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Am Mittwoch, den 31. Januar 2018, hält Gerd de Bruyn, der seit 2001 das legendäre igma (Institut für Grundlagen moderner Architektur) der Universität Stuttgart leitete, seine Abschiedsvorlesung – Anlass, einen Blick auf Bücher zu werfen, die im weitesten Sinne die Architekturtheorie betreffen, zumal in einem dieser Bücher Gerd de Bruyns „Programmatische Texte“ versammelt sind. Um im Diskurs über Architektur weiterzukommen, stehen andere Disziplinen derzeit hoch im Kurs.

31. Januar 2018, 18 Uhr, Hörsaal 17.02 | Universität Stuttgart, Keplerstraße 17

Gerd de Bruyn: Theorie der modernen Architektur. ISBN: 978-3-928249-77-5, 184 Seiten, 22 x 15,5 cm, 14 €
1805_B_Theorie_deBruynSeine Ausbildung führte Gerd de Bruyn wie einen akademischen Nomaden in allerlei Fachbereiche: Er studierte Literatur- und Musikwissenschaft, dann am Städel in Frankfurt Architektur und promovierte im Fach Soziologie in Darmstadt. Was ihn nun über Jahrzehnte gedanklich bewegte, zeichnet ihn als Wanderer zwischen den Welten im interdisziplinären und essaystischen Metier des Nachdenkens über Architektur aus. So führt der Titel „Theorie der modernen Architektur“ in die Irre: Gerd de Bruyn zeichnet nicht nach, was als Architekturtheorie der Moderne ausgemacht werden könnte. Nein, er schreibt es selbst im Vorwort: Gedacht sei das Buch „als Rückblick, Bilanz und Abschiedsgruß an alle, die ich vermissen werde“. Heiter verstößt er gegen wissenschaftliches Arbeiten, nimmt aber auch nie Partei für lebende Architekten – für tote schon. Und vor allem geht es ihm um Architektur als „reflektierte und politisch engagierte Kunst“. Woran man sich gewöhnen muss, ist wie Gerd de Bruyn von „der“ Architektur spricht, als sei sie eine handelnde oder denkende Person. Oder eine „enzyklopädische Wissenschaft“. Oder eine „anachronistische Synthese, die mehr oder weniger heroisch aufbegehrt gegen ihre Aufsplitterung in Einzeldisziplinen“. Und der Autor macht auch keinen Hehl daraus, dass ihn in den letzten Jahren – wie so viele – der traditionelle Charakter von Architektur mehr und mehr interessierte. So lesen sich die Beiträge wie ein kulturwissenschaftliches Tagebuch, in dem Streifzüge durch fast alle Aspekte der Architektur zu finden sind – Ornament, Atmosphäre, Ökonomie und Funktionalismus, Technik und Kultur, Populismus und Provinz und viele mehr. Es schimmert in allen Texten eine latente Skepsis gegenüber der Gegenwart: Um deren Architektur scheint es nicht gut bestellt zu sein. Gerd de Bruyns Texte sind dessen ungeachtet brillant geschrieben und damit stets ein Lesevergnügen.

Susanne Hauser, Julia Weber (Hg.): Architektur in transdisziplinärer Perspektive. ISBN 978-3-8376-2675-9 , 402 Seiten, 34,99 €
1805_B_HauserMotivation für die Herausgabe dieser Ringvorlesungstexte ist die – zu Gerd de Bruyn passende – These, „dass die Reflexion von Architektur im deutschen Sprachraum weitgehend getrennt von geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen erfolgt“. Diese These schränken die Herausgeberinnen zum Glück ein, denn Nachdenken über Architektur ist seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert fast ausschließlich Anliegen von Kunsthistorikern, gelegentlich von Philosophen und in den 1970er-Jahren auch von Soziologen – und ganz selten von Architekten gewesen. Erhellend dazu skizziert Christian Freigang eine „Geschichte der Architektur der Geschichte“, in der deutlich wird, wie zeitbedingt und intentional Architekturgeschichtsschreibung zu analysieren und revidieren ist. In der Textsammlung rücken nun Literatur- und Filmwissenschaft, Medien, Musik-, Theater- und Tanzwissenschaften sowie Anthropologie der Architektur näher: Wenn etwa Bernhard Waldenfels in einer „Phänomenologie des architektonischen Raumes“ Raum nicht nur als Aspekt von benutzbaren Werkobjekten, sondern als Medium begriffen wissen möchte. Oder Ludger Schwarte Architekturthemen in der Philosophiegeschichte von Heraklit bis Heidegger untersucht und Aufgaben einer Architekturphilosophie charakterisiert. Das Buch macht deutlich, wie ertragreich eine transdisziplinäre Perspektive sein kann, wenn die Einzeldisziplinen nicht aus dem Blick geraten oder sogar nivelliert werden.

Gerrit Confurius: Architektur und Geistesgeschichte. ISBN 978-3-8376-3849-3, 420 Seiten, 34,99 €
1805_B_ConfuriusNicht als Textsammlung, sondern als beherzte, weitreichende Suche nach dem Grundsätzlichen im Verhältnis von Architektur zu Philosophie, Theorie und Soziologie – kurz: Geistesgeschichte ist dieses vierteilige Buch zu lesen. In einem > Interview mit dem Verlag fasst der Autor zusammen: „Theorien über die Architektur, die von Architekten, Soziologen, Anthropologen, Romanautoren ersonnen wurden, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben und welche Beziehungen sie zueinander unterhalten.“ Seinen Stoff gliedert der Autor, ohne zu erklären warum, in die Kapitel A: „Orte und Grenzen, Leib und Blick, verkleinerte Modelle“, B: „Die Sprache der Monumente, der Skandal des Ornaments“, C: „Mitte und Peripherie“ und D: „Permanenz und Gedächtnis, Demiurg und Bastler“. Zwischenüberschriften, die dem Leser den Einstieg in die „Beziehungskisten“ erleichtern würden, fehlen. Im Ganzen hat man eine Bleiwüste vor sich, wobei man sich – irgendwo eintretend – entscheiden muss, wie weit man sich in dieser Wüste verlieren möchte. Gerrit Confurius stellt als Ausgangspunkt die Frage, „auf welche Weise Architektur zum friedlichen Zusammenleben und zum Gelingen des Lebensentwurfs beitragen kann“ und streift dann durch die europäische Geistesgeschichte – das ist, weil mal mäandernd, mal sprunghaft in der Gedankenführung, anstrengend und kaum am Stück zu lesen. Für dieses Architekturlesebuch braucht man viel Zeit oder einen langen Urlaub – oder man legt es auf den Nachtisch oder neben den Computer. Um aus dem Architekturalltag einfach mal raus und auf andere Gedanken zu kommen.

Hartmut Mayer: Mimesis und moderne Architektur.
ISBN 978-3-8376-3812-7, 322 Seiten, 34,99 €

1805_B_MimesisHier liegt eine Habilitationsschrift vor, die 2015 am Lehrstuhl von Gerd de Bruyn angenommen wurde. Fokussiert auf den Begriff „Mimesis“, geht der Autor einem Aspekt von Architektur und Architekturtheorie nach, der Debatten in der Gegenwartsarchitektur bereichern könnte. Mimesis darf dabei nicht einfach als Imitation oder Nachahmung bezeichnet werden, vielmehr sollte von einem ontologischen Bezug zwischen Natur und Welt die Rede sein. Wie in allen anderen hier besprochenen Publikationen irritiert, dass von „der Moderne“ gesprochen wird – die aber argumentativ dauernd instrumentalisiert wird, ohne als „vollendetes Projekt“ gelten zu dürfen. Kategorien, Herkunft und neuzeitliche Entwicklung des Begriffs „Mimesis“ werden geklärt, bevor es dann zur modernen Architektur, zu Nietzsche (Verleiblichung) und Adorno (Vergesellschaftung) geht. Den Abschluss bildet die Wirkungsgeschichte der „Querelle des anciens et des modernes“ im 20. Jahrhundert Le Corbusiers und Peter Eisenmans „Ende des Klassischen“.

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Monika Leisch-Kiesl, Max Gottschlich, Susanne Winder (Hg.): Ästhetische Kategorien.
ISBN 978-3-8376-3591-1, 440 Seiten, 34,99 €

1805_B_Leisch_KieslGrundlage dieser Textsammung ist wie im zweiten hier besprochenen Band eine Ringvorlesung, hier an der Fakultät für Philosophie und Kunstwissenschaft der Katholischen Privat-Universität Linz. Sie sei zur Lektüre vor allem empfohlen, weil sie hilft, auf inhaltliche Schärfe in allen Argumentationen auch zur Architektur zu achten. Ästhetische Begriffe, die im Alltag omnipräsent sind, werden hier aus philosophischer und kunstwissenschaftlicher Sicht betrachtet und dargestellt. Es geht dabei um das Schöne, das Erhabene, das Hässliche, die Nachahmung, die Atmosphäre, die Zeitlichkeit, das Zeichen, um Handlung, Performance und Transformation. Zwar beziehen sich die Beiträge ausschließlich auf Kunst, aber weil sich dabei zeigt, welche inhaltlichen Veränderungen die ästhetischen Kategorien beziehungsweise Begriffe erfahren, sind sie für viele Argumentationsketten auch im Architekturdiskurs von Bedeutung.

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Im Elfenbeinturm?

Bei Hartmut Mayer liest man folgenden den Satz: „Architektur mit Nietzsche als mimetische Disziplin zu denken bedeutet, sie als eine körperlich-räumliche, eigentlich mythologische Kunst zu erkennen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit unserer Physis steht und dadurch die alte anthropomorphe Analogie wieder thematisiert“.

So sei es, denkt man, geht hinaus an die frische Luft und schaut auf die Stadt – dann leuchtet das Problem der gegenwärtigen Architekturtheorie auf. Auch im Zusammenwirken mit Geisteswissenschaften erklärt sie nicht, warum die Welt so aussieht, wie sie aussieht und warum sie sich wie verändert. Geisteswissenschaften entschwinden mehr und mehr aus den akademischen Lehrangeboten, staatlich gefördert werden bereits in den Schulen nur die MINT-Fächer und Wirtschaftswissenschaften. Architekturtheorie droht sich in einer Art Elfenbeinturm einzumauern, zu dem nicht einmal mehr Architekten Zugang finden.