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Neue Großprojekte (II): Berliner Ideologien

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Der zweite mehrerer Teile zum Thema neuer »Großprojekte« widmet sich der verfehlten Berliner Stadtplanung: Wieso spricht man eigentlich von Immobilien? Liegt es möglicherweise daran, dass die Protagonisten mancher städtebaulichen Diskurse in Berlin genauso unbeweglich sind, wie die Häuser, die sie errichten? Wer die aktuelle Gemengelage in der deutschen Hauptstadt betrachtet, könnte diesen Eindruck gewinnen. Die retrospektive Fixierung auf Berlins Mitte wird von einem überhöhten Sendungsbewusstsein getrieben, die (Stadtbau-) Geschichte umschreiben zu müssen. Das ist nicht nur städtebauliche und historisch fragwürdig. Es erweist sich als ein Hemmschuh für eine zukunftsfähige Gesamtentwicklung der Region.

Dicht an Schinkels Friedrichswerderscher Kirche: auf alt getrimmter Wohnungswirtschaftsfunktionalismus (Bild: Wilfried Dechau)

Aber Spaß beiseite, denn das anscheinend unaufhaltsame Rückwärtsrumpeln in der Berliner Stadtplanung ist bitterer Ernst – und es hat eine schmerzhafte Geschichte. Schon in den 1960er Jahren setzte international eine massive Kritik an der damaligen Stadtplanung und Architektur ein, die ihren Niederschlag in den Schriften von Robert Venturi, Jane Jacobs und Aldo Rossi fand. Zu wenig historischer Bezug, zu viel standardisiertes Einerlei, zu viel Auto, zu wenig Nachbarschaft, so lauteten die Vorwürfe. Das alles war berechtigt. Schließlich hatten sich auch die alternden Heroen der funktionalistischen Moderne längst neue Spielfelder erschlossen. Doch wie fast immer im zyklischen Wechsel der Präferenzen, neigte die nun aufquellende Postmoderne, die heute ihren Weg in Museen und auf Denkmallisten findet, dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Hardt-Waltherr Hämer (1922-2012); (Bild: Wilfried Dechau, 1990)

Hardt-Waltherr Hämer (1922-2012); (Bild: Wilfried Dechau, 1990)

In Berlin war die IBA der 1980er Jahre für die Verfechter einer noch unschuldigen Postmoderne die Antwort auf die Flächensanierungen der 1960er und 1970er Jahre. Die heute vorgetragene »Sorge um den Bestand« hat ihre Wurzeln in jenen Jahren, als mit Hardt-Waltherr Hämer die behutsame Stadterneuerung begann und die Denkmalpflege aufblühte. Das ist fast fünfzig Jahre her. Ob es mit der derzeit proklamierten »Bauwende« ebenso lange dauert, ehe sie in den Köpfen und der gebauten Wirklichkeit ankommt?

Insgesamt gedieh die »IBA-Altbau« eher im Schatten der heller leuchtenden »IBA-Neubau«. Diese Dominanz des Neubaus gegenüber dem Bauen im Bestand setzt sich letztlich bis heute fort und beginnt erst langsam abzuschmelzen.

Josef Paul Kleihues (1933-2004); (Bild: Wilfried Dechau, 1990)

Josef Paul Kleihues (1933-2004); (Bild: Wilfried Dechau, 1990)

Innenstadt-Idyllen

Die von Josef Paul Kleihues vorangetriebene »IBA-Neubau« begriff die Kreuzberger Kriegsbrachen im Schatten der Mauer als eine undogmatisch bunte Spielwiese der Bau- und Lebensmodelle. Es entstanden neue Nachbarschaften, wie sie Jane Jacobs vorgeschwebt haben mögen. Es waren erste, teilweise durchaus charmante Ansätze einer liebevollen Idyllisierung von Innenstadt, die heute allerdings seltsame Berliner Blüten treibt. Die Zeugnisse jener Jahre sind mittlerweile so denkmalwürdig wie dringend sanierungsbedürftig. Das lehrt ein Spaziergang an der Kreuzberger Ritterstraße, dem international vielrezipierten Vorzeigeprojekt dieser Berliner Postmoderne. Die zunächst spielerische Renaissance von Giebel und Blockrand wurde mehr und mehr dogmatisch verhärtet: als Ideologisierung des Bauens, die sich gegen das Feindbild der aufgelockerten und gegliederten Stadt der Moderne richtete, gegen jene durchgrünte Stadtlandschaft, wie sie Hans Scharoun einst favorisierte.

Berlin, Nikolaiviertel und Rotes Rathaus (Bild: Wilfried Dechau)

Berlin, Nikolaiviertel und Rotes Rathaus (Bild: Wilfried Dechau)

Die IBA war noch nicht vollständig zu Ende gebaut, da fiel 1989 die Berliner Mauer und mit ihr das postmoderne Denken über die östliche Teilstadt. Dort gab es zwar schon den einen oder anderen Plattenbau, der wie beim Nicolaiviertel auf historischem Stadtgrundriss mit der Postmoderne kokettierte. Doch ansonsten erwies sich der bauliche Zustand in Ost-Berlin als dramatisch vernachlässigt. Es war ein einziges bröselndes Bröckeln, nicht nur an den Fassaden in der Spandauer Vorstadt oder Unter den Linden, das durch mancherlei Brache garniert wurde. Zur Wahrheit der DDR-Mangelwirtschaft gehörte, dass Wohnungsbesetzungen nach einigen Monaten stillschweigender Duldung amtlich legitimiert wurden. Ebenso wie die Bevorzugung der Plattenbauten am Rande der großen Stadt, wo die Wohnungen wenigstens über Zentralheizung und Badezimmer verfügten. Beides war im Westteil der Stadt um 1980 übrigens auch nicht selbstverständlich.

Werner Sewing (1951-2011); (Bild: Schelling Architekturstiftung)

Werner Sewing (1951-2011); (Bild: Schelling Architekturstiftung)

Um heute ein Gefühl für die Stadt jener Jahre zu gewinnen, schaue man sich Heiner Carows famosen Film »Die Legende von Paul und Paula« an und lese die Romane und Geschichten des viel zu früh verstorbenen Klaus Schlesinger. Als Blaupause für die nach 1990 in Angriff genommene Mammutaufgabe des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften galt die »Kritische Rekonstruktion«. Schon damals wurde dieses Konzept und seine Protagonisten vom Stadtsoziologen Werner Sewing kritisch beäugt. Doch seine kluge Stimme verrauschte – leider.

Hans Stimmann, 1992; er war 1991 als Senatsbaudirektor in die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen berufen worden. 1996 und 1999 war er Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie und konzipierte in dieser Zeit das Planwerk Innenstadt. (Bild: Wilfried Dechau)

Hans Stimmann, 1992; er war ab 1991  Senatsbaudirektor in der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, ab 1996 Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Bild: Wilfried Dechau)

Enge im Geiste und in der Stadt

Stattdessen wurde unter der Ägide des aus der traditionsreichen Kleinstadt Lübeck stammenden, sozialdemokratischen Senatsbaudirektors Hans Stimmann das »Planwerk Innenstadt« vom Berliner Senat beschlossen. Was bedeutete das? Der Stadtdiskurs wurde auf Traufhöhe, historischen Stadtgrundriss, Blockrand und steinerne Fassadenhaut verengt. Dass die damals vorgehängten Steintapeten keineswegs jene Dauerhaftigkeit bieten, wie damals behauptet wurde – geschenkt.

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Die Entwürfe für den Molkenmarkt werden in einer > digitalen Ausstellung gezeigt.

Schwerwiegender ist, dass heute wünschenswerte Freiareale in Mitte zugebaut wurden, etwa am ehemaligen Hotel Unter den Linden. Bis heute trägt Berlin zudem schwer daran, dass durch die einseitige Schwerpunktsetzung auf die Innenstadt die Verschränkung mit der Peripherie und dem Umland aus dem Blick geriet. Zugegeben: Weder die Finanzkrise 2008 mit ihren weltweiten Folgen für den Wohnungsmarkt war damals absehbar noch die Bevölkerungsentwicklung der Stadt insgesamt. Gerade hier aber läge das Lernpotential der Gegenwart für die Zukunft. Nämlich anstatt wie in Berlin gebaute Dogmen zu realisieren, ist es sinnvoll, Möglichkeitsräume zu formulieren. Dazu aber wäre es notwendig, die an der Spree anscheinend sakrosankte Idee der »kompakten europäischen Stadt« endlich zu hinterfragen. Doch davon ist man in Berlin immer noch weit entfernt. Im Gegenteil. Stattdessen verbeißt sich die Berliner Retrofront aktuell im historischen Stadtgrundriss des Molkenmarkts (https://molkenmarkt.berlin.de/). Interessant, dass dabei die immer selben Protagonistinnen und Protagonisten lediglich die Posten wechseln, nie aber die inhaltlichen Positionen. Lernen ist offenbar verboten. Doch so wenig die historische Altstadt in Frankfurt am Main einen Beitrag zu den anstehenden Fragen der »Stadt von Morgen« liefert, gilt dies auch für den Molkenmarkt. Wie ermüdend.

Berliner Wohnungsbau in »historischem Kontext«: dick gedämmt, rentables Staffelgeschoss, dicht beieinander. (Bild: Wilfried Dechau)

Berliner Wohnungsbau in »historischem Kontext«: dick gedämmt, rentables Staffelgeschoss, dicht beieinander gebaut. (Bild: Wilfried Dechau)

Die Rekonstruktion von Haus und Stadt lediglich auf vermeintlich neu rechte Position zu reduzieren, greift allerdings zu kurz. Dahinter steht vielmehr ein grundsätzlich zukunftsmüdes Misstrauen gegenüber den Versprechen der Moderne, gegenüber dem Verlust von Handwerklichkeit und Qualität. Und das ja nicht einmal völlig zu Unrecht. Etwa, wenn man sich das wärmegedämmt verdichtete Wohnungsneubaugrauen der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften der letzten Jahre in Berlin anschaut. Weder der Blick auf die Retroplanungen für den Molkenmarkt noch auf das städtebaulich falsch positionierte und überteuerte M20 lassen Hoffnung auf Berliner Besserung aufkeimen.

Berlin, Brandenburg – dazwischen und jenseits von beidem

Wie könnte eine Lösung aussehen, um die Berliner Verkrustungen endlich aufzulösen, die sich bis heute aus dem schmerzhaft langen Planungsarm des intellektuell verkürzten »Planwerks Innenstadt« ergeben? Besonders schmerzlich wird heute spürbar, dass es nach 1990 nie eine gemeinsame Planungskultur für Berlin und Brandenburg gab, die diesen Namen vertrug und die die Region als einen gemeinsamen Großraum, ja als eine Einheit begriffen und entwickelt hätte. Stattdessen blieb es meist bei einem Brandenburg hier, Berlin dort. Oder umgekehrt. Die dusselige Entscheidung für den Flughafen BER am falschen Standort steht beispielhaft für diese Fehlentwicklung. Angesichts der aktuellen Herausforderung bei Klimaschutz, bezahlbarem Wohnen, Grün- und Freiraumplanung und Arbeitswelten können es sich die beiden Bundesländer nicht länger leisten, aneinander vorbeizuplanen. Die Leerstandsbrachen in der Lausitz und die Berliner Proteste bei der Innenstadtverdichtung mögen nicht zwei Seiten einer Medaille sein. Doch sie stehen in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander. Hätte sich Berlin nach der Wende nicht selbstreferentiell auf die »Kritische Rekonstruktion« seiner Mitte fokussiert, wäre die Hauptstadt Region Berlin Brandenburg heute besser für die Zukunft gerüstet und hätte manches Problem weniger. Der Gedanke an eine IBA Berlin-Brandenburg, wie sie die Brandenburgische Architektenkammer zaghaft vorschlägt, besitzt daher einen gewissen Charme. Allerdings nur, wenn sie sich auf dem Niveau der legendären IBA-Emscher-Park bewegt und von der Politik dabei unterstützt wird. Ziel muss es sein, jenseits von Berliner Blockrandmief und seiner Reduzierung auf die Idee einer »kompakten europäischen Stadt« die Region Berlin-Brandenburgs und ihre lokalen Bausteine radikal neu zu denken, als Grundlage für ein künftiges atmendes und doch stabiles Planwerk Berlin-Brandenburg.

Karl Friedrich Schinkel, der weltoffene, weit gereiste

Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), der weltoffene, weit gereiste Architekt in preussischen Staatsdiensten: Denkmal von Friedrich Drake am Berliner Schinkel-Platz. Links die Musterattrappe der Bauakademie (Bild: Wilfried Dechau)