Die Tage sind kurz, die Geselligkeit ist eingeschränkt – wieder mal, wie letztes Jahr. Als Alternative zum Bildschirm lassen sich manche Bücher empfehlen, vor anderen sei gewarnt.
Wolfgang Pehnt erläutert an einem Dutzend Städte eine historische Gestaltungskonstante, die in der Architekturgeschichte ins Auge springt, in der Stadtbaugeschichte jedoch der Erläuterungen bedarf. Es geht um städtebauliche »Strategien der Identitätsbildung«, wobei heute die Grenzen zum Stadtmarketing wohl fließend sein mögen. Anhand der zwölf Städte – eine älter als die andere – legt der Autor Erinnerungsketten frei, in denen sich »Städte auf Städte berufen«. Roms Ursprungslegenden und sieben Hügel, die Mythen um die Entstehung Athens oder Jerusalems: Die nicht sichtbaren Stadtgestaltungsfaktoren werden in der Neuzeit, mit der Säkularisation, in Veduten und Stadtpanoramen deutlicher. Berlin adelt sich als »Spree-Athen«, Edinburgh als »Athens of the North«, Hamburg rühmt sich als »Venedig des Nordens«, Venedig selbst rekurierte auf Konstantinopel. Die geschichtlichen Bezüge von Jerusalem, Athen und Rom, Konstantinopel, Aachen und Venedig über Paris, Berlin, Dresden, St. Petersburg, Chicago und Washington lesen sich vorzüglich und erhellen, was sich dem Auge nicht mehr ohne weiteres erschließt. Denn dem 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und dem Wahn der autogerechten Stadt ist eine Zerstörungswucht zu schulden, der im 21. ein Strategiewechsel mit wohlüberlegter Kontinuität, historischem Wissen und sorgfältiger Erneuerung folgen könnte.
75 der über 200 Fotos stammen vom Autor und manifestieren dessen im Sehen geschulte Aufmerksamkeit. Das Buch ist schön gestaltet, aber aufgrund interessanter Fußnoten und eingedenk einer langen Literaturliste hätte ein Lesebändchen gute Dienste geleistet.
Einen Buchtitel mit dem bestimmten Artikel »Die« zu beginnen, manifestiert in seiner Genauigkeit eine erstaunliche Selbstsicherheit des Autors. Bibliophil aufbereitet, stehen auf den meisten Buchseiten ein oder zwei Sätze inmitten vielen Weißraums, als sei die Twitter- und Instagram-Kürze nun ästhetisch überhöht zurück ins Analoge transloziert. Eine »Poietik« – so heißt es im Unter- beziehungsweise Nebentitel, was darauf weist, dass sich der Autor wohl als Denk- und/ oder Sprachkünstler begreift. Im Verlagstext heißt es fast lapidar, der Autor – Prof an der BHT, früher Beuth Hochschule für Technik – versuche, »den Diskurs über eine ‚Theorie der Architektur‘ zu befreien vom Ballast eines grenzenlos angeschwollenen Anmerkungsapparates, der sich zunehmend vom Kern dieses Metiers entfernt«. Also keine Wissenschaft, keine Thesen, keine Logik der Argumente – vielmehr sei »Kunstliteratur« angestrebt.
Was aber soll der »Kern« sein? Das erschließt sich aus der Sentenzensammlung leider nicht.
Ein (ungekürztes!) Beispiel: »Architektur als radikale Stilisierung eines Metiers das sich der Idee verschreibt ein Göttliches Sein im hic und nunc zu verankern. Das Jenseits im Hier. Weil das Jenseits Ewigkeit verspricht … Jedes Haus ein Stern«. So wird es wohl sein. Oder auch nicht. Aber der Kern einer Theorie der Architektur tritt hier nicht in Erscheinung. Das Buch hat zwei farbig unterschiedliche Lesebändchen, deren Funktion sich mir nicht erschloss.
Wiedergelesen: Bei Klett Cotta erschien dieses 1973 niederländisch verfasste Buch 1978 erstmals in deutscher Übersetzung. In der Einleitung meinte Peter Kramer dazu: »Ich habe Le Roy einmal gesagt, daß ein deutscher Wissenschaftler sich nicht trauen dürfe, soviel unbewiesene Behauptungen aufzustellen. Er meinte, da müsse wohl erst so ein engagierter Niederländer kommen. – Kann schon sein.« Schon wieder eine Attacke auf die Wissenschaft? Eher nicht, denn Louis G. Le Roy, holländischer Landschaftsgestalter, hatte zu Beginn der 1970er Jahre eher ein Manifest geschrieben, um Bürger in ihrer von der Industrie gesteuerten, Monokulturen fördernden Gartenpingeligkeit abzubringen. Heute wäre das vielleicht damit vergleichbar, gegen die Schottergärten anzuschreiben. Wenn heute das Urban Gardening gefeiert wird und Zweifel an der europäischen Agrarpolitik geschürt werden, dann muss man Le Roy eine bemerkenswerte Weitsicht bescheinigen. Er wetterte gegen Insektizide, Monokulturen, Bodenbearbeitung und -versiegelung und vieles mehr und forderte ein umfassendes Verständnis und Wissen zur Ökologie. Als robuster Kapitalismuskritiker war das Buch »eine Warnung vor unserer Gesellschaft, die auf eine Super-Ökonomie eingestellt und darauf aus ist, mit allen erdenklichen Mitteln und mit möglichst wenig Arbeit in möglichst kurzer Zeit so viel wie möglich zu produzieren und zu verdienen«. Cem Özdemir, demnächst wohl Landwirtschaftsminister, war 1977 elf Jahre alt und könnte in dem vor 44 Jahren erschienen Buch allerlei Geeignetes für ein Regierungsprogramm finden.