Er war Gründungsmitglied der Metabolisten, baute mit 28 Jahren in den USA, bekam den Pritzker Preis und hatte ein feines Gespür für seine Zeit. Fumihiko Maki war einer der großen Architekten, einer, der nicht auf laute Gesten oder spektakuläre Shows angewiesen war. Kurz vor der Eröffnung des von ihm entworfenen Museums Reinhard Ernst in Wiesbaden ist er im Alter von 95 Jahren gestorben.
Vor gut zehn Jahren rief mich Reinhard Ernst an, ein Kunstmäzen aus Wiesbaden, dessen Unternehmen Harmonic Drive aus Limburg Weltmarktführer für Präzisionsantriebswellen ist, die in jedem Airbus zu finden sind und sogar das Apollo-Mondfahrzeug steuerten. Er sei befreundet mit dem Architekten Fumihiko Maki aus Tokio, der für ihn in Wiesbaden sein privates Museum bauen solle. Der sich daraus ergebende Vortrag des damals 86 Jahre alten Pritzkerpreisträgers im Deutschen Architekturmuseum war eine Sternstunde, ruhig und vornehm vorgetragen, gebannt verfolgt vom vornehmlich jungen Publikum, das nachher begeistert Selfies mit ihm machen wollte und Bücher und Magazine über ihn mitbrachten, die er signieren durfte. Er war sehr gerührt.
Metabolismus und Expo
Lange Zeit davor war er selbst ein junger neugieriger Architekt gewesen, der nach seinem Bachelor-Studium 1952 in Tokio (bei Kenzo Tange) in die weite Welt zog, zuerst in die USA, um an der neu gegründeten Cranbrook Academy of Arts von Eliel Saarinen in Bloomfield Hills, Michigan, zu studieren. Er wechselt für sein Masterstudium an die prestigeträchtige Grad School of Design (GSD) der Harvard University, wo er seinen künftigen Mentor Josef Lluis Sert, den damaligen Dean, kennenlernte. Nach Harvard arbeitete er für Skidmore Owings and Merrill (SOM) in Chicago und für das Büro seines Mentors Sert, Jackson & Associates in Cambridge, Massachusetts. Ab 1956 nahm er für vier Jahre eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Washington University in St. Louis, Missouri an und entwarf ein Museumsprojekt.
Die private Mäzenin Etta Eiseman Steinberg war begeistert und er realisierte 1960, mit 28 Jahren sein erstes Bauwerk: die Steinberg Hall, ein Museum mit Bibliothek. Ein innovatives Faltwerk aus Beton zeigt ihn auf der Höhe der Zeit. Im gleichen Jahr nahm er an der World Design Conference in Tokio statt, wo er, als einer der wenigen Japaner, die in den USA studiert hatten, für Louis Kahn übersetzte. Zusammen mit seinen damaligen Kommilitonen Arata Isozaki und Kisho Kurokawa sowie seinem ehemaligen Professor Kenzo Tange und Kiyonori Kikutake gründete er die sogenannten Metabolisten. Sie veröffentlichten auf der Konferenz ihr Manifest „Metabolism 1960: The Proposals for a New Urbanism.“ Etwas später nahm er in Südfrankreich auch an einem Treffen des Team X teil. Dennoch zeigen seine späteren Bauten keine formalen Ähnlichkeiten zu diesen Gruppen, im Gegensatz zum Werk von Tange oder Kurokawa. Nach zwei weiteren Jahren als Assistant Professors an der GSD in Harvard reiste er dank eines Stipendiums ausgiebig durch Europa, den Nahen Osten und Südostasien, bis er 1965 (mit 37 Jahren) sein eigenes Architekturbüro, Maki and Associates in Tokio gründete. Eines von seinen ersten großen Projekten in Japan war Hillside Terraces, ein Apartmentkomplex, dessen erster Abschnitt 1969 fertiggestellt wurde, und den er bis 1992 stetig erweiterte. Fred A. Bernstein, New York Times, befragte Maki dazu: „Obwohl das Reisen für seine Karriere unerlässlich war, sagte Herr Maki, er beneide vormoderne Architekten, die ihr ganzes Leben der Betrachtung eines einzigen Ortes und der Verbesserung seiner Qualitäten widmen konnten. Also baute er sein Büro mit Blick auf Hillside Terrace, um zu sehen, wie es sich im Laufe der Zeit entwickeln würde. Diese jahrzehntelange Erfahrung habe ihn demütig gemacht, sagte er.“ (1)
Die Expo’70 mit Kenzo Tange als leitendem Architekten sollte der Höhepunkt und das Ende der metabolistischen Bewegung werden. Maki war beteiligt an einem Pavillon, zusammen mit den leitenden Planern Tange und Uzo Nishiyama. In unseren heutigen Augen hat es keine spannendere Expo seit 1851 gegeben. Man war damals überzeugt und begeistert von der Kraft der Technik und der Utopien, von Megastrukturen und Space Frames, von Kapseln, Pods und Membrandächern. Archigram und Bakema waren vertreten, und Deutschland zeigte den ersten Kugelbau mit einem Klangwerk von Karlheinz Stockhausen. Auf der Expo wurde der erste IMAX-Film aufgeführt, es gab Sushi auf Laufbändern, einen Handyprototyp, eine Magnetbahn und ein Local Area Network LAN. Mit der Energiekrise von 1975 war Schluss mit Utopien, seither halten wir es eher mit Dystopien. Nicht erst seit Rem Koolhaas und Hans-Ulrich Obrist 2011 in ihrem Buchprojekt „Project Japan. Metabolism Talks“ die Metabolisten ausgiebig (und leicht paternalistisch) mit „der ersten Avantgardearchitektur, die nicht im Westen entstand, sondern im Tokio der Nachkriegszeit“ würdigten, (2) werden sie weltweit wiederentdeckt, auch oder vielleicht gerade, weil sie kaum etwas baulich hinterlassen haben. Kurokawas ikonischer Nagakin Capsule Tower in Tokio von 1972 wurde erst 2022 demontiert.
Immer einen Schritt voraus
In den 1980-ern wuchsen Maki and Associates und der Maßstab ihrer Aufträge – darunter ganze Messekomplexe, etliche Museen, Verwaltungsbauten oder Schulen, allesamt in Japan. Zwei der bedeutendsten Projekte dieser Zeit, die auch über Magazine und Fachbücher bei uns auftauchten, waren das Spiral Building in Tokio von 1985 und das Tokyo Metropolitan Gymnasium von 1990. Das Spiral Building, ein Kulturzentrum, ist faszinierend, denn hier collagiert Maki auf meisterhafte Weise die Fassadengestaltung im Einklang mit dekonstruktivistischen Strömungen. Ein großer postmoderner Kegel (Jahre vor Gustav Peichl), metallisch kühle Materialien, leichte Winkelverschränkungen (Jahre vor Richard Meier) und sogar wechselnde quadratische Fensterformate (Jahre vor Sanaa) zeigen ihn den Kollegen weit voraus. Die große Sporthalle des Tokyo Metropolitan Gymnasium dagegen demonstriert eine expressive, aber begründbar nachvollziehbare Gestaltung des Tragwerks, zeitgleich mit den britischen High-Tech Meisterwerken von Fosters, Rogers oder Grimshaw. 1993 stellt er seinen zweiten amerikanischen Bau fertig, das Yerba Buena Center for the Arts in San Francisco, ein flaches Kulturzentrum, das sehr viel Aufmerksamkeit in den USA bekam. Im gleichen Jahr erhält er als zweiter Japaner den Pritzker Prize, nach Kenzo Tange 1987 und vor Tadao Ando 1995, Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa 2010, Toyo Ito 2013, Shigeru Ban 2014, seinem Kommilitonen Arata Isozaki 2019 (Kisho Kuroakawa bekam ihn nie) und Riken Yamamoto 2024 – was Japan zu dem Land mit den meisten Pritzkerpreisträgern macht, sogar vor den USA.
Fumihiko Maki gewinnt den Pritzkerpreis mit 65 Jahren. Eigentlich für sein Lebenswerk, aber er geht nicht in Rente, sondern startet international erst richtig durch. Aufträge in den USA, Singapore, Taiwan und Indien und in Europa kommen herein. In den Arbeiten der letzten drei Jahrzehnten fällt es schwer, sein opus magnum innerhalb dieses Alterswerks zu definieren, wenn man es überhaupt so nennen kann. Denn seine Haltung, als Mittler zwischen Westen und Osten zu fungieren, nicht zu laut, zu expressiv oder zu vordergründig formal zu agieren, zeigt sich als stabil, werthaltig und langlebig. Dabei entwickelt sich sein Büro als perfektionistische Materialisierer, was aus Japan nicht wirklich verwundert, aber was nicht nur sie sich inzwischen leisten können, sondern was die Kunden sich auch leisten können müssen. Dafür bekommen sie ein Werk, das noch lange als werthaltig gelten wird. Nicht nur sein Bau im Novartis Campus in Basel, das Medienhaus Republic Polytechnic in Singapore, oder die School of Design and Visual Arts und das Kemper Art Museum an seiner früheren Alma Mater Washington University in St.Louis, Missouri sowie das MIT Media Lab in Cambridge, Massachusetts – besonders aber die Bauten für die Aga Khan Foundation, das London Centre und das Museum im kanadischen Ontario zeugen davon.
Dabei ist das größte Projekt von Maki and Associates am Ende auch eines der besten, die sie je gebaut haben: das fast 300 Meter hohe Four World Trade Center in New York, 2013 neben den beiden WTC Löchern des Memorial Parks und in direkter Nachbarschaft mit Three WTC von Rogers errichtet. Eine makellose, geometrische Plastik, aufbauend auf einem Quadrat und einem niedrigeren Dreieckskörper (mit Dachterrasse), die sich ungewöhnlich zurückhaltend gibt in der sehr lauten Umgebung, dominiert vom fast doppelt so hohen One WTC von SOM. Makis Bau besticht aufgrund seiner Fassade aus ultraklarem Glas statt Spiegelglas, wie es bei den Nachbarn verwendet wurde – es sorgt für Transparenz von außen und Lichtfülle im Inneren. Die Lobby weist eine Rückwand aus schwarzem poliertem Marmor auf, die auf atemberaubende Weise den Himmel widerspiegelt und den Raum dadurch entscheidend prägt. In der Begründung der Jury für den Pritzkerpreis findet sich ein Statement, das auch hervorragend auf den 20 Jahre später errichteten Turm passt: „Er nutzt das Licht auf meisterhafte Weise und macht es zu einem ebenso greifbaren Bestandteil jedes Entwurfs wie die Wände und das Dach. In jedem Gebäude sucht er nach einer Möglichkeit, Transparenz, Transluzenz und Opazität in völliger Harmonie zu vereinen. Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: „Die Details sind es, die der Architektur ihren Rhythmus und ihren Maßstab geben.“ (3)
Pars pro toto
Bei einer Begehung des Four WTC als Finalist des Internationalen Hochhauspreises 2014 wies der Projektleiter des Bauherrn Silverstein Properties mich auf den absoluten Qualitätsanspruch von Maki hin. Die Innenwände der Aufzüge sollten aus einzelnen Scheiben polierten Edelstahls sein, ohne Fuge oder Stoß, in voller Länge. Aber weder die gewünschte Perfektion und Art und Weise der Politur noch die Dimension der Scheiben waren in den USA herstellbar, so mussten alle Scheiben aus Japan importiert werden. Das Ergebnis: ein leicht schimmerndes, verschwommen spiegelndes, aber nicht reflektierendes Bild voller Licht und etwas Mysterium. Ein kleines, unscheinbares Detail repräsentiert die gesamte Architekturauffassung von Fumihiko Maki.
In diesen Tagen lässt sich etwas vom großen Geist dieses alten Meisters der japanischen Architekturkunst auch in Deutschland erahnen, beim neu eröffnenden „Museum Reinhard Ernst“ in Wiesbaden mit seiner funkelnden weißen Granitfassade aus dem amerikanischen Vermont, die gestockt und nicht geschliffen wurde, um das Licht besser zu reflektieren. Hier lassen sich auch die sorgfältigen Bezüge zum nachbarlichen Kontext und die überraschende Raumdynamik im Inneren erleben, die Makis Arbeiten immer wieder herausragend auszeichnen.
Das Museum Reinhard Ernst eröffnet am 23. Juni. (Tickets für den 23. Juni sind bereits ausverkauft) Weitere information >>>
(1) “Though travel was essential to his career, Mr. Maki said he envied premodern architects, who could devote their whole lives to contemplating a single place and enhancing its qualities. So he built his office overlooking Hillside Terrace in order to see it evolve over time. That decades-long experience was humbling, he said.“
https://www.nytimes.com/2024/06/12/obituaries/fumihiko-maki-dead.html
(2) siehe https://www.taschen.com/en/books/architecture-design/06769/koolhaas-obrist-project-japan-metabolism-talks
(3) „He uses light in a masterful way making it as tangible a part of every design as are the walls and roof. In each building, he searches for a way to make transparency, translucency and opacity exist in total harmony. To echo his own words, „Detailing is what gives architecture its rhythm and scale.“
https://www.pritzkerprize.com/laureates/1993#laureate-page-162
Korrektur: Im Newsletterversand haben wir geschrieben, dass das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden das erste Gebäude Makis in Deutschland sei. Das ist nicht korrekt. Es ist sein viertes. Zuvor wurden nach seinen Entwürfen zwei Gebäude in Düsseldorf und eines in München errichtet. red.