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Wer etwas wagt, darf auch gewinnen

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Arge Summacumfemmer / Büro Juliane Greb: Genossenschaftliches Wohnhaus „San Riemo“, München. (Foto: Florian Summa)

Stilkritik (107) | Die Entscheidung beim diesjährigen DAM-Preis ist eine, mit der einverstanden zu sein nicht schwer ist. Gewonnen hat ein junges Team mit einem sozial anspruchsvollen Haus, Bauherrin war eine junge Genossenschaft, es ist ihr erster Bau. Einen Makel gab es dann aber doch zu beanstanden. Man sollte ihn ernst nehmen. Er könnte uns helfen, den Blick auf das zu schärfen, was wichtig ist.

Am 28. Januar wurde das Projekt bekannt gegeben, das sich unter vier Finalisten durchgesetzt hatte und nun den Titel DAM-Preis für Architektur in Deutschland 2022 tragen darf. Summacumfemmer mit Juliane Greb haben es entworfen, die Kooperative Großstadt, 2015 gegründet, ist Bauherrin. San Riemo ist ein Haus für gemeinschaftliches Wohnen in München-Riem mit 27 Wohnungen. 85 Menschen wohnen dort, in einer Gewerbe-Einheit wird eine Einrichtung zur Kinder- und Jugendarbeit aufgebaut, ein Frauentherapiezentrum betreut dort eine WG; das offene Erdgeschoss ist als Gemeinschaftsraum angelegt.

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Flexible Gestaltungsmöglichkeiten für eine breite Varianz an Grundrissen. (Foto: Petter Krag)

Intelligente Grundrisse, eine flexible Konstruktion, ein bei aller Pragmatik frisches Äußeres, mit mintgrünen und dunkelblauen Akzenten, Vorhängen, gewellten Poycarbonatplatten, weißem Wellblech – hier wurde gezeigt, dass es keines großen Budgets bedarf, um schön und gut zu bauen. Mit dem Preis hat die Jury ein Signal gesetzt: Sie hat Architektur ausgezeichnet, die sich als gesellschaftlicher Auftrag versteht, sie hat eine Bauherrin gewürdigt, die es anders machen wollte, als es landauf landab üblich ist. Die Genossenschaft, gegründet hauptsächlich von Architektinnen und Architekten, hat einen offenen Wettbewerb ausgelobt, hat den zweiten Jurytag für das Publikum geöffnet. Gewonnen hat ein junges Büro aus Zürich, das sich in der Konkurrenz von über 60 Teilnehmenden durchsetzen konnte.

Aber dann kam es eben doch nicht zur Verwirklichung des ersten Preises, weil das Siegerprojekt von Doscre auch in der Überarbeitung das Budget nicht gehalten und die geforderte Wohnfläche unterschritten hat. Und so kam es, dass die Zweitplatzierten, auch sie Newcomer, zum Zuge kamen. Für einen Architekten aus Hamburg ist das der Stein des Anstoßes. Er ist der Meinung, man hätte deswegen San Riemo den DAM-Preis nicht zuerkennen dürfen – und äußerte seine Kritik über facebook öffentlich: Die Auszeichnung sei ein Skandal, »ein Schlag für alle Kollegen, die sich an Wettbewerben beteiligen, oder zum Beispiel im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Kammer für für offene und faire Verfahren einsetzen. Ein Projekt mit dieser Vorgeschichte hätte man nicht prämieren dürfen, selbst wenn man die Architektur für sich genommen als preiswürdig betrachtet. Architektur ist immer auch der Prozess der zum gebauten Ergebnis führt.«

Das Problem ist der ganze Rest

Es wäre falsch, diesen Einwand vom Tisch zu wischen. Etwa mit dem Hinweis, dass das Ergebnis zählt. Man sollte Verständnis für den Frust derer aufbringen, die sich immer und immer wieder für faire Vergaben, für offene Wettbewerbe einsetzen, ohne dass ihnen das großartig gedankt würde. Wie denn auch: Die Erfolge sind bescheiden, und wenn es sie gibt, rechnet man sie selten denen an, denen sie zu verdanken sind.

Aber auch die wenigen Erfolge können nicht verbergen, wie ernüchternd die Gesamtbilanz ist. Offene Wettbewerbe stehen inzwischen auf der roten Liste der bedrohten Verfahrensarten. Der Zugang zu den anderen Wettbewerben ist teilweise so erschwert, dass junge und kleine Büros kaum eine Chance haben. Viele Auslober schließen an den Wettbewerb, wenn sie ihn denn ausloben, ein aufwändiges Verhandlungsverfahren an, damit sie noch die Möglichkeit haben, den Auftrag abweichend vom ersten Preis zu vergeben. Die Gesellschaften, die ganz oder überwiegend im Besitz der öffentlichen Hand sind, verhalten sich wie privatwirtschaftliche Akteure und erwarten noch Lob dafür, wenn sie Gutachterverfahren mit wenigen Beteiligten durchführen, zu denen sie meist die üblichen Verdächtigen einladen. In Verhandlungsverfahren der öffentlichen Hand wird seit dem EuGH-Urteil von 2019, in dem die Mindestsätze der HOAI gekippt wurden, nicht selten erwartet, dass auch noch diese Mindestsätze unterboten werden.

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Wohnung in „San Riemo“ (Foto: Florian Summa)

Dennoch scheint sich in diesem Fall der Frust an den Falschen zu entladen. Denn die Kooperative Großstadt hat viel richtig gemacht und das Meiste eben deutlich besser als es üblich ist. Sie hat Öffentlichkeit hergestellt. Wäre ein Verfahren wie das zu San Riemo auch anderswo eine Selbstverständlichkeit, gäbe es vermutlich keine Aufregung. Es gäbe viele junge Büros, die aufregende Bauten verwirklichen. Es gäbe vermutlich auch einen Diskurs darüber, was außer Wettbewerben noch nötig ist, damit man Baukultur in Deutschland als vorbildlich bezeichnen kann.

Der Skandal ist nicht der DAM-Preis. Der Skandal ist, wie Verfahren sonst durchgeführt, umgangen, unterminiert werden. Der Skandal ist, dass sich Auslober in Verfahren nach allen Seite absichern, auch dort, wo keine Gefahr droht. Der Skandal ist, wie wenig Fantasie aufgebracht wird, um zu guten und zu neuen Lösungen zu kommen. Es ist ein Skandal, dass es bei uns nicht, wie in Flandern, einen Open Oproep, einen „offenen Aufruf“ gibt, der zu einer deutlich verbesserten Architekturqualität in Flandern geführt hat und bei dem viele junge Büros erste öffentliche Aufträge erhalten hatten. Denn das zeigt ja San Riemo: die Jungen waren die Besten. Auf ihre Leidenschaft zu verzichten, ihre Ideen auszuschlagen – das können wir uns nicht leisten. Liebe Stadtverwaltungen, Politikerinnen und Politiker, liebe städtische und landeseigene Gesellschaften, liebe Unternehmen und Investoren: zeigt endlich oder wieder Engagement, zeigt Leidenschaft, zeigt, dass ihr denen vertraut, die diese Welt noch bewohnen wollen, wenn ihr es nicht mehr tun werdet.

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Nicht auf Nummer Sicher gegangen. Zum Glück. (Foto: Florian Summa)

Diese Auszeichnung als Skandal zu bezeichnen, hilft letztlich keinem. Hätte man das Projekt nicht prämiert, hätte man ein Exempel dort statuiert, wo man es kann, nicht dort, wo es nötig wäre. Es wäre ein Signal, dass Experimente unerwünscht sind, dass man Menschen nicht ermutigen will, ein Risiko einzugehen. Man sollte es also eher so sehen: Liebe Leute, wagt etwas, und wenn ihr dabei einen Fehler macht, ist es immer noch besser, als auf Nummer Sicher zu gehen. Auf Nummer Sicher kennen wir schon. Nummer Sicher produziert meist nur die Langeweile und ideenlose Convenience-Architektur, die wir in der Republik an jeder Ecke studieren können. Anstatt eine junge Genossenschaft zu geiseln, die auch für ihr zweites Projekt einen offenen Wettbewerb ausgelobt hat, anstatt einem jungen Büro die öffentliche Aufmerksamkeit zu nehmen, die es mehr als die Etablierten braucht, anstatt das eine junge Büro gegen das andere auszuspielen, sollten wir uns fragen, was für die Jungen noch getan werden kann. Wir könnten zum Beispiel der Kooperative Großstadt den Preis gönnen und ihr wünschen, die richtigen Lehren zu ziehen und sich dennoch bitte bitte ihre Leidenschaft zu bewahren. Gönnen wir Summacumfemmer und Juliane Greb den Preis, wünschen wir ihnen ebenso alles Gute wie dem damals erstplatzieren Büro.