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Bild: Stefan Müller

Das Ziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen jährlich bauen zu lassen, ist bislang primär als quantitative Aufgabe debattiert worden. Vor lauter Masse keine Klasse? Was passiert derweil im Wohnungsbau? In Mannheim entstehen in riesigen Konversionsgebieten ehemaliger US-Kasernen neue Wohnquartiere und -bauten: Zeit für einen Zwischenstandsbericht. Auf dem Turley Areal hat Max Dudler gebaut, MVRDV planen auf dem Franklin-Gelände.


Übersicht zu den Konversionsgebieten in Mannheim. (Bild: Mannheim, grafische Überarbeitung: frei04 publizistik)

Übersicht zu den Konversionsgebieten in Mannheim. (Bild: Mannheim, grafische Überarbeitung: frei04 publizistik)

Mannheim kann sich einigermaßen glücklich schätzen, mit den ehemaligen Kasernengebieten über die BImA in den Besitz entwicklungsfähiger Stadtareale gekommen zu sein. Mit der Bundesgartenschau 2023 bietet sich zudem die Chance, Grünräume im Nordosten zu einem durchgehenden Grünzug zu verbinden, der das Mikroklima und die Frischluftzufuhr in den umliegenden Stadtteilen verbessert. Von Verkehrstrassen jeglicher Art ist Mannheim mit Lärm und Schadstoffen schwer belastet und darauf angewiesen, dem entgegenzusteuern. So nutzt die Stadt die Gelegenheit, die Kasernengebiete als neue Stadtteile zu entwickeln, und als Eigentümerin verfügt sie natürlich über Gestaltungsmöglichkeiten, die andern Kommunen nicht gegeben sind. Das betrifft die Infrastruktur (Mobilität und Energie) genauso wie die Ansprüche an Nutzungsmischung, Wohnungstypen und Gestaltungsgrundsätze. Doch mit den Ambitionen ist es so eine Sache.

Byebye, dear ones

Kurz zur Vorgeschichte: Als die Amerikaner abzogen, wurde nach einem Beteiligungsverfahren 2012 eine städtische Entwicklungsgesellschaft gegründet, um die Flächenentwicklung und konkrete Planung voranzutreiben. Diese Gesellschaft hat die Konversionsflächen gekauft, genauer: 2012 bereits die Turley Barracks, 2013 die Taylor Barracks und die 2015 das Benjamin-Franklin-Village mit den Sullivan und Funari Barracks. Es gibt alles: eine neu konzipierte »Franklin Mitte«, Einfamilienhäuser auf Sullivan, Gewerbe im Columbus-Quartier, um- und neu gebaute Einzel- und Reihenhäuser in der Offizierssiedlung und Reihenhäuser im Funari-Gebiet. Investiert haben die Baugesellschaft mit KfW-55-Bauten und dabei staatliche Fördergelder bekommen, deren Stop jüngst einen Aufschrei in der Immobilienbranche bescherte. So bleibt aber festzuhalten, dass die öffentlichen Gelder via KfW-55-Förderung direkt in die Kassen der Investoren geflossen sind.

Ein vergleichweise kleines, aber zentrumsnah gelegenes Koversionsgebiet: Turley (© Stadt Mannheim)

Ein vergleichweise kleines, aber zentrumsnah gelegenes Koversionsgebiet: Turley (© Stadt Mannheim)

Geschichtsträchtig: Turley

Es gleicht kein Konversionsgebiet dem andern, so reicht beispielsweise die Geschichte des Turley-Areals weit in die Vergangenheit – auch im Baubestand. Denn bereits Ende 1899 war die Kaserne mit insgesamt 15 Sandsteinbauten um einen Exerzierplatz herum für das 2. Badische Grenadierregiment gebaut und nach Kaiser Wilhelm I. benannt worden. Nach 1945 übernahmen die Amerikaner die Kaserne, die 2007 aufgegeben wurde und zur BImA kam. Die gegenwärtige Entwicklung des 12,7 Hektar großen Geländes in der Neckarstadt-Ost sieht eine »hochwertige, urbane Mischung aus besonderem Wohnen und innovativem Forschen und Arbeiten« vor.1) Im ehemaligen Kasino kommen Gastronomie, Läden, Co-Working sowie eine diakonische Einrichtung unter.

Im Kontext der Altbauten suchen Max Dudler Architekten stets nach Anhaltspunkten für die Gestaltung des Neuen. (Bild: Wilfried Dechau)

Im Kontext der Altbauten suchen Max Dudler Architekten stets nach Anhaltspunkten für die Gestaltung des Neuen. (Bild: Wilfried Dechau)

 

Schwarz markiert die Neubauten, die mit dem Bestand einen kleinen Platz beziehungsweise Hof bilden (© Max Dudler Architekten)

Schwarz markiert die Neubauten, die mit dem Bestand einen kleinen Platz beziehungsweise Hof bilden (© Max Dudler Architekten)

Und im Nordwesten des Turley-Platzes, in zweiter Reihe hinter der Fritz-Salm-Straße, ergänzte nun Max Dudler für den Entwickler Sebastian Wipfler einen alten Kasernenbau mit drei neuen Baukörpern zu einer kleinen urbanen Struktur, die öffentlich ist und einen Platzcharakter bilden soll, aber aufgrund der Enge doch Hofcharakter hat. Im Nordosten entstand eine Kita für 60 Kinder, die Erdgeschosse bleiben Büros und einer Galerie vorbehalten. Es gibt ein gemeinsames Untergeschoss mit Tiefgarage, Fahrradabstellplätzen, Abstell-, Wasch- und Trockenräumen.

Details sind schön anzuschauen – das ist eben kein Standard. (Bild: Ursula Baus)

Details sind schön anzuschauen – das ist eben kein Standard. (Bild: Ursula Baus)

Max Dudler ist in der Region kein Unbekannter. Mit den Sanierungen und Erweiterungen der Schlösser in Hambach und Heidelberg zeigte er bereits, welche Rolle er der Orientierung am Bestand – etwa im Material – beimisst. Das zeigt sich auch hier in Mannheim, wo Dudler die mit massiven, verputzten Ziegelbauten farblich an den roten Sandstein der Umgebung an passte. Das Tragwerk – Gebäudekern und Geschossdecken – besteht aus Stahlbeton, der sichtbar blieb. Innen ist Fischgrätparkett verlegt, Wände sind glatt verputzt. Fenster sind aus Holz, Faltläden aus Stahl, die im Rot des Sandsteins gestrichen sind.

 

 

Die Baukörper sind zu einer sehr engen Durchgangs- und Innenhofsituation gefügt. Am Februartag unseres Besuchs fegt ein frischer Wind durch die Gassen, aber die Sonne scheint makellos und taucht das Quartier in grelles Licht und kühlen Schatten. Der raue Fassadenputz kommt trefflich zur Geltung, das Zusammenspiel mit den Faltläden überzeugt mit gelungener Farbgestaltung. Dann ragen aber die Balkone doch weit aus, so dass man sich von Gegenüber zu Gegenüber fast anfassen kann und unwillkürlich die engen Verhältnisse mediterraner Altstädte ins Gedächtnis kommen – die dort übliche Kommunikationsfreude stellt sich in Mannheims Februarkühle natürlich nicht ein. Beim Rein- und Rausgehen werden die Kita-Kinder Leben in das kleine Quartier bringen, alles Weitere wird davon abhängen, wie die sich Bewohner vertragen.

Grenzen zwischen privat und öffentlich sind fließend – oder Definitionssache. (Bild: Ursula Baus)

Grenzen zwischen privat und öffentlich sind fließend – oder Definitionssache. (Bild: Ursula Baus)

Bauen im Bestand ist eine Stärke des Büros von Max Dudler, die Gratwanderung zwischen Anpassung und eigenen Gestaltungsansätzen gelingt in der Regel sehr gut. Was hier in Mannheim an außenräumlicher Enge und an den Balkonen – leider gerade heftig in Mode – kritisch gesehen werden kann, bedarf guter, einvernehmlicher, rücksichtsvoller Nachbarschaft, wie man sie in allen »urbanen« Verhältnissen brauchen kann. Solches Miteinander ist dem Quartier sehr zu wünschen – voraussetzen kann man sie nicht. Beim Gang durch die Zugangsgassen und auf dem »Platz« stellte sich uns unwillkürlich die Frage: Ist das hier privat? Dürfen wir hier den Erdgeschossen näherkommen? So werden wir wiederkommen und die Aneignung des Außenraums verfolgen.

Standort: Fritz-Salm-Str. 3, D-68167 Mannheim
Bauherr: Sebastian Wipfler
Architekt: Max Dudler GmbH, Berlin
Projektleitung: Kilian Teckemeier, Simone Boldrin
Bauleitung: E7 Architekten, Mannheim
Tragwerksplanung: Furche Geiger Zimmermann Tragwerksplaner GmbH
Bauphysik/Akustik: 3König Architekten Ingenieure GbR, Freinsheim


Franklin – 400.000 dieser Art jährlich?

Im Bau: Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser im Funari-Gebiet im Mannheimer Konversionsgelände Franklin (Bild: Wilfried Dechau)

Im Bau: Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser im Funari-Gebiet im Mannheimer Konversionsgelände Franklin, entwickelt von »Traumhaus« und MVRDV (Bild: Wilfried Dechau)

Das Konversionsgelände Franklin (Bild: Stadt Mannheim)

Das Konversionsgelände Franklin (Bild: Stadt Mannheim)

Das Franklin-Areal ist wesentlich größer als Turley, in weiten Teilen schon bebaut, infrastrukturell fehlt aber noch einiges. Läden, Gastronomie, Straßenbahn: All das kommt noch, besser wäre es gewesen, damit anzufangen. Derzeit wird unter anderem auch noch das Franklin-Teilgebiet Funari nach Plänen von MVRDV bebaut, das zum Thema Wohnungsbau konventionell daherkommt, zumal der Investor »Traumhaus« auf Reihenhäuser als Siedlungsform spezialisiert ist. Für zwei Baufelder mit 27.000 qm entstehen auf dem Funari-Gebiet derzeit putzig wirkende Bauten, wobei die Website des Investors vermeldet, dass alle Einheiten bereits reserviert beziehungsweise ausverkauft sind.2) Traumhaus und MVRDV waren 2015-2016 als Sieger aus einem kooperativen Investorenauswahlverfahren hervorgegangen.

Die Wiesbadener Traumhaus AG baut »in Kooperation mit MVRDV 122 Traumhäuser plus 2 Geschosswohnungsbauten«. (© Traumhaus AG)

»Eins wird Deins«: Die Wiesbadener Traumhaus AG baut »in Kooperation mit MVRDV 122 Traumhäuser plus 2 Geschosswohnungsbauten«. Wahlweise Dachterrasse oder Grillplatz im EG, mehr Arbeiten als Wohnen und vieles mehr. (© Traumhaus AG)

MVRDV bauen auch die Mitte des Franklin-Gebietes. (© MVRDV)

MVRDV bauen auch die > Mitte des Franklin-Gebietes. (© MVRDV)

Auf Franklin sticht aber auch vieles ins Auge, was man eingedenk der großen Themen Verkehrswende und Nachhaltigkeit nicht für möglich halten sollte. Nagelneue öffentliche Räume sind versiegelt und nur für abgestellte Autos vorgesehen. Erdgeschosse sind zu Autoabstellflächen degradiert. Auch offenbart sich, dass Plätze für Ladestationen zusätzliche Stellflächen beanspruchen. Und Tiefgarageneinfahrten verschandeln die Straßenräume wie eh und je.

 

400.000 Wohnungen in pro Jahr: Was blüht der Bundesrepublik an sinnloser Bauwut, falschen Planungsentscheidungen, ambitionsloser Investorenarchitektur? Das Thema wird uns als Herausgeber in den weiteren Beiträgen der kleinen Reihe »neue Großprojekte« beschäftigen.

Müll-Container und Parkplätze, die größer sind als die »Gärten«: Hinterlassenschaften einer Gesellschaft, die Konsum und Statusmobilität priorisiert. (Bild: Ursula Baus)

Müll-Container und Parkplätze, die größer sind als die »Gärten«: Hinterlassenschaften einer Gesellschaft, die Konsum und Statusmobilität priorisiert. (Bild: Ursula Baus)

Schließlich fällt aber der Blick auf einen Neubau, der keine finanzkräftigen Bewohner vermuten lässt. Aber genau hier traut man seinen Augen nicht: Der »Vorgarten« mit winziger Kinderrutsche und -schaukel ist nicht größer als die zum Haus gehörenden Parkplätze, wobei ein Ferrari als Statussymbol längst vergangener Zeiten demonstrativ ausgestellt ist. Die lautstarke Dreckschleuder könnte teurer gewesen sein als die Wohnung…