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Zwei Architekten sind just verstorben, die der Postmoderne zuzurechnen sind – und damit einer hierzulande fast vergessenen Phase des Bauens, die in Deutschland kurz und gemäßigt verlief. Frank R. Werner kannte Heinz Mohl und Rob Krier und erinnert mit persönlichen Anmerkungen an die beiden Architekten, deren Werke Bestand haben.

Skulptur von Rob Krier für einen Brückenpavillon in Pforzheim, 2005 (Bild: Shaqspreare, wikifree)

Heinz Mohl, 1987 (© Dirk Altenkirch)

Heinz Mohl, 1987 (© Dirk Altenkirch)

Nach Worten ringend – Heinz Mohl (1931-2023)

Heinz Mohl, der nun im Alter von 92 Jahren in seiner Heimatstadt Karlsruhe verstorben ist, dürfte als ein unterschätzter und in der jüngeren Generation fast schon vergessener Architekt in die Baugeschichte eingehen. Dabei hat er jahrzehntelang Bauzeitschriften jedweder Couleur mit umfänglichen Darstellungen seiner großen Projekte gefüllt. Und es gab sogar Zeiten, in denen er spöttisch als Stadtbaumeister Karlsruhes, sprich legitimer bis umstrittener Nachfolger von Friedrich Weinbrenner und Heinrich Hübsch bezeichnet wurde.
Studiert hat er an der TH Karlsruhe bei Otto Haupt, O. E. Schweizer und Egon Eiermann. Nach dem Diplom und  einem einjährigen Stipendium an der Uni Florenz wurde er 1958 Assistent von Otto Haupt. 1962 bis 1967 war er in der Bauverwaltung tätig. Danach war er erneut TH-Assistent und von 1972 bis 1974 Lehrstuhlvertreter für das Fach Gebäudelehre und Entwerfen. 1974 wurde Mohl schließlich zum Professor für allgemeine künstlerische  Ausbildung und ab 1981 als Nachfolger Erwin Heinles zum Professor für Entwerfen an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart berufen. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Umstrukturierung des Studiengangs Innenarchitektur und Möbeldesign zu einem universitätsanalogen Architekturstudiengang beteiligt. 1987 und 1988 war er zeitweise Ehrengast der römischen Villa Massimo. Das Badische Landesmuseum präsentierte 1995 eine umfassende Ausstellung seiner Werke, 1996 wurde Heinz Mohl emeritiert. Nach der später erfolgten Schließung seines Karlsruher Büros siedelte er mit seiner Frau ins Tessin über, wo er in Caviano ein bestehendes, vom Atelier 5 entworfenes Haus  als Zweitwohnsitz erworben hatte. 1998 gelangte ein äußerst umfängliches Konvolut von 50.000 Mohl-Archivalien (Pläne, Modelle, Korrespondenzen, Zeihnungen etc.) als „Fondation Heinz Mohl“ an das SAAI der Uni Karlsruhe.

Heinz Mohl: Reihenhauszeile in der Heinrich-Weitz-Straße/Straße des Roten Kreuzes / Bergwald-Siedlung Karlsruhe, 1965/66 (aufgenommen 2023, unser Dank gilt Gerhard Kabierske)

Heinz Mohl: Reihenhauszeile in der Heinrich-Weitz-Straße/Straße des Roten Kreuzes / Bergwald-Siedlung Karlsruhe, 1965/66 (aufgenommen 2023, unser Dank gilt Gerhard Kabierske)

Bergwaldsiedlung, Karlsruhe (© Gerhard Kabierske)

Bergwaldsiedlung, Karlsruhe (© Gerhard Kabierske)

Mohls Werk hat viele Gesichter. Mit seinen wunderschönen minimalistischen Kalksandstein-Reihenhäusern in der Karlsruher Bergwaldsiedlung (1967 und 1974) erregte er erste öffentliche Aufmerksamkeit. Wie auch mit dem Ateliergebäude von Horst Antes, dem er zeitlebens freundschaftlich eng verbunden blieb. Internationales Aumerksamkeit erwecke er, als er mit den Kaufhäusern Schneider in Freiburg und Ettlingen (1975 und 1977) oder dem neuen Rathaus in Rottweil (1980) einen tatkräftigen Beweis lieferte. Dass nämlich neues regionalspezifisches Bauen im historischen Kontext jenseits postmoderner Stildebatten auf hohem bis höchsten Niveau durchaus möglich war.

Heinz Mohl: Kaufhaus Schneider, Freiburg (Foto: M. Joergens, 2019, wikifree)

Heinz Mohl: Kaufhaus Schneider, Freiburg (Foto: M. Joergens, 2019, wikifree)

Heinz Mohl, Heinrich-Hübsch-Schule in Karlsruhe (Foto: Andreas Praefke, 2021, wikifree)

Heinz Mohl: Heinrich-Hübsch-Schule in Karlsruhe (Foto: Andreas Praefke, 2012, wikifree)

Mit größeren öffentlichen Bauten kam es freilich sukzessive zu einem Wechsel der Handschrift, So wirken Bauten wie die Kreissparkasse Ravensburg (1987), Heinrich-Hübsch-Schule in Karlsruhe (1985), die Erweiterung und der Umbau der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe (1990), das Rechenzentrum der L-Bank in Karlsruhe (1992) oder die Erweiterung der Uni-Bibliothek Karlsruhe (2006) wie kraftvolle, autonome tektonische Setzungen im Stadtraum.

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Heinrich Hübsch-Schule, 2019 (Foto: Wilfried Dechau)

Aus heutiger Sicht bemängeln vor allem Jüngere die an Mario Botta erinnernde postmoderne Gestik nicht weniger Bauten. Für Mohl hingegen waren Letztere in erster Linie geistige wie haptische Ordnungsfaktoren in auseinander fallenden Stadträumen.
Ganz besonders lag Heinz Mohl „seine“ Karlsruher Kunsthalle am Herzen. Das ursprünglich von Heinrich Hübsch errichtete, immer wieder angebaute und im zweiten Weltkrieg  stark beschädigte Museum hatte Mohl mit dem Neubau eine Flügels mit delikat historisierenden Fassaden komplettiert. Schon wenige Jahre später regten sich jedoch seitens der Museumsleitung Pläne zu einem grundlegenden Umbau oder gar einer Erweiterung. Kurzzeitig wurde sogar erwogen, den nur wenige Jahre alten Mohl-Flügel wegen funktionaler Mängel gänzlich abzubrechen. Doch Mohl kämpfte mit allen Mitteln um seinen Bau, der alsbald unter Denkmalschutz gestellt wurde. Er rief dabei sogar Hans Kollhoff auf den Plan, der in der Süddeutschen Zeitung die enormen tektonischen Qualitäten des Mohl-Flügels hervor hob und sich wortgewaltig jeglichen Eingriff in die Mohl’sche Architektur verbat.

Hof der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe | Entwurf des Büros Volker Staab Architekten (© VOLKER STAAB ARCHITEKTEN)

Hof der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe | Entwurf des Büros Volker Staab Architekten (© Volker Staab Architekten)

Doch die Museumsverwaltung ließ nicht locker und veranstaltete gar zwei Wettbewerbe zur „Ertüchtigung“ des Altbaus. Den letzten gewann Volker Staab mit einem Glasdach über dem großen Innenhof sowie einem abgetrennten Erweiterungsbau. Mohl kämpfte weiter um sein Lieblingsprojekt. Noch zwei Jahre vor seinem Tode schickte er mir eine große Kiste prall gefüllter Unterlagen mit der verzweifelten Bitte, für die großen Tages- und Wochenzeitungen eine lange Polemik gegen die seiner Ansicht nach „zerstörerische“ Überdachung des Innenhofs zu schreiben. Was ich freilich nicht getan habe, weil ich die Arbeit Volker Staabs sehr schätze – schließlich hat seine verglaste Überdachung des riesigen Innenhofs im LWL-Museum Münster dem Altbau einen kaum für möglich gehaltenen Mehrwert beschert.
Mohl war kein einfacher Mensch. Die wenigsten werden wissen, dass er unendlich viel mit Verve gezeichnet hat. Wer seine kryptischen, mit hartem Stift ins Papier gegrabenen, halb figürlichen, halb abstrakten Schwarzweiß-Zeichnungen näher betrachtet, der mag erahnen, welch ungeahnte prometheische Kräfte in diesem untersetzten Baukünstler geschlummert haben.
Heinz Mohl konnte abert auch außerordentlich charmant und empathisch sein. Wer ihn jedoch reizte oder gar persönlich verärgerte, der konnte einen regelrechten „Berserker“ erleben, beruflich wie privat. Freundschaften pflegte er hingegen lebenslang mit treuer Hingabe. Ich persönlich habe ihm sehr viel zu verdanken. Obwohl auch ich erst lernen musste, Auseinandersetzungen ohne Blessuren zu überstehen.
Heinz Mohl war ein Baukünstler alten Schlages. Nicht verzweifelnd an dieser Welt, sondern sich dazu berufen fühlend, sie mit Schönheit und Klarheit künstlerisch zu beglücken, wenn nötig sogar mit gehörigem Nachdruck.  Also doch ein legitimer Nachfolger von Friedrich Weinbrenner und Heinrich Hübsch? Honi soit qui mal y pense!


Rob Krier (© Luxemburger Wort, privat)

Rob Krier (© Luxemburger Wort, privat)

Der unverbesserliche Romantiker – Rob Krier (1938-2023)

Als ich Rob Krier zum ersten Mal begegnete, war er Assistent wie ich an der Uni Stuttgart. Im Gegensatz zu mir hatte er jedoch bereits eine einschlägige Karriere hinter sich, als Mitarbeiter bei Oswald Mathias Ungers und – man staune – bei Frei Otto, sowie als Inhaber eines kleinen, weniger erfolgreichen Architekturbüros. Um mit mir über seine Architektur zu diskutieren lud er mich zu sich nach Warmbronn ein, wo er damals mit seiner Familie lebte. Von eigenen Projekten war dann aber nicht mehr die Rede. Stattdessen zeigte er mir voller Stolz eine ganze Armada überlebensgroßer humanoider Torsi aus Styropor, die er ziemlich bunt bemalt hatte. Vermutlich um das „minderwertige“ Material zu camouflieren..
Da ich einen guten Draht zum Kulturausschuss des Asta hatte, überredete mich Rob, für ihn eine Ausstellung dieser Gebilde im K I unserer Uni zu arrangieren. Der Abend wurde ein Desaster. Als ein bekannter Stuttgarter Künstler Robs Kunstwerke lauthals als „Schrott“ bezeichnete, gingen Rob und er handgreiflich aufeinander los. Was Robs Fröhlichkeit indes keinen Abbruch tat. Ich konnte damals allerdings nicht ahnen, dass diese seltsamen Figurinen das ganze spätere Lebenswerk von Rob als unverzichtbare Erkennungsmerkmale begleiten sollten.

Doppelseite aus Rob Krier: Stadtraum in Theorie und Praxis, Karl Krämer Verlag, 1975

Doppelseite aus Rob Krier: Stadtraum in Theorie und Praxis, Karl Krämer Verlag, 1975

Weitaus wichtiger erschien uns damals, dass Rob an einem höchst umfänglichen Buch namens „Stadtraum“  arbeitete, in dem er liebevoll und fast idyllisch längst zerstörte Plätze und Stadträume in Stuttgart und andernorts zeichnerisch rekonstruierte. Mit Mitteln des 18. Und 19. Jahrhunderts. Ein moderne Pierre Patte sozusagen. 1975 erschien das Buch unter dem Titel „Stadtraum in Theorie und Praxis“ und wurde aus dem Stand heraus zu dem städtebaulichen Standardwerk der Nachmoderne.
1976 wurde Rob Krier als erster von uns Assistenten zum Professor berufen an die TU Wien, wo er bis 1998 das ihm geradezu auf den Leib geschnittene Institut für Gestaltungslehre leitete. Böse Zungen meinten damals, er sei nur deshalb berufen worden, weil die Wiener Berufungskommission mitten in den Semesterferien nur halb besetzt gewesen sei und gar nicht gewusst habe, um wen es sich bei dem Berufenen eigentlich handele. Doch allen Neidern zum Trotz war Rob Krier in Wien richtig angekommen. Er machte einen hervorragenden Job, war ein begnadeter Lehrer und leistete sich nebenbei eines der schönsten historischen Ateliers der Stadt Wien, wo er seine eigene baukünstlerische und bildhauerische  Arbeit weiter verfolgen konnte.
Rob verdanke ich in dieser Zeit eine unfreiwillige Nacht auf einem Wiener Polizeirevier.  Er hatte mich aus Berlin „einfliegen“ lassen, um mir seine neuesten Architekturen zu zeigen. Es war ein glühend heißer Sommertag, und Rob stand der Sinn mehr nach Heurigem als nach Architektur. So fuhr er mich gegen Ende des Tages  angetrunken in einen Innenstadtpark neben einer Wagner’schen Stadtbahnstation. Er platzierte mich auf einer schattigen Bank und sagte „ruhe Dich ein wenig aus, denn Du hast ja noch ausreichend Zeit bis zum Abflug“. Ich war sehr müde und döste ein. Das nächste, was ich wahrnahm, war der Umstand, dass mich rohe Hände in stockfinsterer Nacht auf der Bank liegend rüttelten und Stimmen streng insistierten, ob ich denn eine hilflose Person sei oder gar unter Drogen stünde. Zur Abklärung musste ich mit auf die nächste Wache, wo ich mich allerlei Tests unterziehen musste. Rob und seinen teuflischen Heurigen verfluchend, konnte ich erst am nächsten Tag zurück nach Berlin fliegen.

In den Wiener Jahren entstanden bedeutende Berliner IBA-Projekte wie die Wohnanlage Ritterstraße-Nord (1988) sowie einzelne Wohn- und Geschäftshäuser in Berlin. Rob Kriers Architektur vertrat immer eine ganz private, romantisch verbrämte Spielart der Postmoderne. Eine Spielart, die in ihren besten Ausführungen sehr den Nutzern zugewandt war und ist. So wundert es kaum, dass er in Potsdam, Berlin, Wien und vor allem verschiedenen holländischen Städten bis in das 21. Jahrhundert hinein eine ganze Reihe von Wohnsiedlungen  und Stadträumen realisieren konnte, die allesamt wie späte 3D-Modelle zu seinem früheren Buch „Stadtraum“ wirken. Stets bestückt mit den bekannten humanoiden Bronze-Torsi anstelle der alten Styropor-Plastiken.
Als Spätwerk entstand auf der Basis seiner stadträumlichen Vorstellungen bis 2008 die weitläufige Cité Judiciare in Luxemburg in Zusammenarbeit mit dem Bruder Leon Krier. Rob hat mir ein wunderbares Aquarell dieses Projekts hinterlassen.
2003 verlegte Rob Krier sein Wiener Büro nach Berlin, wo er es bis 2010 mit seinem Schwiegersohn Christoph Kohl weiter führte. Mit Berlin ist Rob Krier nie mehr richtig „warm geworden“. Er betrachtete das sogenannte „Neue Berlin“ als schweres Vergehen an der Architektur und der Stadt. Trost fand er bis zuletzt in seinen bildhauerischen Arbeiten.
Rob Krier blieb unter Architekten Zeit seines Lebens ein Außenseiter. Seine lebensfrohe, den Menschen zugewandte Art, sein wunderbarer luxemburger Akzent, sein mitunter dandyhafter Großkünstler-Habitus machten ihn aber zu einem liebenswerten Zeitgenossen. Er war in der ganzen Welt ein gern gesehener Gast und Gastprofessor. Ganz im Gegensatz zum ernsten bis verbitterten Auftreten seines dogmatischen Bruders Leon Krier, der freilich kaum je etwas gebaut hat.
Und Rob hat uns die längste, persönlichste und schönste Autobiografie hinterlassen, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Eine Autobiografie, die nicht nur vom eigenen Können und Streben nach Ruhm berichtet, sondern auf anrührende, ja fast intime Weise von persönlichen Verlusten, Rückschlägen, Ängsten und unerfüllten Sehnsüchten berichtet. Mit Rob Krier ist einer der großen unvollendeten Player der internationalen Postmoderne von uns gegangen. Ein unverbesserlicher Romantiker, dem wir lange nachtrauern werden.