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Stilkritik (80) | Parteipolitik und persönliche Eitelkeiten dominieren in Berlin Entscheidungen, die Baukultur und demokratische Prinzipien ignorieren – siehe die Causa Pronold, die Florian Heilmeyer hier gründlich erläutert und kommentiert. Um die systemische Relevanz solcher Berliner Entwicklungen zu verdeutlichen, seien nun kurz die aktuelle Causa Grütters und Museumsneubau und – mit ihr – die Rolle der Presse angesprochen.

Visualisierung des möglichen Ausblicks aus der Nationalgalerie auf Herzog & de Meurons Museumsneubau (Copyright: Stephan Braunfels)

 

Monika Grütters (Bild: PR Bundesregierung, Elke Jung-Wolff)

Monika Grütters (Bild: PR Bundesregierung, Elke Jung-Wolff)

Es ist der 14. November 2019: Minister Andreas Scheuer (CSU) ist immer noch im Amt, Staatssekretär Forian Pronold (SPD) wird aus kaum nachvollziehbaren Gründen Direktor der Bauakademie in Berlin, der Haushaltsausschuss des Bundes winkt alle zusätzlichen Gelder für das Museumsprojekt am Berliner Kulturforum der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) durch. Baukulturelle Entwicklungen werden von Parteipolitik und persönlichen Eitelkeiten dominiert – es geht hier nicht um allgemeine Politikerschelte. Im Gegenteil.

Panik

Dass Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf einen raschen ersten Spatenstich für die Nationalgalerie20 drängte, obwohl ab ovo (wir berichteten, siehe Seitenspalte) deutliche Kritik an Zeitdruck, Standort und Gestalt des Museums der Moderne geübt wurde, stieß auf heftige Kritik, vor allem bevor der Haushaltsausschuss des Bundes an jenem 14. November 2019 angesichts der mittlerweile vorgetragenen Argumente und auch der horrend wachsenden Kosten dem Projekt ein vorläufiges Ende hätte bereiten können. Hat er nicht, die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hat zum ersten Spatenstich am 3. Dezember 2019 ans Kulturforum eingeladen.
Im Haushaltsausschuss des Bundes wird entschieden, wie und wo die Steuergelder ausgegeben werden. 2019 lag der Kulturetat beispielsweise bei 1,9 Mrd Euro. Berichterstatter des von CDU/CSU dominierten Haushaltsausschusses im Bereich Kultur sind lt. telefonischer Auskunft beim Bundestag Otto Fricke (FDP), Patricia Lips (CDU), Johannes Kahrs (SPD), Marcus Bühl (AfD), Gesine Lötzsch (Linke) und Anja Hajduk (Grüne).
Für den Denkmalschutz im gesamten Bundesgebiet sind im Kulturetat schüttere 40 Mio Euro vorgesehen. 63 Mio Euro stehen dieses Jahr allein für das Berliner Humboldt-Forum im Etat.1)

Pathos

Monika Grütters hatte die Entscheidung zum Museum der Moderne mit befremdlichem Pathos begrüßt: Die Haushälter hätten den „den Anspruch Deutschlands als einer großen Kulturnation untermauert, mit ihren Weltklasse-Sammlungen angemessen umzugehen“.2) Der Tagesspiegel titelte: „Auf einmal mögen alle das Museum der Moderne.“ Weitere Hauptstadt-Medien folgten Grütters‘ Einschätzung, wobei man fragen muss, wer „alle“ sein sollen.3)

Vor dem 14. November hatten sich Niklas Maak in der FAZ/ FAS, Hanno Rauterberg in der Zeit, Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung deutlich gegen die aberwitzige Eile beim Museum der Moderne ausgesprochen und neben den Kosten Argumente bezüglich Architektur, Sammlerintentionen und Stadtplanung vorgebracht.4) Jörg Häntzschel hatte in der Süddeutschen Zeitung klar gegen die Notwendigkeit des Museums argumentiert, woraufhin sich die Stiftung Preussischer Kulturbesitz gleich glaubte wehren zu müssen.5)

Meldet sich auch ungefragt, aber mit gutem Recht zu Wort: Stephan Braunfels schlägt das Museum an anderem Standort (links im Bild) vor, zeigt aber vor allem, das Mies van der Rohes Nationalgalerie (wird derzeit aufwändig saniert) und Scharouns Philharmonie als Solitäre Platz brauchen. Von dem könnten alle profitieren, die sich draußen aufhalten wollen, ohne in den Tiergarten zu eilen. (Bild: http://www.braunfels-architekten.de/#/aktuell/news/2017/kulturforum-berlin/)

Meldet sich auch ungefragt, aber mit gutem Recht zu Wort: Stephan Braunfels schlägt das Museum an anderem Standort (links im Bild) vor, zeigt aber vor allem, dass Mies van der Rohes Nationalgalerie (wird derzeit aufwändig saniert) und Scharouns Philharmonie als Solitäre Platz brauchen. Von dem könnten alle profitieren, die sich draußen aufhalten wollen, ohne in den Tiergarten zu eilen. (Bild: braunfels-architekten.de)

In der Welt vermeldete Svantje Karich indes, Kritikern des Museumsbaus ginge es vor allem um die Kostensteigerung. Eine absurde Begründung folgte: „Wenn sich der Bundestag dagegen entscheidet, scheitert Deutschland als Kulturnation.“ Die Debatten seien so geführt, als sei Berlin eine einfache Stadt wie Freiburg oder Leipzig oder Frankfurt am Main, aber es sei die „Hauptstadt Deutschlands“. So lächerlich das Pathos in diesen Sätzen ist, so sachlich falsch ist ein weiteres Argument der Autorin: Beim Museum gehe es um „den ersten vollständig neuen Museumsbau in Berlin seit der Gemäldegalerie in den Neunzigerjahren (…) keine Rekonstruktion seit 1998“.6) Sie hat nicht begriffen oder gewusst, dass Chipperfield mit der James Simon Gallery einen vollständigen Neubau erstellt hat und vor allem: dass jede Rekonstruktion – wie das Humboldt Forum – ebenfalls ein Neubau ist.

Kein Cent für Frankfurt, München, Karlsruhe

Wie Florian Heilmeyer es auch für Florian Pronold analysiert, geht es in der Schaffung von Institutionen und Besetzung von Posten selbstverständlich um Einfluss. Wie ließe sich nun erklären, dass 2007 erst eine Bundesstiftung Baukultur gegründet wird, die sich um die Baukultur republikweit kümmert – um dann auf Teufel komm raus noch eine Bundesstiftung Bauakademie folgen zu lassen, die sich ihre Aufgaben noch suchen muss?

In Frankfurt hatte Heinrich Klotz 1984 das Deutsche Architekturmuseum (DAM) gegründet. Der 1996 verstorbene Heinrich Klotz ist der international im 20. Jahrhundert bedeutendste und einflußreichste  deutsche Architekturhistoriker, Kurator und Sammler im Bereich Architektur gewesen. Vom DAM gingen und gehen weitreichende Impulse zu jeweiligen auch internationalen Architekturdiskursen aus.
Mit Ausstellungen und Diskursen weit über die Grenzen hinaus wirkt auch das Architekturmuseum in der Münchener Pinakothek der Moderne, dessen Profil von Winfried Nerdinger geprägt worden ist. Und das Karlsruher saai schickt sich an, mit seiner exzellenten Sammlung auch zur Architektur und Stadtplanung des 20. und 21. Jahrhunderts national ohnehin, aber auch international zu wirken. Hintergrund bilden Universitäten mit wissenschaftlichem Anspruch.

All diese Einrichtungen repräsentieren die Republik als föderal gewachsene und deswegen starke, vielfältige Kulturnation. Vom Bund bekommen sie, von ganz wenigen Einzelprojekten abgesehen, keinen einzigen Cent!

Föderale Kultur

Es bestätigen sich die Befürchtungen, die in der lebhaften Debatte um Bonn oder Berlin als Hauptstadt geäußert wurden, die wiederum am 20. Juni 1991 zu einer denkbar knappen Entscheidung zugunsten Berlin geführt hatte. Man mag sich trösten: Was für ein Glück, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können; dass der Bundesrechnungshof in Bonn angesiedelt ist. Dass mithin die Gewaltenteilung (was für ein martialisches Wort) sich auch in ihrer Lokalisierung niederschlägt.
Denn Zentralisierung von Macht (zum Beispiel Haushalts-Verteilung Richtung „Hauptstadt“), Großmannssucht und nationalistische Überheblichkeit (zum Beispiel Staatsministerin Grütters) – all das scheint einzutreten. In der offiziellen Termin-Auswahl auf der Website der Staatsministerin 7) sind zwischen dem 8. und 24. November 2019 beispielsweise 11 Termine aufgeführt, davon einer in Marienborn, einer in Brüssel, aber neun in Berlin, wo Monika Grütters, die auch mal für den Vorsitz der Berliner CDU im Gespräch war, ihren Wahlkreis hat (Mahrzahn-Hellersdorf).

Parteipolitik und persönliche Eitelkeiten in hohen Ämtern bescheren uns im Bereich Baukultur gerade Entscheidungen, die der kulturgeschichtlichen, föderalen Entwicklung des Landes und seinen internationalen Aufgaben nicht gerecht werden. Auch Teile der Kulturpresse verschließen sich fachlichen Argumenten, was der öffentlichen Debatte schadet.

Was derweil den politisch brisanten Architektur- und Planungsdiskurs erkenntnisträchtiger in Aufruhr versetzt, wird in politischen Kreisen weitgehend ignoriert. Die durch die KollegInnen von Archplus initiierte „Rechte Räume“-Debatte zeitigt gerade eine gewisse Versachlichung, weil die in der Archplus Nr. 235 (wurde gerade neu aufgelegt) angegriffenen Historiker und Architekten aus Köln, Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe und andere zu Wort kommen.8) Dazu demnächst mehr.

Kulturelle Praxis

Parallel beleuchtet Johann Schloemann in der Süddeutschen Zeitung heute (25. November 2019) die Frage, welche Prioritäten, Zuständigkeiten und Entscheidungsstrukturen zu bestehenden und geplanten Kulturbauten in Relation zur „kulturellen Praxis an der gesellschaftlichen Basis“ zu klären sind. An einer solchen Frage könnte Deutschland scheitern – gewiss nicht am Neubau eines umstrittenen Kunstmuseums, welches das Kulturforum vermurkst.


2) https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/museum-des-20-jahrhunderts-kommt-1691460

3) Birgit Rieger: Wenn schon teuer, dann wenigstens gut. Auf einmal mögen alle das Museum der Moderne. In: Der Tagesspiegel, 19.11.2019 (https://www.tagesspiegel.de/kultur/wenn-schon-teuer-dann-wenigstens-gut-auf-einmal-moegen-alle-das-museum-der-moderne/25242272.html)

4) Hanno Rauterberg: Halbgute Garnichtlösung. Scheitert das teuerste deutsche Museumsprojekt? In: Die Zeit, 5. Juni 2019 (https://www.zeit.de/2019/24/nationalgalerie-berlin-museumsprojekt-neubau-finanzierung)
– ders.: Und noch ein paar Milliönchen mehr. Das Museum der Moderne wird zum Finanzloch. In: Die Zeit, 19.9.2019
siehe auch Anmerkungen > hier

5) Jörg Häntzschel, https://www.sueddeutsche.de/kultur/museum-der-moderne-berlin-kosten-groesse-1.4661203 und https://www.sueddeutsche.de/kultur/museum-der-moderne-berlin-1.4681230
> Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz dazu: https://www.preussischer-kulturbesitz.de/meldung/article/2019/10/30/zur-aktuellen-debatte-um-das-museum-des-20-jahrhunderts-am-kulturforum/

6) Swantje Karich: Wir bauen billiger als das New Yorker MoMA. In: Die Welt, 10.11.2019 (https://www.welt.de/kultur/architektur/plus203332956/Museumsstreit-Jacques-Herzog-und-Udo-Kittelmann-stellen-sich-Kritik.html)

7) https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/termine (aufgerufen am 22.11.2019)