Stilkritik (39): Die FDP ließ die Jamaika-Optionen platzen. „Besser nicht regieren als falsch“ – argumentierte Christian Lindner. Stimmt, vielleicht meinte er: besser ohne FDP als mit. Eine Partei, die Freiheit mit Egoismus verwechselt, verdirbt Chancen für eine Generation, die mehr leisten muss als Wohlstandsbewahrung und Reichtumsvermehrung einer Parteienklientel. Die Veränderung der Parteienlandschaft und Regierungsbildung zeitigen Konsequenzen für gemeinwohl-orientierte Themen der Architektur-, Stadt- und Landesplanung.
Egozentrische Quertreiber
Im Vorfeld hatten wir wochenlang optimistisch darüber berichtet, wie sich die Themen im Wahlkampf mit Schwerpunkten planungsrelevanter Bereiche herauskristallisieren könnten – aufgelistet in der Randspalte. Die Vorfreude auf kenntnisreich geführte Debatten, wie es mit Energie, Mobilität, Wohnungsbau, Digitalisierung und Strukturförderung zum Nutzen und Frommen der – in Stadt und auf dem Land lebenden – Mitmenschen weitergeht, hätte sich in wichtigen Diskussionen zur politisch umsichtig geplanten Zukunft entwickeln können.
Sie verflüchtigte sich in den Koalitionssondierungen aber rasch: Einschlägigen Analysen zufolge trieb Bayerns angeschlagene CSU mit weltfremden Flüchtlingsquoten quer, weil sie vor den nahen Landtagswahlen von parteiinternen und obendrein nur bayerischen Machtverschiebungen umnebelt war und nach rechts schielte. Die pubertär und keineswegs bildungsgefestigt anmutende FDP mit ihrem Starlet Christian Lindner reagierte trotzig nach dem Motto: „Mit euch spiel‘ ich nicht mehr!“. Nun gut, auf eine Partei, die sich als „Marke“ versteht, dürfen wir gern verzichten. Die FAS schrieb am 26. November 2017 von einer persönlich gut harmonierenden „Achse“ Lindner – Dobrindt – Spahn. Wenn also Alexander Dobrindt sich wie Christian Lindner davonmachte – was spräche dagegen?
Pluralismus in der Parteienlandschaft
Dass die Sondierungsthemen kaum belangloser hätten ausfallen können, deutet darauf hin, dass die Parteien die neue Parteienvielfalt mit breitem Themenspektrum erst noch üben müssen. Die vielen, großteils erfahrenen Unterhändler arbeiteten schwer, gewiss. Man muss ihnen dankbar sein. Aber in welchem Szenario engagieren sie sich? Die FDP ist nicht mehr das jahrzehntelang hofierte Zünglein an der Waage zwischen Schwarz und Rot. Hat das aber noch nicht begriffen. Die Grünen sind nicht mehr die Turnschuh-Revoluzzer, die wenigstens noch ein bisschen gegen das Establishment kämpften. Ahnen aber noch nicht, wie anpassungsfähig sie sein dürfen. Die CDU ist – wie die Unternehmerin Nicola Kammüller-Leibinger neulich beklagte – keine Wirtschaftspartei mehr und hat sowieso keine andere Perspektive als mit Angela Merkel ideenlos zu regieren. Und die SPD leidet an Schröders Erbe, der die Genossen zu Freunden der Bosse erzog. Aus so einer Nummer kommt man auch mit Martin Schulz so schnell nicht mehr raus. AfD und Linke darf man als neue Opposition von rechts und links außen begreifen, die wie kläffende Wadenbeisser überall auftreten. Auch sie gehören zur repräsentativen Demokratie, und die AfD offenbart nur den egoistischen, standesdünkelnden, rassistischen rechten Rand, den es in Deutschland immer gab. In einer solchen Gemengelage politischer Verhältnisse bleiben die Architektur-, Stadt- und Verkehrsthemen offenbar auf der Strecke.
Neue Mehrheiten
Die Klagen über fehlende Entscheidungen, fehlende Strategien, den Mangel an zuverlässigen, gesetzlichen Perspektiven für Architektur-, Stadt- und Landesplanung häufen sich. Dabei gibt es beispielsweise eine Leitbildbroschüre Raumentwicklung der Bundesregierung (1), die hinreichenden Entscheidungsstoff bietet. Der Deutsche Städtetag verwies auf dringende Investitionen in Schulen, Luftreinhaltung, entsprechende Verkehrsinfrastruktur. (2) Und die Bundesstiftung Baukultur mahnt an, dass die ländlichen Räume mit Ankerstädten und digitalen Netzen zu stärken sind. (3)
Was wir – parallel zu den Koalitionssondierungen – thematisch zu sortieren versucht haben, ist im Berliner Machtgerangel schlichtweg auf der Strecke geblieben. Die Relevanz von Architektur-, Stadt- und Verkehrsplanung als Basis des Zusammenlebens kam im Koalitionsgerangel kaum vor. Mal wurde von einem Heimat-Ministerium gemunkelt. Fragen, wie der omnipräsent falsch organisierte Verkehr neu geregelt gehört, brachten Alexander Dobrindt auf die Palme, Lobbyisten der Autoindustrie trieben ihn vor sich her. Das andere Thema: Ausstieg aus der Kohleenergie. Ja gern, aber nicht in Armin Laschets Nordrhein-Westfalen – die defensiven, ideenlosen und armseligen Argumentationsweisen trieben derweil mich auf die Palme.
Wieso, fragt man sich auch immer wieder, hat eine Lokalpartei wie die CSU das Recht, das vermeintlich christliche Parteilager im Bund einfach personell aufzudoppeln? Schon in Weimarer Republikzeiten profilierte sich eine Bayerische Volkspartei im Reichsparlament des letzten Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) armselig, indem sie die Erhöhung der Biersteuer vehement ablehnte.
Dass man die Weimarer Republik niemals mit unserer Gegenwartsdemokratie gleichsetzen kann, zeigt sich strukturell: Die Regierung war vom Kaiser ernannt und suchte danach Mehrheiten im Parlament. Wir haben keinen Kaiser mehr. Lobbyisten suchen sich „ihre“ Mehrheiten, an Mehrheiten der Wähler vorbei.
No more Groko
Die Arbeitsbereiche von Architekten, Bauingenieuren, Stadtplanern sind extrem abhängig von politischen Entscheidungen. Der Handlungs-, das heißt Investitionsbedarf in öffentliche Bereiche wie Bildung, Infrastruktur, Verkehr und, und, und ist unübersehbar. Dass dabei andere Schwerpunkte als in den letzten Jahren gesetzt werden müssen, in denen zum Beispiel Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister seine Parteikollegin Barbara Hendricks beim Umweltschutz und vielem mehr übel ausbremste, fordert neue Parlamentsmehrheiten.
Aktuell: Glyphosat. Abstrus mutet an, dass Christian Schmidt (Minister für Ernährung und Landwirtschaft, wieder ein Autist aus Bayern) am 27. November 2017 in Brüssel – offenbar lang geplant – für die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung stimmte, obwohl die für Umwelt zuständige Ministerin und Gegnerin des Glyphosat-Einsatzes, Barbara Hendricks (SPD), nicht einmal gefragt war. Die Kanzerlin „rügt“ ihn, aber wieso wirft sie den Minister nicht hochkant hinaus? Macht sie nicht, sie müsste derzeit Frank-Walter Steinmeier darum bitten. Statt dessen, so ein Experte, müsse Barbara Hendricks ihr Amt – aus Protest – zur Verfügung stellen. So geht Groko mit einer „Schwesterpartei“, die bayerische statt Landesinteressen vertritt – und auf Bundesebene nichts zu suchen hat.
Zweites aktuelles Beispiel: Diesel-Gipfel. Der erste Diesel-Gipfel war bereits eine Farce. Statt dem Treiben der Auto-Industrie einen Riegel vorzuschieben, standen gleich 1 Milliarde Euro für die Kommunen zur Verfügung, damit diese beispielsweise mit neuen Bussen zur Luftverbesserung in den Städten beitragen. Dumm nur: Die deutsche Autoindustrie hat diese Busse und Autos nicht ausreichend im Angebot. Müsste man in China kaufen? Außer einer Art Konjunkturprogramm, mit denen die Kommunen ein bisschen was im ÖPNV und der Verwaltungsflotte tun können, kam nichts heraus.
Wichtig wäre ein effizientes Fahrverbot. Laut einer neuen Umfrage von Infratest dimap sprechen sich 62 Prozent der Befragten für ein Fahrverbot bei schlechter Luft aus, in Großstädten waren es 66 Prozent. Blaue Plakette? Bekam die Groko nicht hin. Zwingend eine Dieselnachrüstung, bezahlt von der betrügenden Auto-Industrie? Fehlanzeige. Die ängstliche Politik verschiebt das Problem wieder an die Justiz. Diese wird im Februar 2018 entscheiden müssen, ob Fahrverbote für die Einhaltung von Grenzwerten unerlässlich sind. Wir wissen alle, dass es so ist, handeln aber wider besseres Wissen.
Drittens: Digitalisierung. Dieses Thema ist dermaßen umfassend und weitreichend in seinen Konsequenzen für alle politisch zu durchdenkenden Konsequenzen, dass es hier nur erwähnt sein kann, um die Relevanz einer „Groko – weiter so“ zu verdeutlichen.
Vieles muss anders entschieden, anders gemacht werden als in den jüngsten Groko-Jahren. Ein „weiter so“ einer Groko wäre für Stadt, Land und Menschen ein Desaster. Mit Argumenten nach Mehrheiten suchen, mag anstrengend sein – aber es bringt frischen Wind in das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit.
(1) Leitbildbroschüre 2016 (http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Raumentwicklung/RaumentwicklungDeutschland/Leitbilder/leitbildbroschuere-deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=7)
(2) Pressestatement des Deutschen Städtetages vom 16. November 2017 (http://www.staedtetag.de/presse/statements/083729/index.html)
(3) https://www.bundesstiftung-baukultur.de/presse/deutschland-braucht-ankerstaedte