagter zu gehen dürfen, hätte man ephemeren Experimenten Raum geben dürfen, die Garten und Stadt in ein Miteinander verwandeln, statt es bei einem Nebeneinander zu belassen.
Der letztlich konventionelle Städtebau ist für die Zukunft kein großes Versprechen. Das Repertoire ist der dichten Stadt des 19. Jahrhunderts entlehnt, in dieser abgespeckten Form fehlt aber die Größe, die einer solchen Form ihre stadträumliche Kraft verleihen könnte. Dass sich daraus auch Chancen ergeben könnten, scheint nicht erkannt worden zu sein: Keine überraschenden Sichtachsen, keine ungewöhnlichen, blockübergreifenden autofreie Räume zwischen den Häusern, keine Herausforderungen für die Architektur, keine überraschenden Zusammenhänge. Die städtebauliche Plan changiert unentschlossen zwischen Solitärbauten und großer Figur und sorgt für eher behäbige Proportionen der einzelnen Baukörper, da mögen sich die Architekten noch so mühen. Die städtebauliche Figur ist stark auf sich bezogene, die wenig mit dem zu tun hat, was jenseits des Neckarbogens zu finden ist.
Es wird sich noch zeigen, ob das auch übertragenen Sinne ein Problem ist: der Neckarbogen als das Vorzeigequartier, eine 40 Hektar große Insel des Guten, dem der Alltag der Gesamtstadt gegenübersteht. Die Nagelprobe steht erst noch bevor. Sie ist erst bestanden, wenn das, was hier geleistet wurde, nicht nur zum Vorbild für andere Städte, sondern auch für den Heilbronner Alltag wird und nach de Buga zum Ansporn wird, nach neuen Konzepten zu suchen. Mit mehr Mut hätte man vielleicht mehr Angriffsflächen geboten, aber auch die Chance gehabt, den Städtebau in Deutschland tatsächlich einen Impuls zu geben. Die offensichtliche Anstrengung der Stadt macht allerdings auch deutlich, wie wichtig in Deutschland eine städtebauliche Kultur des Diskurses und der Anerkennung wäre, der nicht im 19. Jahrhundert erfüllt sieht, was wünschbar sein darf. Man kann Heilbronn keinen Vorwurf daraus machen, dass diese Kultur sich nicht entwickelt, weil sie nicht gepflegt wird. Diese Ausstellung zeigt, was bei uns state of the art ist. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.