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 Stefan Kurath: jetzt: die Architektur! 256 Seiten, 28 farbige und 27 sw Abbildungen und Pläne, Format, 18 x 27,5 cm, Park Books, 2021 ISBN 978-3-03860-242-2


Stefan Kurath: jetzt: die Architektur!
256 Seiten, 28 farbige und 27 schwarzweiße Abbildungen und Pläne, Format, 18 x 27,5 cm, Park Books, 2021
ISBN 978-3-03860-242-2 | 29 Euro

Es gibt sie noch, die Planer und Theoretikerinnen, die an eine Verbesserbarkeit von Planung, Planungsprozessen und Planungsergebnissen glauben. Und sich Gedanken dazu machen, wie das alles gehen könnte. Blauäugig? Ambitioniert? Realistisch?

oben: Warten auf den nächsten Napoleon. Richti-Areal und Vittorio Magnago Lampugnani zwischen Mythos und Realität. © Foto: Christian Schwager, IUL, ZHAW

Beginnen wir mit dem Schluss dieses lesenswerten Buches, dem Interview, das der Schweizer Architekten und Urbanist Stefan Kurath mit Thomas Sieverts führte, dem Grandseigneur der deutschen Stadtplanung. Man möchte es sowohl all jenen an die Hand geben, die beginnen Architektur und Stadtplanung zu studieren, als auch sämtlichen Politikerinnen und Investoren, die für die Entwicklung unserer gebauten Umwelt Verantwortung tragen. Sieverts plädiert dafür, dass die nachhaltige Stadt Landschaftselemente enthalten solle und verweist darauf, »dass der Verdichtung gewissen Grenzen gesetzt sind« in den Zeiten klimawandelbedingten Starkregens. Vor allem aber unterstreicht er, dass es in der Stadt- wie Landesplanung »nicht weiter generalisierende, sondern nur noch maßgeschneiderte Lösungen« braucht. Und er stellt die entscheidende Frage: »Wie kann Planung im spezifischen lokalen Kontext besser umgesetzt werden?«

Zuvor umreißt Kurath in seinem Buch in wohltemperierter Tonlage jene Herausforderungen, die das Selbstverständnis der Architektenschaft betreffen: »Es geht […] um die architektonische Praxis und darum, was Architektur sonst noch bewirken kann, außer schön zu sein.« Kurths Text bietet nicht mehr und nicht weniger als eine Selbstvergewisserung, wie sie jede Generation zumindest einmal zu leisten hat, um sich in den historischen Kontext zu verorten und ihren künftigen Weg zu bestimmen. Dazu beginnt Kurath damit, »Verkürzungen in der Architektur« in deren Theorie, Geschichte und Praxis herauszuarbeiten. Das führt zu einer differenzierten Zustandsbeschreibung der aktuellen Praxis von Planung und deren kritischer Lektüre, etwa dem (zumal in Deutschland) noch immer dominierenden Modell der dichten europäischen Stadt. Richard Sennett folgend, weist Kurath darauf hin, dass das Überdeterminieren der Planung, das Informelle und die Regellosigkeit zerstört, die überhaupt erst zulassen, »dass Stadt wächst und zum Leben erwacht.« (47).

Bezüge und Verflechtungen

Wie dann aber kann Planung Zugriff auf Stadt finden, wenn »Architektur und Stadt […] sich selbst mit allen Informationen der Welt nicht vorhersagen« lassen (47)? Möglich wird dies, indem Architektinnen und Architekten den selbstgeschaffenen Kosmos der Erwartungshaltung und Auseinandersetzungen mit Raum verlassen (28) und die Erfahrung akzeptieren, dass Architektur nicht durch Unabhängigkeit bestimmt ist, »sondern durch Bezogenheit – einerseits zur Idee, andererseits zu Welt.« (61)

Ouest lausannois: bauliche Entwicklung in Abstimmung mit dem SDOL. Place du Marché in Renens von Localarchitecture und Paysagestion. © Foto: Matthieu Gafsou

Ouest lausannois: bauliche Entwicklung in Abstimmung mit dem SDOL. Place du Marché in Renens von Localarchitecture und Paysagestion. © Foto: Matthieu Gafsou

Wie diese Bezogenheit als Prozesse in unterschiedlichen baulichen Maßstäben beziehungsweise Körnungen und mit verschiedenen Blickrichtungen verwirklicht werden können, führt Kurath an einigen teilweise bereits legendären Beispielen vor. So zeigt er »die Kunst des Architekten, Allianzen zu bilden« (84) am Beispiel von Vrin auf, widmet sich der Entwicklungen in Monte Carasso (88), bei der Therme in Vals (92) sowie in der Region Ouest lausannois (104). Seine Beispiele zeigen zugleich, dass es neben spezifischen lokalen Gegebenheiten auch handelnder Personen bedarf, die Ideen und Fähigkeiten besitzen, damit sich Stadt und Land als Resultat von Aushandlungen und Allianzen (137) gut entwickeln.

Süden, Norden, Osten, Westen

Gerade daran aber mangelt es allzu oft, auch wenn es den Anschein hat, dass sich seit einigen Jahren eine neue Offenheit für Diskurse entwickelt. Im Süden der Bundesrepublik mehr als im Norden, ebenso stärker im Westen als im Osten. Die Gefahr, dass mit der Teilhabe lediglich eine Alibifunktion erfüllt wird, oder – fast noch schlimmer -, dass lediglich die Partikularinteressen der lautesten Stimmen gestärkt werden, besteht allerdings nach wie vor. Hier ließe sich in Deutschland von der Schweizer Prozesskultur lernen. Offenheit statt Oktroy ist ein schönes Ziel. Dazu gehört auch, damit aufzuhören in starren Kategorien wie Natur, Stadt und Landschaft zu denken (und zu planen). So agiert Kurath auch mit dem gleichermaßen schönen wie ökologisch hilfreichen Begriff der Stadtlandschaft. Den allerdings werden die dichtefixierten Blockrändler der europäischen Stadt nicht gerne hören.

Resultat manigfaltiger Allianzen zwischen Dingen und Menschen, die für eine architektonische Idee begeistert werden konnten. Besucherzentrum Viamala-Schlucht der Iseppi-Kurath GmbH. © Foto: Laura Egger

Resultat manigfaltiger Allianzen zwischen Dingen und Menschen, die für eine architektonische Idee begeistert werden konnten. Besucherzentrum Viamala-Schlucht der Iseppi-Kurath GmbH. © Foto: Laura Egger

Um auf die gewaltigen Herausforderungen zu antworten, vor denen Stadt und Land stehen, darf sich Architektur nicht mit sich selbst zufriedengeben (187). Eine zukunftsfähige Architektur der Stadt ist selbstbewusst und demütig zugleich, sie ist, »da bestimmt, wo sie bestimmt sein muss. Sie ist offen, wo es Anknüpfungspunkte für Investoren, Grundbesitzerinnen, Politiker, Verwaltung, Unternehmen oder Aneignung durch Bewohnerinnen und Bewohner […] braucht, damit sie gesellschaftlich mitgetragen wird« (186). Ob alle an der Planung Beteiligten über genügend soziales, ökologisches, ökonomisches und nicht zuletzt baukulturelles Bewusstsein und Wissen verfügen, ist der kritische Punkt für den Erfolg von Kuraths Ansatz. Diese präzise Offenheit zu erreichen, bleibt trotz manch herausragender Beispiele, die Kurath vorstellt, also ein mühsamer Prozess. Um sich aber das Instrumentarium für diese Vision einer besseren künftigen Planung, besserer Architektur und besseren Stadtlandschaften trotz aller Widerstände und gesetzlichen Widrigkeiten anzueignen, bietet Kuraths Buch eine anregende Grundlage.