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Less is more? Lifestyle und Verzicht

Eines der "5 coolste(n) Luxus Ökohäuser der Welt", ausgewählt von http://wohn-designtrend.de/coolste-luxus-oekohaeuser-der-welt

Eines der „5 coolste(n) Luxus Ökohäuser der Welt“, vorgestellt von http://wohn-designtrend.de/coolste-luxus-oekohaeuser-der-welt


Marktgeschrei (8) | Auch wenn die 28 Seiten der Koalitionssondierungen es nicht erkennen lassen: Nachhaltigkeit und Umweltverantwortung stehen heute überparteilich in allen Glaubensbekenntnissen. In der Praxis gehören sie auch zum Lifestyle, mit dem man es sich kritiklos bequem machen kann. Wie in einer Groko, die weiter machen will wie immer.


Der Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl im den 1970er-Jahren. (Bild: www.herbert-gruhl.de)

Der Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl im den 1970er-Jahren. (Bild: www.herbert-gruhl.de)

Öko und Öko-Style

Erinnert sich noch jemand an Herbert Gruhl? Er machte in den 1970er-Jahren als Bundestagsabgeordneter der CDU erstmals mit grünen Ideen von sich reden. Während seine Partei noch dem Wirtschaftswunder nachtrauerte, irritierte Herbert Gruhl (1921-1993) mit Begriffen wie Umweltvorsorge und Ressourcenschonen, ja, er stellte die unsterbliche Seele des Kapitalismus in Frage: Wachstumspolitik.(1) In die Feuilletons schaffte er es mit seinem Bekenntnis zur persönlichen Energiewende: In seinem Haushalt gab es keine Spülmaschine.

Solche praktizierten Verzichtserklärungen galten lange Zeit als unverwechselbares Indiz (um)weltverbessernder Gutmenschen: Raumtemperatur senken, schrumpelige Bio-Äpfel kaufen, die Kinder auf das Altpapier aus dem Nadeldrucker malen lassen. An selbstgestrickten Pullovern und Fußbettsandalen erkannte man die Sympathisanten, die sich einschränkten, weil wir nur eine Welt haben.

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Kleine Solarzellen auf dem Dach, Holzschindeln an der Fassade, gedämmte Wände, Dreifachfenster – so beruhigt man das Umweltgewissen, auch wenn Bauland in irrwitziger Verschwendung ausgewiesen und versiegelt wird und Pendlerströme entstehen. (Bild: Ursula Baus)

Fleisch und Biofleisch

Aber während die „Alternativen“ noch den Spott einsammelten, kippte die gesellschaftliche Befindlichkeit allmählich um. Es wurde chic, beim Biometzger Kobe-Rindfleisch zu kaufen, die Kinder mit dem Geländewagen in die Waldorfschule und sündhaft teure Bikes in die Berge zu transportieren. Häuser sind jetzt wohngesund, dicke Bretter, atmende Materialien und offene Feuerstellen gehören zu den unveränderlichen Kennzeichen der genussorientierten Haushalte. Man hat gut lachen über den Sponti-Witz, dumme Menschen glaubten, der Strom komme aus der Steckdose, denn man selbst versorgt sich mit Solarenergie, mit Wärmepumpe und kontrollierter Wohnraumlüftung. Verzichten braucht man auf gar nichts, weder auf Pool, noch auf Sauna. Und alles geht automatisch und lässt sich von unterwegs übers Handy steuern. In jedem Zimmer leuchten rote Lämpchen, die die ständige Bereitschaft für Information, Unterhaltung und Komfort anzeigen.

Der Elektrosmart als Öko-Beitrag in der Familienflotte aus Daimler, Rover, Maserati und Jeep? (Bild: Ursula Baus)

Der Elektrosmart als Öko-Beitrag in der Familienflotte aus Daimler, Rover, Maserati und Jeep? (Bild: Ursula Baus)

Fahren und Sprit Sparen

Da fragen wir uns, ob es gottgegeben ist, dass wir auf nichts verzichten wollen und jede vermeintliche Einschränkung nur akzeptieren, wenn sie durch einen bequemen Vorteil wettgemacht wird. Am deutlichsten bei den Autos, die regelmäßig ein paar Dezi weniger Sprit brauchen und gleichzeitig mehr Leistung bieten. Typisch der neue Audi Zehnzylinder. 610 PS, doch mit Star-Stopp-Automatik zum Spritsparen. Wenn man eine kleine Taste am Lenkrad drückt, öffnen sich die Auspuffklappen, und dann brüllt die Rennwanne los. Soll keiner glauben, man habe sich den Öko-Spießern angeschlossen!


(1) Herbert Gruhl: Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik Frankfurt am Main 1975 (zuletzt 1992 mit einem Vorwort zur 14. Auflage des Taschenbuches). 1978 trat Herbert Gruhl aus der CDU aus und wirkte für die Grünen im Europawahlkampf. 1981 trennte er sich von den Grünen, die ihm zu „links“ auftraten. 1982-89 war Gruhl Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), aus der er 1990 austrat. Mit seinem Buch Himmelfahrt ins Nichts. Der geplünderte Planet vor dem Ende. München 1992 lotete er die Perspektiven einer ökologischen Weltsicht aus.