„Plötzlich unter Denkmalschutz“, „Eigentümer befürchten massiven Wertverlust“, „Teilenteignung“ – die reißerischen Schlagzeilen kommen in diesem Fall aus Hamburg, genauer: aus Poppenbüttel. Sie stehen exemplarisch für die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen von der Förderung und anderen Leistungen der öffentlichen Hand profitieren, ohne sich im Gegenzug der Allgemeinheit verpflichtet zu fühlen. Dabei profitieren Eigentümer auch vom Denkmalschutz. Der behauptete Wertverlust lässt sich auf lange Sicht nicht nachweisen. Im Gegenteil.
Man war sich in der nordöstlichen Nachbarschaft, ganz am Hamburger Stadtrand, wohl selten so einig wie Anfang Januar diesen Jahres, als die Mitteilung die Runde machte, dass die ehemalige Bauausstellung „Hamburg `78“ unter Denkmalschutz gestellt worden sei. Die Wertschätzung, die das Amt für Denkmalpflege der Hamburger Kulturbehörde diesem Einfamilienhaus-Ensemble am Poppenbüttler Berg entgegenbrachte, stieß in der wohl überwiegenden Bewohnerschaft im Gegenteil auf schieres Entsetzen. Das Hamburger Abendblatt berichtete am 25. Januar von überrumpelten Eigentümerinnen und Eigentümern und ließ eine Maklerin schwere Not prophezeien: Es werde jetzt alles bürokratischer, schwieriger und teurer. Zudem müsste im Falle eines Verkaufes mit einer Wertminderung von bestimmt 30 Prozent gerechnet werden. Es handele sich bei den Häusern eben nicht um denkmalgeschützte Villen in Winterhude. Wobei offen blieb, ob mit dieser Aussage die Lage oder der Status dieser vage bezeichneten Immobilien gemeint war. Der Wertverlust käme einer Enteignung, zumindest einer Teilenteignung gleich, hieß es später. Die in Hamburg oppositionelle CDU beklagte die Heimlichtuerei der Denkmalpflege und bot Gesprächsabende zu dem Thema und sich selbst als Sammelbecken für den Protest an. Mittlerweile soll eine Petition bei der Hamburger Bürgerschaft eingereicht werden. Man will erreichen, dass die Unterschutzstellung zurückgenommen wird.
„Das sind Holz-Jaffa-Kisten, die mit Klinker schön gemacht wurden. (…)“ ließ sich ein Bewohner durch das Abendblatt zitieren. Er wolle eine Solaranlage installieren und das dürfe er jetzt nicht mehr, klagte er. Wie eine Apfelsinenkiste diese hätte tragen sollen und warum ein offensichtlich negativ gemeinter Hinweis auf deren israelische Herkunft hier absolut unangebracht ist, ließ das Abendblatt unkommentiert. Die wenigsten Häuser auf diesem Areal sind außerdem Holzbauten.
Zu erwähnen, dass es der Denkmalschutzstatus ermöglicht, bauliche Investitionen von der Steuer abzusetzen und im Falle einer energetischen Sanierung auch eine Beratung durch das Denkmalamt einzuholen, schien wohl überflüssig zu sein. Unklar blieb in diesem wie in den weiteren Artikeln der Hamburger Tagespresse auch, welchen fachlichen Hintergrund der Denkmalschutz hier hat.
Ein Modell gegen die Abwanderung
Hamburg war in den späten 1970er und in den 1980er Jahren eine schlafende Schöne. Nur wenige erkannten den Reiz von Stadtteilen wie Winterhude, Ottensen, St. Pauli oder St. Georg. Für letztere war noch wenige Jahre zuvor ein kompletter Abriss und die Bebauung mit megalomanen Baustrukturen vorgesehen. Lediglich einige Unentwegte und Pioniere der „Hamburger Szene“ ließen sich in Pöseldorf, auf St. Pauli oder in Eppendorf nieder. Die meisten verließen die Stadt, siedelten sich im Hamburger Speckgürtel mit guter Autobahnverbindung an und verstopften auf dem Weg zur Arbeit die Stadt und zurück ins Heim im Grünen die Straßen mit ihren Autos. Gefragt waren Villen in Ahrensburg, Großhansdorf oder Wedel, nicht in Winterhude. Einfamilienhäuser waren in Norderstedt oder Halstenbeck interessant. In Hamburg schrumpfte die Bevölkerungszahl erheblich. Die Statistiken zeigen für diese Jahre einen förmlich Absturz von 1,86 Millionen 1964 auf 1,57 im Jahr 1986, während die Bevölkerungszahlen in den Hamburger Randgemeinden in Schleswig-Holstein und Niedersachsen massiv anstiegen. Heute wohnen in Hamburg wieder knapp 1,9 Millionen Menschen.
Um der Abwanderung in den 1970er Jahren zu begegnen, wollte die Hamburger Baubehörde zeigen, dass es auch im Stadtgebiet möglich ist, Einfamilienhäuser attraktiv zu bauen. Dazu sollte unter anderem die Bauausstellung „Hamburg Bau ’78“ animieren. Zunächst war nur eine Schau von Bauträgern, Fertighausfirmen und Systemhausanbieter vorgesehen. Die Hamburger Architektenverbände und Berufsorganisationen intervenierten und bestanden auf der Auslobung eines städtebaulich-architektonischen Wettbewerbs, der dann auch einen erheblichen kreativen Input ergab. Es gewannen renommierte Architekten wie die Büros APB (Architektengruppe Planen und Bauen, Beisert, Findeisen, Grossmann, Hensel, Wilkens), PPL (Planungsgruppe Prof. Laage), von Gerkan, Marg und Partner, Architekten Contor Schäfer Ferdinand und Otto Steidle aus München. Ihre Entwürfe formten Häuser, die über das gesamte Ausstellungsareal ausgebreitet wurden. Die Bauträgerschaft übernahm die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft SAGA. Es entstanden Wohnhöfe nach holländischen Vorbildern, sog. Woonerfs. Ruhige, dem Fußverkehr vorbehaltene Wege ziehen sich durch die Anlage. An einem zentralen Teich entstanden Grundstücke mit idyllischen niederländisch anmutenden Wasserlagen. Ineinander verschränkte Pultdächer formten vielfältige Dachlandschaften. Reihen-, Ketten- und Artriumhäuser zeigen, dass auch Einfamilienhäuser kompakt und mit wenig Flächenverbrauch gebaut werden und unter Umständen gute Nachbarschaft ermöglichen können. Der Münchener Architekt Otto Steidle zeigt mit seinen engverwobenen Stadthäusern, dass bauliche Dichte durchaus urbane Wohnqualitäten, Terrassenlandschaften und intensive Grünnutzung verbinden kann. Sein mit Uwe Kiessler in den 1980er Jahren für Gruner + Jahr entworfenes Verlagshaus machte ihn in Hamburg fast berühmt. Es steht ebenfalls unter Denkmalschutz.
Wertsteigerung durch Denkmalschutz
Eine Rundgang über das alte Ausstellungsgelände zeigt die Häuser in durchweg gutem Zustand. Es gibt nur wenige Veränderungen. Die sonst in solchen Gegenden üblichen Um-, An- und Aufbauten, die den Häusern wie Pestbeulen aus Fassaden und Dächern wachsen, fehlen hier. Auch viele Inneneinrichtungen, Bäder und Küchen sind noch im Originalzustand zu finden. Die Architektur der Häuser scheint sich bewährt zu haben. Auch dies war, so erklärte es das Amt für Denkmalpflege, ein Grund für die Unterschutzstellung der Anlage. Man lobt hier die Sorgfalt, mit der die Häuser bislang behandelt wurden, doch die Atmosphäre ist mittlerweile so vergiftet, dass manche Bewohner:in meint, sich dadurch den Denkmalschutz erst eingehandelt zu haben. Gegen eine Erhaltungssatzung würde man sich in der alten Hamburg Bau nicht wehren, doch sie würde die Häuser nicht in ihren baulichen Details bewahren, die den Charme des Ensembles hier aus machen.
Die Fronten in Poppenbüttel erscheinen in den Berichten der Tagespresse, insbesondere des Hamburger Abendblatts so verhärtet und die Lage so zugespitzt zu sein, dass kaum noch eine Verständigung möglich ist. Gegen das Vorgehen des Amtes für Denkmalpflege ist rechtlich offenbar nichts einzuwenden, und angesichts des geballten Widerwillens erscheint auch die Entscheidung sinnvoll gewesen zu sein, das Gespräch nicht vor, sondern nach der Unterschutzstellung zu suchen. Partizipativ wäre diese Entscheidung ohnehin nicht zu treffen gewesen, und so konnten mögliche kurzfristige Trotzumbauten verhindert werden.
Von außen betrachtend fragt man sich, was die Leute hier so erregt, und ein wenig erinnert dieser Fall an die Siedlung der Richard Neutra-Häuser in Quickborn aus den frühen 1960er Jahren, gegen deren Denkmalschutz es aus der Bewohnerschaft ebenfalls große Widerstände gab und trotzige Umbauten erfolgten, deren Urheber sich spätestens dann sehr geärgert haben dürften, als die Nachbarn anfingen, den Denkmalschutz so ernstzunehmen, dass sie sich für die Restaurierung der Häuser Originalteile für die Heizung aus den USA liefern ließen. 2013 berichtete der Spiegel über immense Wertsteigerungen dieser Häuser. Auch in Hamburg-Rothenburgsort tat der Denkmalschutz der alten Gasolintankstelle gute Dienste. Sie wurde zu einem würdigen Treffpunkt für Oldtimer-Enthusiasten, die nie auf die Idee kommen würden, ihre Schätzchen nicht originalgetreu umzubauen.
Auch auf der Hamburg Bau haben Architektinnen und Architekten Häuser gebaut, deren Wert derzeit die Denkmalpflege höher einschätzt als Teile der Bewohnerschaft und die begutachtende Maklerin. Die Anerkennung historischer Bausubstanz ist aber nicht in Stein gemeißelt.