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Iris Meder (1965-2018)

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Für die deutschsprachige Fachwelt war die Nachricht völlig unerwartet und schockierend. Am 5. November starb in Wien die profilierte Architekturwissenschafterin und -publizistin Iris Meder an einer Krebskrankheit. In der einschlägigen Szene hinterlässt das eine unersetzliche Lücke.


Mitte der 1990er Jahre war in den Wiener Fachzirkeln gleichsam „aus dem Nichts“ ein junge Architekturhistorikerin aus Deutschland erschienen, die das hier gepflegte Geschichtsbild der Wiener Architektur-Moderne mit einem Schlag um unzählige Fakten, fachliche Facetten und personelle Vernetzungen erweiterte. Ihre 2001 an der Universität Stuttgart approbierte Dissertation „Offene Welten – Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910–1938“ brachte nicht nur neue Erkenntnisse zu den Werken von Josef Frank und Oskar Strnad, sondern eröffnete tiefenscharfe Einblicke in die Szene ihrer SchülerInnen, MitarbeiterInnen und ZeitgenossInnen, BauherrInnen und Publizisten, die über Wien hinaus in der Zwischenkriegszeit auch in die Nachbarländer ausstrahlte. Von der Basis dieser schon in den 1980er Jahren, im Verlauf ihrer Studien der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in Stuttgart und Wien begonnenen Recherchen, fand Iris Meder in Wien rasch ihr Wirkungsfeld als Kritikerin in Fach- und Tagesmedien. So publizierte sie ab 1994 unter anderem regelmäßig in Die Presse /Spectrum, Der Standard, Kurier, NZZ, Parnass, Falter, Architektur Aktuell, dérive, Akku TV, und sie profilierte sich ab 2005 auch als Kuratorin wichtiger Ausstellungen im Wien Museum und im Jüdischen Museum, als Initiatorin internationaler Symposien, als Vortragende, Reiseführerin und Buchautorin. Über viele Jahre wirkte sie als Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, zuletzt auch in deren Vorstand, weiters im Verein für Geschichte der Stadt Wien und als Gutachterin für das Bundesdenkmalamt. In dieser Funktion erreichte sie etwa, dass das abbruchgefährdte Restaurant am Wiener Kahlenberg, 1935 nach Plänen von Erich Boltenstern errichtet, unter Denkmalschutz gestellt und im Zug des Neubaus der benachbarten Hotelanlage revitalisiert wurde.

Zu ihren wichtigsten Büchern und Ausstellungen zählen jene eben über Erich Boltenstern, über das Hochhaus Herrengasse (beide mit Judith Eiblmayr), über Oskar Strnad (mit Evi Fuks) und über Josef Frank – eine Moderne der Unordnung; die Präsentationen Women in Landscape Architecture (mit Ulrike Krippner), Jüdische Fotografinnen – Vienna’s Shooting Girls (mit Andrea Winklbauer) sowie ihr Biennale-Beitrag 2014 Lifting the Curtain – Central European Architectural Networks (mit Azra Charbonnier, Suzanne Kříženecký, Gabriele Ruff) belegen die ständige Erweiterung ihrer Forschungsfelder – geografisch und inhaltlich. Mit Christopher Long und Tano Bojankin ist sie auch Herausgeberin der Schriften von Josef Frank, publiziert 2012 in zwei Bänden im Metroverlag Wien.

Iris Meder (Bild: Dagmar Černoušková)

Iris Meder (Bild: Dagmar Černoušková)

Meders spezifischer Beitrag bestand in der Öffnung der fachlich-historischen Blickwinkel auf die personellen und geistigen Hintergründe, auf die Verzweigungen und Interdependenzen jener undogmatischen „Zweiten Wiener Moderne“, die sich nach Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Hoffmann in den Gruppierungen um Oskar Strnad, Josef Frank, Oskar Wlach, Grete Lihotzky und viele andere ab 1910 beziehungsweise 1918 entwickelte, die mit ihrer vorwiegend jüdischstämmigen Klientel aber auch 1934 beziehungsweise 1938 ein gewaltsames Ende erlitt. Auf deren weitverzweigten Spuren in Mittel- und Südosteuropa generierte Meder ein bedeutendes, privates Archiv. Eine ihrer letzten Publikationen aus diesem Fundus findet sich in dem eben erschienen Band über Adolf Loos. Schriften, Biefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Es ist ein stupender Beitrag über jenes Netzwerk der Bauherrinnen und Bauherren von Loos in Mähren, in Brünn, Pilsen und Prag, das schon vor 1910 entstand und sich nach 1925 bis in Loos´ letzte Lebenszeit nochmals intensiv entfaltete.

Frauen und die Planung von Städten – ein ungeschriebenes Kapitel der Städtebaugeschichte. In dieser Publikation wurde unter Mitwirkung von Iris Meder erstmals die Bedeutung der Autorinnen und Akteurinnen anhand ihrer Schriften und Pläne illustriert. Dokumentiert wird dies durch den Abdruck von zahlreichen Quellentexten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Untersuchung erweitert nicht nur den Horizont der städtebaulichen Historiographie, sondern begibt sich auch auf die Suche nach neuen theoretischen Denkmodellen für die Stadtplanung.

Frauen und die Planung von Städten – diese Publikation dokumentierte unter Mitwirkung von Iris Meder erstmals die Bedeutung der Autorinnen und Akteurinnen durch den Abdruck von zahlreichen Quellentexten aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Iris Meders Verdienst ist außerdem die Befassung mit vorher wenig beachteten, weiblichen Protagonistinnen der Szene – auf Planungs- wie auch auf Auftragsseite, sowie die integrierte Sicht von Bauplanungen mit ihren meist unterschätzten Freiraum- und Gartengestaltungen. Von diesen Studien über Wiener Garten- und Landschaftsplanungen der Ära bis 1938 ausgehend kam sie folgerichtig zur Aufarbeitung der spezifischen Bau- und Lebensform in den Badeorten der Thermen- und Seenregionen des Alpen-Adria-Raumes aber auch in tschechischen, slowakischen und deutschen Kur- und Badzentren – all das erstelllt ab 2009 auch im Rahmen von Lehr- und Forschungsaufträgen an der Wiener Universität für Bodenkultur und 2011 in dem großen Band Bäder in Mitteleuropa zusammengefasst.

Zu ihren letzten Ausstellungsprojekten zählt 2017-18 die große Schau über die Kosmetik-Pionierin Helena Rubinstein im Jüdischen Museum Wien mit Danielle Spera, Werner Hanak-Lettner und Judith Eiblmayr, und 2018 die Konzeption der Schau Post Otto Wagner im Wiener Musem für angewandte Kunst mit Sebastian Hackenschmidt, Akos Moravanszky und Claudia Cavallar.
Nicht nur die heimische, auch die internationale Forscherszene verliert mit dem frühen, tragischen Tod von Iris Meder eine der engagiertesten, kompetentesten und eminent kooperativen Historikerinnen und Fachkritikerinnen. Iris Meder wird uns fehlen.