Das Bürogebäude ist durch Homeoffice und digitale Zusammenarbeit noch lange nicht tot – ganz im Gegenteil. Denn dort kann man die Kolleg:innen treffen. Die Rolle des Büros verschiebt sich – vom Arbeitsort zu einem, in dem die soziale Interaktion im Mittelpunkt steht. Das spiegelt sich in der Entwicklung der neuen Bürowelten wider. Allerdings haben diese schönen Welten auch ihre Schattenseiten.
„2.500 Entlassungen bei BASF in Ludwigshafen.“ Diese Schlagzeile machte Ende Februar 2023 die Runde. Der Chemiekonzern reagierte damit auch auf die steigenden Energiepreise. Gerade in energieintensiven Branchen ist die Stimmung düster. Aber nicht nur hier, auch im Ganzen leidet die deutsche Wirtschaft neben den Energiepreisen unter Material- und Lieferkettenengpässen, dem Krieg in der Ukraine und immer noch unter den Auswirkungen von Corona. Dennoch verzeichnet der Arbeitsmarkt Zuwachs, die Unternehmensbilanzen sind robust. Dies alles spielt bei der Entwicklung von Büroimmobilien eine Rolle. Und obwohl die Unternehmen mit wirtschaftlich herausfordernden Rahmenbedingungen zu kämpfen haben, sind sie auf der anderen Seite gefordert, in Mitarbeiter:innen und Büroflächen zu investieren. Mit dem „war for talents“ muss sich angesichts sinkender Geburtenraten heute fast jedes Unternehmen auseinandersetzen. Die Firmen antworten darauf mit Offerten zur Work-Life-Balance, interessanten Zusatzangeboten und vor allem mit attraktiv gestalteten Arbeitsplätzen. Schließlich hat sich die Frage nach einer veränderten Arbeits- und Bürowelt durch die Pandemie und die Option Homeoffice maßgeblich verändert.
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Hybrides Arbeiten ist Normalität
Der Blick in die Architekturblätter zeigt, dass Firmen wie nie zuvor in die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze investieren. Was vor rund zehn Jahren mit „New Work“ hier und da mit lockeren und oftmals bunteren Konzepten anfing – 2015 waren vor allem die Google Offices Vorbild, die sich mit einer offenen Bürostruktur, farbigen Loungemöbeln und viel Entertainment präsentierten –, hat inzwischen so richtig Fahrt aufgenommen. Mittlerweile ist das Verständnis von New Work, Innovationmotivation und agilem Arbeiten etabliert und differenziert. Gerade große Corporate-Firmen wie Bosch, BMW oder Villeroy & Boch haben schon lange die Transformation zu New Work hinter sich. Dann kam 2020 Corona und hat diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Viele Unternehmen waren sich sicher: Das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. (1) Knapp drei Jahre später, nachdem die strikten Corona-Regeln sukzessive wieder abgebaut wurden, bewahrheitet sich diese Prognose. Die Zeitung „Welt“ befragte 29 DAX-Unternehmen – alle lassen Homeoffice zu. (2) „Heute ist das mobile Arbeiten Teil der neuen Normalität“, heißt es etwa bei Siemens Healthineers. Dort können Beschäftigte 60 Prozent ihrer Zeit außerhalb des Büros arbeiten. Im Schnitt seien in den DAX-Büros derzeit selten mehr als zwei Drittel der Beschäftigten vor Ort. Ebenfalls neu sei das Arbeiten im Ausland, das immer mehr Unternehmen zu einem gewissen Prozentsatz zulassen.
Leerstand transformieren
Man könnte nun davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund dieser Veränderungen Büroflächen kleiner werden. Und zum Teil stimmt das auch. Doch die Lage ist differenzierter. Noch immer werden neue Bürogebäude errichtet. 2022 verzeichnete Deutschland einen Zuwachs von 1,9 Millionen Quadratmeter Bürofläche, mehr als in den Vorjahren. Hintergrund ist vor allem der Bedarf an neuwertigen Flächen, die den heutigen Vorgaben und Erwartungen entsprechen. „Premium-Flächen in Top-Lagen“ (und damit auch solche im Bestand), so konstatiert es der Immobilienentwickler JLL, zeichneten sich vor allem durch eine gute Anbindung, die Nähe zu guter Infrastruktur, hochwertige Büroflächen und den Faktor Nachhaltigkeit aus. Spitzenmieten in Hochburgen wie Frankfurt, München und Berlin kommen da schnell auf über 40 Euro den Quadratmeter – und das Ende ist noch nicht in Sicht. Auf der Verliererseite stehen unattraktive und ältere Bürogebäude, aus denen Unternehmen ausziehen, um sich zu verbessern – die Leerstandsquote von 4,8 Prozent für Büros wird sich also zukünftig noch erhöhen, so die Branchenkenner. Auch vor diesem Hintergrund macht es Sinn, das Augenmerk auf Bestandstransformation zu lenken, anstatt immer nur neu zu bauen.
Allerdings haben auch schon größere Unternehmen angekündigt, ihre Büroflächen zu verkleinern. So etwa Bayer und Allianz, die Flächen untervermieten oder sogar gänzlich aufgeben. Bei Siemens hat sich der Flächenbedarf um rund 20 Prozent verringert. Einsparen will auch die Deutsche Bank: Deren Büroflächen in Frankfurt und Eschborn werden bis Ende 2024 um etwa 40 Prozent schrumpfen. Die Restflächen werden höchstens etwas für kleinere Büros wie Kanzleien oder Co-Working-Spaces sein, aber nicht die Nachfrage nach größeren, zusammenhängenden Büroflächen decken können.
Faktor Emotion
Nun werten die Unternehmen ihre Büroflächen neu auf, um die Mitarbeiter wieder ins Büro zu locken. Denn hier, so ist man sich einig, kann trotz Videocalls und digitaler Zusammenarbeit on remote in der direkten Interaktion mit mehr Teamgeist kreativer gearbeitet werden. Und auch aus psychologischer Sicht ist das Homeoffice wegen der Entgrenzung von Privatleben und Arbeit nicht immer zu empfehlen. „Trotz aller virtuellen Kommunikationsplattformen zur Unterstützung des internen sowie externen Austauschs ist die Büroimmobilie für viele Unternehmen nach wie vor ein wichtiger Ankerpunkt zur Förderung des Wissenstransfers, Steigerung des Zugehörigkeitsgefühls und informellen Austauschs“, heißt es in der Studie „Back to Office“, die das Fraunhofer IAO für Euroboden und Engel & Völkers Ende 2021 durchgeführt hat. (3) Wenn sich Mitarbeiter:innen frei entscheiden können, ob sie im Homeoffice bleiben oder ins Büro gehen, muss der offizielle Arbeitsplatz einen deutlichen Mehrwert bieten, damit er noch angenommen wird. Das Treffen auf Kolleg:innen und die Gestaltung eines inspirierenden, emotional ansprechenden Arbeitsplatzes nimmt dabei einen Schlüsselfaktor ein. „Der statische und eher funktionale Arbeitsplatz wird durch dynamische, flexible und vor allem emotionale Bürowelten abgelöst. Ein inspirierender Arbeitsplatz steigert die Attraktivität eines Unternehmens für Mitarbeiter wie Kunden und vermittelt authentisch die eigenen Werte“, wissen Heiner Probst, Michael Ertel und Thorsten Blatter vom Architekturbüro andOFFICE, die gerade selbst ihr eigenes Büro in Stuttgart neu gestaltet haben und damit vom Callwey Verlag als „best workspace 2023“ ausgezeichnet wurden.
Um den gestiegenen Ansprüchen an das Büro gerecht zu werden, konzentrieren sich die Gestaltenden vor allem auf neue Kommunikations- und Kollaborationsbereiche. Sie nutzen den Raum, der durch die vielen einzelnen Arbeitsplätze zugunsten Desk-Sharing wegfällt. Räume für virtuelle Meetings gehören genauso dazu wie die Loungeecke oder, wenn es etwas größer sein darf, der „Market Place“ als zentraler Ort für den informellen Austausch. Gerade der ungezwungene Plausch ist nämlich besonders förderlich für Kreativität und Teamgeist. Auch die Kaffeeküchen – einst meist lieblos gestaltet und vernachlässigt – nehmen hierbei eine wichtige Funktion ein, wo man sich locker treffen und unterhalten kann. Mittlerweile sind sie so gut ausgestattet, dass man sich dort wie in einer angesagten Cafébar fühlen kann.
Natur ja, Nachhaltigkeit nein
Was auch auffällt: Die Natur zieht unter dem Stichwort „Biophilic Design“ großzügig in die Bürolandschaften ein – oder werden durch sie erweitert. Pflanzen oder Mooswände sind heute nicht nur Add-on, sondern ein wichtiger Gestaltungsfaktor, der auf das Wohlbefinden, die Produktivität und die Gesundheit der Mitarbeiter:innen einzahlt. Grüne Außenbereiche, in denen sich im Freien arbeiten lässt, gehören genauso dazu wie begrünte Dächer oder Fassaden. Das goutieren auch die Beschäftigten mit einer hohen Zustimmung durch alle Altersklassen hinweg, wie die Studie „Back to Office“ belegt. Ein anderes Ergebnis in Bezug auf Nachhaltigkeit fördert die Studie aber auch zutage: Einschränkungen im Arbeitsleben – wie etwa weniger Fliegen – zugunsten des Umweltschutzes stoße vor allem bei jüngeren Generationen auf Ablehnung. Das ist vor dem Hintergrund des neuen Lebensstils der jüngeren Generationen mit Veganismus & Co. doch mehr als überraschend und gibt zu bedenken: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Mit der neuen Entwicklung der Arbeitswelten geht auch ein Strukturwandel in den urbanen Zentren einher. Die so genannten Third Places wie Cafés oder Bibliotheken nehmen in der Gunst der mobilen Nomaden zu. Der Zwang, in der hauseigenen Kantine zu konsumieren, könnte durch einen Working-in-the-City-Pass aufgehoben werden, der von den Unternehmen finanziert würde. Außerdem suchen die Unternehmen Standorte vermehrt in der Nähe zu Bildungseinrichtungen, Start-ups oder der Kreativbranche, um sich mit ihnen zu vernetzen und von deren Wissen und Spirit zu profitieren. Manche Unternehmen wie der Chemie- und Pharmakonzern Merck etwa, der sein neues, von Henn gestaltes Innovation Center 2018 einweihte, bieten im eigenen Haus Flächen für externe Start-ups oder Kreative an.
Lifestyle wird Pflicht
Dass man mit Lifestyle Mitarbeiter:innen motivieren und anziehen kann, so wie es die Co-Working-Space Anbieter WeWork aus den USA schon seit längerem tun, hat sich also herumgesprochen. Für manche kann diese neue bunte Arbeitswelt aber auch schnell mal zu viel werden – fühlt man sich gar dazu gezwungen, immer jung, hip und offen-kommunikativ zu sein. Beim Anblick der neuen Arbeitswelten samt neuer Arbeitskultur könnte man durchaus meinen, die Mitarbeiter:innen seien so etwas wie Marionetten in einem Filmset mit gut durchdachten Drehbuch. Das Unternehmen und die Arbeitsumgebung formt schließlich den neuen Arbeitsnomaden mit – ob man will oder nicht.