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Erinnert sich noch jemand an die Friedensbewegung und die Ostermärsche? Pazifisten, Atomwaffen-Gegnerinnen und viele, denen Frieden als oberstes Gebot galt, demonstrierten. Wohlwissend, dass die Menschheit auf Krieg getrimmt ist. Gerade deswegen muss Frieden als Ziel allen Daseins in alle Überlegungen – lautstark – einbezogen werden. Wer allerdings gegenwärtig Friedensszenarien im Bundestag thematisiert, wird ignoriert, beschimpft oder belacht. Zeit für eine Osterbotschaft!


Die Überschrift ist irreführend, aber beruhigend. Tatsächlich müsste dort “kriegstüchtig“ stehen, dieses Gänsehaut erzeugende Wort unseres Verteidigungsministers. Er will damit erreichen, dass sich das Land, dass sich die Gesellschaft nicht nur militärisch, sondern auch mental darauf einstellt, sagen wir: in einem Krieg mitzuwirken.

ArchitektInnen und Krieg

Erinnern wir uns: In den achtziger Jahren waren die Architekten und ihre Fachzeitschriften politischer. So war zu lesen: „Herbst 1983: Sicherheit bis zum Widersinn?“ (Bauwelt 38/1983), und in ARCH+: „Architekten für den Frieden? Architekten für den Krieg?“ Volkwin Marg fragte zwei Jahre später: „Bunker und Valium? Das neue Zivilschutzgesetz“ (Bauwelt  27/1985).

Natürlich plant Boris Pistorius nicht, Russland anzugreifen, aber er kann sich vorstellen und will es nicht ausschließen, dass in acht bis zehn Jahren „die Situation da ist“, wie es zu Adenauers Zeiten hieß.
Meine Generation, die nach ´45 Geborenen, hatten im Lauf ihres Lebens schon einige Male Anlass, sich den Ernstfall auszumalen.1) Deshalb war es für mich naheliegend, auch als „eingeschränkt tauglich“ eingestufter Wehrpflichtiger sofort den Kriegsdienst zu verweigern. Man konnte ja nicht wissen, ein Gesetz ist schnell geändert… Spätestens seit der Wende haben wir uns von diesen vorsorglichen Ängsten verabschiedet.

Weltkriege und Weltfrieden

Aber gerade kommt es wieder dicke. Heribert Prantl hat in der SZ den kippeligen Weltfrieden erwähnt,2) weil im Fall der fantastischen Taurus-Raketen ein aus der Ukraine nach Russland gelenktes Geschoss (was man nicht ausschließen kann) eine Vergeltung beim Lieferanten der Wunderwaffe nach sich ziehen könnte. Und die Fabrik für das Teufelszeug steht in Schrobenhausen (Spargelregion zwischen Augsburg und Ingolstadt), also bei uns. Überhaupt fragt man sich als ahnungsloser Pazifist, warum die Russen so freundlich abwarten, bis die von uns gelieferten Waffen einsatzbereit vor Ort ankommen. Viel ungefährlicher wäre es doch, sie beim Transport mit Bahn oder Lastwagen zu zerstören. Für einen smarten Geheimdienst muss das doch ein Kinderspiel sein, die Lieferroute und die Termine herauszufinden. Dann wäre es allerdings zappenduster, wenn damit ein NATO-Mitglied angegriffen würde. Falls Macron Bodentruppen losschickte, wären wir dem eschatologischen Entscheidungskampf ziemlich nahe. Wir wollen also den Teufel nicht an die Wand malen und hoffen, dass „der Russe“ (so wurde – ebenfalls zur Adenauer-Zeit – dieser bedrohliche Menschenschlag als Gattung bezeichnet) Marlowes‘ nicht liest.

Abschrecken, Entspannung

Es gibt also zwei Haltungen zu diesem Konflikt: zur Abschreckung aufrüsten und der Ukraine ungehemmt Waffen liefern in der Hoffnung, Putin kapiert, dass der einige Westen ihm überlegen ist. Oder eine neue Entspannungspolitik einleiten.

Was könnte mit Abrüstung schief gehen? Naiv gefragt: Wenn „der Russe“ wirklich das sowjetische Großreich wiederherstellen möchte, was hätten wir zu befürchten? Die Reanimation der DDR? Wäre sicher nicht mein Ziel. Bis in die sechziger Jahre hatten wir der Verwandtschaft in Thüringen Bohnenkaffee und Sonstiges geschickt und unsere Späße über die sächselnden SED-Figuren gemacht. Später sind wir selbst „rüber“ zum Besuch und brachten Taschenrechner mit. Mein gleichaltriger Cousin – studierter Bauingenieur – jobbte als Portier im Hotel Elefant in Weimar, weil das Trinkgeld weit höher war als sein Ingenieurgehalt. Man konnte also auch im Unrechtsstaat DDR (über)leben. Apoldaer und Radeberger Biere waren schon damals gut. Mein Onkel hatte eine Sauna, hielt sich ein Schwein zum Schlachten und war ein früher Spezialist für Nachhaltigkeit. Natürlich lachten wir damals über seinen Schuppen, in dem von alten Waschbecken über Autobatterien bis zu Drahtröllchen alles gesammelt wurde. Es gab doch nichts zu kaufen im Arbeiter- und Bauernstaat, das wussten schon wir Kinder. Ja, ja, die Kinderperspektive …

Kriegstüchtig, kriegswichtig

Wenn wirklich so „eine Art DDR“ unsere künftige Perspektive unter russischer Okkupation wäre – statt kriegstüchtig bei Fliegeralarm nachts aus dem Bett zu hasten und zu hoffen, dass die Bomben den eigenen Keller verschonen –, ich bliebe nicht lange unschlüssig, was mir lieber wäre. Heribert Prantl, einst Richter und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, resümiert: „Das Wort Kriegstüchtigkeit aktiviert und optimiert alte Denk- und Verhaltensmuster, es bricht der ständigen Aufrüstung Bahn und behauptet, es sei ‚tüchtig‘.“ Es liest sich, als müsse man in einem Match nur eine gute Mannschaft aufstellen, als gäbe es damit etwas zu gewinnen. Richtig wäre das Gegenteil: Die Voraussetzungen zu schaffen, dass wir gar keinen Krieg mehr führen können! Da bin ich noch radikaler als mein Papst.

Sie reden vom Frieden? Nicht mit uns!

Stattdessen scheinen wir uns mit der Apokalypse bereits zu arrangieren. In den Kommentarspalten der Zeitungen gehört der Dritte Weltkrieg schon zum gängigen Verlautbarungsvokabular wie Bahnstreik und Schuldenbremse. Wer wie der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich das Wort „Frieden“ im Munde führt, wird im Bundestag von allen Seiten abgestraft. Auf der Leipziger Buchmesse wurde gerade ernsthaft überlegt, ob man die aktuellen Neuerscheinungen später einmal unter „Vorkriegsliteratur“ rubrizieren wird.
Man kann sich ausmalen, wie wir bald ertüchtigt werden: mittwochs 12 Uhr wieder Sirenentest mit ABC-Alarm, im Briefkasten Zivilschutz-Broschüren über Kellerverstärkung und Vorratshaltung, unsere Bildungsministerin will bereits mit Kindern den Luftschutz üben, ihr Gesundheits-Kollege die Krankenhäuser für den Krieg umrüsten, Soldaten sollen in den Schulen für Nachwuchs bei der Bundeswehr werben. Und selbstverständlich wird man auch Architekten beschäftigen, um an den städtischen Blockrändern Bunker vorzusehen. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes André Berghegger (CDU) forderte gerade für die nächsten zehn Jahre eine Mindestinvestition von jährlich (!) einer Milliarde (!) Euro für die Revitalisierung und den Neubau von Bunkern.3) In Ludwigshafen lassen sich noch zahllose der unseligen Denkmäler besichtigen.4) Dass bei einer Bombardierung die Trümmer keine weiteren Häuser beschädigen, ist ein naheliegender planerischer Gesichtspunkt. Die Grindelhochhäuser Hamburg wurden nach dem zweiten Weltkrieg deshalb als versetzte Zeilen errichtet. Das muss im neuen § 246e BauGB noch berücksichtigt werden. Umwelt- und Naturschutz sind dann ohnehin nur noch etwas für Warmduscher. Es gibt also viel zu tun: Zeitenwende! Das Anthropozän verlangt seinen Preis.

Nur, damit wir klarsehen, die Herren Stoltenberg und Pistorius:
Mit mir ist nicht zu rechnen, weder in acht noch in zehn Jahren.


1) Para bellum / Heimatfront / Es (f)liegt was in der Luft / Wohnen bei der Firma

2) Heribert Prantl, Gefährlich. In: Süddeutsche Zeitung, 8.2.24

3) https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/zivilschutz-bunker-100.html

4) https://www.marlowes.de/wohnen-bei-der-firma/