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Dass es um die „Leitmedien“ in der Bau-Fachwelt nicht gut bestellt ist, erläuterten wir im Januar, siehe > Schau mich an! im Hinblick auf Gedrucktes in einer wohlstrukturierten Öffentlichkeit. In der digitalen Kommunikationswelt verliert die Schrift unerwartet schnell an Bedeutung. Stattdessen spielen Bilder, Podcasts, Videos und ähnliche Übermittlungsformate die Hauptrollen. Doch gravierender ist der radikale Umbruch in der systemrelevanten Öffentlichkeit.

Analoge Kommunikation im vordigitalen Zeitalter (Bild: Ursula Baus)

Gleichschaltung

Architekten werden, seit es illustrierte Druckwerke gibt, gern als „Bilderlutscher“ getadelt, aber sind sie vielleicht Zuhörer? Mit digitalisierten Medien und so genannten Social Medias setzen sich Tendenzen fort, die sich im Rundfunk längst ausgebreitet haben. Seit Mitte der 1980er Jahre waren neben die Öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Privatsender wie Pilze aus dem Boden geschossen, politisch-wirtschaftsliberal war es so gewollt. Dadurch ist nicht etwa eine nennenswerte Meinungsvielfalt gefördert worden. Vielmehr gerieten alle Sender unter ökonomischen Druck, der zu üblen Strategien führte. Um es an einem Beispiel zu erläutern: Es gab in den Rundfunkanstalten einmal Architekturkritiker und -redakteure, etwa Wolfgang Pehnt beim WDR oder Reinhard Hübsch beim SWR. Auch sind ArchitekturexpertInnen als viele Freie um die Mitwirkung in Diskussionen oder um Rezensionen von Ausstellungen hinzugezogen worden. Personalabbau und schrumpfende Etats bewirken inzwischen, dass Sendungen zwei Mal am Tag identisch zu hören sind, dass ständige Wiederholungen auf den Programmen stehen und Freie kaum noch präsent sind. Weil sie Geld kosten. Waren Architektur und Städtebau ohnehin in den Rundfunkanstalten stiefmütterlich behandelt, verschwinden sie in den Programmen jetzt mehr und mehr. Und wenn etwas zu diesen Themen verlautbart wird, dann nicht mehr in fachkompetenten Berichten oder Kritiken, sondern in Interviews und Gesprächen. Das heißt, ein schimmerloser Redakteur hält einer Architektin ein Mikrophon hin, und diese plaudert davon, was sie selber denkt und liefert damit die eigene Sicht aufs eigene Tun. Es ließe sich hier von einem schleichenden Prozess ökonomisch verursachter Gleichschaltung sprechen, weil die (Architekturfach-)Presse und -Kritik als unabhängige Kraft im demokratischen Öffentlichkeitsspektrum schlicht verschwindet. Die Gleichschaltung wird weitergehen, wenn eine „Reform“ (Kommentar von Claus Leggewie) umgesetzt wird, wenn beispielsweise Sender wie 3sat und arte einfach zusammengelegt werden. Ökonomischer Druck sorgt hier für eine Gleichschaltung der Presse – durchaus vergleichbar damit, dass in politischen Strategien ökonomische „Sanktionen“ als Druckmittel für Sinneswandel genutzt werden. Dass kapitalistischer Wertschöpfungszwang die Presse sanktioniert, stört offenbar niemanden.

Ein Kennzeichen digitaler Kommunikation ist die Emotionalisierung und wortlose Meinungsäußerung. (Collage: Ursula Baus)

Ein Kennzeichen der enorm weitreichenden digitalen Kommunikation ist die Emotionalisierung und wort- und argumentationslose Meinungsäußerung. (Collage: Ursula Baus)

Rechtsfreie Räume

Seit Mitte der 1990er Jahre breiten sich die digitalen Räume weltumspannend ohne jegliche Kontrolle menschenwürdiger (Kommunikations-)Grundlagen aus. Digitale Räume sind, wie wir es jetzt erschrocken feststellen müssen, rechtsfreie Räume1), die samt und sonders in privatem Eigentum sind – seien es Suchmaschinen oder Plattformen wie Tiktok, Facebook oder Instagram und wie sie alle heißen. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit vollzieht sich in einem Tempo, mit dem Medienwissenschaften kaum mehr Schritt halten können – 2021 war dem Leviathan-Sonderband 37 zu diesem Thema noch ein Fragezeichen angefügt.2)
Mehr oder weniger verzweifelt wird gegenwärtig in den USA versucht, Tiktok zu verbieten.3) Und mehr oder weniger verzweifelt wird eingefordert, Kinder mit „Medienunterricht“ auf die digitale Hölle vorzubereiten, weil man dieser nicht mehr Herr wird4) und mit einer wuchernden KI der nächste Kontrollverlust ansteht. Weltwissen wird kommerzialisiert und für private Zwecke erodierend missbraucht.5) Wie nun KI als nächste digitale Entfesselung aus privatwirtschaftlichen Interessen entwickelt und dabei öffentlich gefördert wird, zeigt sich zum Beispiel in Heilbronn. Dort wird ein riesiges Terrain für das von der Heilbronner Schwarz Gruppe initiierte IPAI von MVRDV bebaut. Mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg. Und im Kontext der Kooperation mit der steuerlich finanzierten TU München.6)

Erster Preis im Wettbewerb für den IPAI-Campus in Heilbronn: Entwurf von Herzog & de Meuron (© STadt Heilbronn)

Erster Preis im Wettbewerb für den IPAI-Campus in Heilbronn: Entwurf von MVRDV (© Stadt Heilbronn)

Und Architekten …

Individuen schaffen sich in den rechtsfreien, digitalen Räumen ihre eigene Öffentlichkeit. Mit eigenen Websites und indem sie mit SEO und Matomo ihre Suchmaschinen-Ränge optimieren lassen. Die Google-Macht, die rund 95% der Suchmaschinen-Nutzung umfasst, ist kaum zu bändigen – also nutzt man sie besser. Teure Architektur-Monografien kann man sich als Architekt sparen, Seiten in repräsentativen Tabelbooks muss eine Architektin auch nicht mehr kaufen. Auf Teilnahme an Diskursen und Debatten kommt es nur an, wenn berufsständische Veränderungen beeinflusst werden sollten und man „getriggert“ ist.7) Das alles erwähne ich nicht im Sinne der Schwarzmalerei, sondern einfach nur, um das Bewusstsein für eine architektur- und stadtrelevante Veränderung der Öffentlichkeit enormen Ausmaßes zu schärfen. Auf politischer Ebene haben Populisten längst begriffen, wie diese neue Öffentlichkeit funktioniert – mit kurzen, primitiven Botschaften, „Basic Talk“ und „Move Talk“ statt nachvollziehbarer und deswegen widerlegbarer Argumentation. Genauso lesen sich – leider – auch viele Kommentare von ArchitektInnen, die viel auf Facebook, bei Instagram, X oder Tiktok unterwegs sind. Und sie dort vermelden, wenn ein eignes Kindlein geboren ist, ein im Garten gepflanztes Pflänzchen blüht, ein abendlich serviertes Kochgericht geglückt ist.

Collage von Maik Novotny (Courtesy des Autors)

Collage von Maik Novotny (Courtesy des Autors, Der Standard)

Deutungshoheiten und 1 Mio Follower

Warum, fragt man sich, verplempern so viele, eigentlich kluge Menschen – auch ArchitektInnen – ihre Zeit in den Plapperportalen? Warum wird dort auch viel Privates präsentiert, obwohl im Architektur- und Stadtraum-Diskurs die reale Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum immens wichtig ist? Es geht selbstverständlich um Einfluss, um Deutungshoheiten, um Besetzung von Begriffen avant la lettre, um Legitimationsgrundlagen, um Follower und die Strategien, mit denen beispielsweise Influencer sogar mit grobem Unfug und belanglosem Blödsinn gewaltig Kasse machen können. Daneben etablieren sich, weil die Angelegenheiten sehr unübersichtlich werden, „Gesellschaftsdeuter“ wie der Soziologe Steffen Mau mit ostdeutscher Biografie und seinem Bestseller „Triggerpunkte“. Ein Prinzip im Erobern einer Deutungshoheit ist die Polarisierung, die mit einfachsten Feindbildkonstruktionen und banalen Bild-Gegenüberstellungen funktioniert – mit faktischen Konsequenzen, denken wir an Abriss- und Neubau-Entscheidungen. Maik Novotny hat kürzlich dieses Prinzip in der Architekturdeutung als Spielfeld rechter Gruppen erläutert, die bei X und anderen Plattformen bis zu etwa 1 Million Follower haben – zum Beispiel @culture_crit.8) Die Attacken, die hier gegen die Moderne gefahren werden, haben Gründe: Sie fundamentieren die moralische Fehllosigkeit des Althergebrachten, so dass dieses im Sinne eines infantilen Kulturkampfes geadelt und jedem Hinterfragen entzogen werden kann.

Man ist gut beraten, sich an solch kleingeistigen, bisweilen bösartigen Scharmützeln nicht zu beteiligen. Ansprechen muss man sie dennoch, denn für die simplen, meistens falschen Botschaften sind Mehrheiten empfänglich. Und der Manipulation von Mehrheiten gilt es sich entgegenzustellen. Von „Manipulation“ kann man deswegen sprechen, weil Feinbildkonstruktionen jeglichen Argumentationsaustausch negieren. Das charakterisiert den Wandel der Öffentlichkeiten: Professioneller Journalismus wird „als Gatekeeper von Kommunikationsflüssen mit Hilfe digitaler und sozialer Medien zunehmend umgangen.“9) Jeder ist heute sein eigener Journalist, und so wundert die Konjunktur des neuen Worts „Qualitätsjournalismus“ im Sinne journalistischer Selbstbehauptung nicht. Rückt die Selbstrepräsentation in gegenwärtig splitternden Öffentlichkeiten in den Vordergrund, ist sie dann akzeptabel, wenn überindividuelle, gemeinwohlorientierte Aspekte betroffen sind.

Gemeinsame Interessen und Vorlieben finden sich zusammen, nur bleibt unklar, wo dazugehöriges Wissen verifiziert und kontrolliert werden kann. Das Arbiträre ersetzt das Wissenschaftliche, Wissenswertes taucht dennoch auf. (Facebook Gruppe Louis Kahn)

Gemeinsame Interessen und Vorlieben finden sich zusammen, nur bleibt unklar, wo dazugehöriges Wissen verifiziert und kontrolliert werden kann. Das Arbiträre ersetzt das Wissenschaftliche, Wissenswertes taucht dennoch auf. (Facebook Gruppe Louis Kahn)

Architekturöffentlichkeiten

Mit den digitalen Kommunikationsweisen haben sich Teil- und Semiöffentlichkeiten gebildet, deren Funktionsweisen nicht einfach zu analysieren, geschweige zu kontrollieren sind. Ge- und Missbrauch von fundiertem (Architektur-)Wissen als Charakteristik vernünftiger, erkenntnisträchtiger Debatten sind in diesen Öffentlichkeitsbereichen kaum mehr zu garantieren. Bemerkenswert ist, dass die „digital native“ ArchitektInnen reale Öffentlichkeiten in unbefangener Weise nutzen und in digitalen Teilöffentlichkeiten Wirkungskraft erreichen. Sie nutzen die Teilöffentlichkeiten zur Teilhabe – und eher nicht zur Manipulation. Mit Aktionen, Podcasts, Videos, Livestreams und vielem mehr bietet das Zusammentreffen von realer und digitaler Öffentlichkeit gerade ArchitektInnen ein exzellentes Arbeitsinstrument, in dem der digitale Raum nicht primär rechtsfrei beansprucht und der reale öffentliche Raum im Sinne der Gestaltungsfreiheit bespielt wird.
Also: Gute Aussichten, wenigstens in manchen ArchitektInnenkreisen, sofern sie an Standards für Wissen und Meinungen mitwirken und sich dabei Maßstäbe setzen – was der Gesetzgeber versäumt hat. Leider entstehen dadurch dann nur Teilöffentlichkeiten, die für einen Diskurs anregend sind, aber viel zu wenig Wirkungskraft entwickeln. Und wie wissenschaftlich haltbare Standards zu etablieren sind: Das weiß niemand mehr.


1)  Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle im Demokratieforum am 10.3.24 (https://www.ardmediathek.de/video/demokratieforum/demokratieforum-diskutiert-ueber-freiheit-und-ihre-grenzen/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwMTUzMTY)

2) Martin Seeliger, Sebastian Sevignani: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Leviathan, Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Sonderband 37, 2021. Der thematische Schwerpunkt war auf Politik, genauer: auf mögliche Implikationen für die Demokratie gelegt.

3) Andrian Kreye: Netter Versuch. Die USA erlassen ein Gesetz gegen die chinesische Video-App Tiktok. In: Süddeutsche Zeitung, 15.3.2024

4) Wibke Becker: Bildung der Zukunft. In: FAS, 14. Januar 2024

5) Andrian Kreye: Künstliche Intelligenz. Vorsicht, Pioniere. In: Süddeutsche Zeitung, 24.11.2023

6) Ursula Baus: Artificial Ökosystem. In: Bauwelt 17.2023 (https://www.bauwelt.de/das-heft/heftarchiv/Artificial-Oekosystem-3991655.html)

7) Wie das Triggern funktioniert, erläuterte Steffen Mau: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp, 2023

8) Maik Novotny: Dauererregung Architektur. Warum sich rechte Gruppen plötzlich mit Architektur beschäftigen. In: Der Standard, 7.1.2024 (https://www.derstandard.at/story/3000000201931/warum-sich-rechte-gruppen-ploetzlich-mit-architektur-beschaeftigen)

9) siehe Anm. 2, Seite 461