Ausgerechnet im nachgebauten Berliner Schloss soll neun Monate lang an den Palast der Republik erinnert werden. „Zynisch“ nennen das die Autoren eines Offenen Briefes1), die einst mit Energie und Phantasie für eine Nachnutzung der imposanten Stahlstruktur gekämpft hatten. Zur jetzigen Ausstellung wurden Zeitzeugen befragt, darunter die Künstlerin Getraude Pohl – Autorin dieses Beitrags –, die schon am Aufbau des Palastes beteiligt war. Ihre Reflexion offenbart eine Sichtweise, die in den Debatten um die Schlossreplik viel zu selten öffentlich wahrgenommen wurde.
Das falsche Schloss
Die Neuinszenierung des Hohenzollernschlosses an der Stelle des Palastes der Republik in Berlin blendete vierzig Jahre Deutsche Demokratische Republik aus wie auch das Dritte Reich mit Krieg und Nachkrieg einschließlich der Teilung Deutschlands. Das denkmalwerte Symbol der DDR-Moderne war nach achtzehn Jahren politischer Abwertung ausradiert. Bis 1989 nur knapp vierzehn Jahre in Funktion, wurde es eklektizistisch überschrieben.
Das neue, falsche Schloss präsentiert nicht nur sich selbst in kaiserlich preussischer Kulisse, sondern sogleich auch die Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus kolonialer Zeit unter dem Stichwort „Dialog der Kulturen der Welt“. Natürlich kollidierte das Konzept mit der internationalen Kritik am Umgang mit dem verdrängten deutschen Kolonialerbe und erforderte vielfaches Umsteuern der Ausstellungsinhalte und letztlich auch des politischen Handelns. Das Unerwartete: Je mehr Energie man am neuen Schlossplatz in die Auslöschung und die Umdeutung der jüngsten wie der älteren Geschichte investierte, desto präsenter wurde sie. In Worten der Dichterin Ingeborg Bachmann: „… doch treibt, was wahr ist, Sprünge in die Wand“.2)
Das „Humboldtforum im Berliner Schloss“ wurde zum Symbolbau geschichtspolitischen Versagens. Hinter den nachgebildeten Barockfassaden des Preussenschlosses steht es nun als monumentales Zeichen deutschgründlicher „Vergesslichkeit“ in der Mitte der deutschen Hauptstadt – auf weiträumig versiegeltem Grund und Boden. Es spiegelt die Verfasstheit einer gesellschaftlichen Mehrheit: die Sehnsucht, endlich wieder unter Posaunenengeln und Kuppelrund durch überhohe Bogentore zu schreiten. Eintreten – wohin? Lustwandeln – nach Kaiserart?
Das gesamtdeutsche Parlament hatte eine Bildphantasie gewählt, die erhoffte Darstellung von alter Macht und Größe, keine zeitgemäße Würdigung des Ortes, keine Idee von Verantwortung für die Chance des Zusammenwachsens deutscher Identitäten durch Weiterbau und Entwicklung des Geerbten. 2005 montierte der Norweger Lars Ø. Ramberg das beunruhigende Wort ZWEIFEL in leuchtenden Lettern auf das Dach der Palastruine. Ein Denkwort der gewendeten Zeit wie WAHNSINN.
Meine Mitarbeit an der Bauaufgabe Palast der Republik begann 1973. Ich war Mutter einer zweijährigen Tochter und brachte die Erfahrung von Design und künstlerischer Arbeit für mehrere Berliner Gesellschaftsbauten mit, zuletzt für das Hochhaushotel am Alexanderplatz. Bis zur Eröffnung des Palastes 1976 arbeitete ich an der ästhetischen Gestaltung des damals größten Kulturbaus der Republik. Sonnabends mit Kind, weil die Kita geschlossen war. Vier Jahre Lust und Frust zwischen den großen kommunikativen Potenzialen des Hauses und den Reglementierungen der Zeit.
Deutsch-deutsche Geschichte
Dass ich fünfzig Jahre nach dem Beginn der Planung des Republikpalastes, dreiunddreißig Jahre nach seiner Schließung noch immer und immer wieder Wirkung und Wahrheit des geschleiften Symbolbaus bedenke, liegt offensichtlich an der ikonischen Dimension des Gebäudes und seinem politischen Schicksal. Der Palast der Republik verkörpert exemplarisch deutsche Geschichte sowohl mit seiner Existenz als auch in seiner Abwesenheit. Ich wurde aktive Zeugin des Entstehens und der Zerstörung – als Beteiligte und als Künstlerin. Mit Wortwendungen und Widersprüchen intervenierte ich an stadtöffentlichen Orten und in Kunstausstellungen.
Der Abriss des Palastes der Republik war nicht der Weltuntergang. Und das „Haus des Volkes“ am Berliner Marx-Engels-Platz war nicht die Heimat aller DDR-Bürger. Jedenfalls aber blieb die Auslöschung des exponierten Gebäudes eine machtvolle Demütigung der Ostdeutschen, die schon nach dem gesamtdeutsch verlorenen Krieg die Reparationen an die Siegermacht Sowjetunion allein zu zahlen hatten und denen Anfang der Neunziger nach dem Beitritt der DDR zur BRD erneut der Boden unter den Füßen weggezogen war, ihre Arbeit, ihre berufliche Qualifikation, ihre Kunst, ihre Grundstücke, ihr Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit.
Wieviel klüger wäre es gewesen, nach der Staatenwende soziale Wunden und Entwurzelung zu heilen im Sinne gleichberechtigter Wiedervereinigung, statt neue gesellschaftliche Brüche zu erzeugen, wiederum aus der Position von erklärten Siegern der Geschichte. Mit Sorge sehen wir seither und bis heute Entwicklungen der politischen Entfremdung und der staatsbürgerlichen Radikalisierung von Menschen in unserem Umfeld, den Unzufriedenen, den Nicht-Teilhabenden, den Querdenkern und den geistig Heimatlosen. Ist das der Preis, den eine Gesellschaft bezahlt für die Auslöschung von Erinnerung und Identität?
Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart. Ausstellung im Humboldt Forum, Berlin, bis 16. Februar 2025. https://www.humboldtforum.org/de/
Neu: Am 13. Juni 2024 wurde die Initiative Schlossaneignung präsentiert: https://schlossaneignung.de/
1) Der Offene Brief im Wortlaut: http://schlossdebatte.de/zur-ausstellung-hin-und-weg-der-palast-ist-gegenwart-im-humboldt-forum/
2) Ingeborg Bachmann: Was wahr ist.
Letzte Strophe: „Du haftest in der Welt, beschwert von Ketten
doch treibt, was wahr ist, Sprünge in die Wand.“