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Stilkritik (77) | Nun soll der Museumsneubau am Berliner Kulturforum – Architekten sind Herzog & de Meuron – doch sehr, sehr viel teurer als angekündigt werden. Genauer 450 oder vielleicht 600 Millionen Euro statt 200 Millionen Euro. Unfassbar, dass unter Leitung von Monika Grütters jetzt einfach der Spatenstich erfolgen soll, damit in Berlin die Förderung durch den Bund und private Sammlungen (angeblich) nicht durch die Lappen gehen.

Das Kulturforum mit rot markiertem Bauplatz des Museums der Moderne (www.kulturforum-berlin.de, Foto: Philip Eder 2014)

November 2016: Die Entscheidung des Wettbewerbs zum Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum fällt, und alle hegen Zweifel, dass der mit dem ersten Preis ausgezeichnete Entwurf nicht für die 2014 in Aussicht gestellten 200 Millionen Euro gebaut werden kann (siehe Beiträge in der Seitenspalte). Nachbesserungen des Entwurfs standen an, Jacques Herzog führte jetzt, 2019, „Klimatisierung“ und „Schutz der Räume“ an, was eigentlich keine neuen Museumsfragen betrifft. Zudem war der Abstand der geplanten „Kunstscheune“ zur Sankt-Matthäus-Kirche zu vergrößern; damit die geforderten Flächendimensionen dennoch eingehalten werden können, musste in die Tiefe geplant werden. Das wird, wie jeder vom Bau weiß, überdurchschnittlich viel teurer. Staatsministerin Monika Grütters vermeldete dem Bundestags-Haushaltsausschuss jetzt Baukosten in Höhe von 364 Millionen Euro, zudem 52 Millionen voraussehbare Kostensteigerungen und 34 Millionen „Risikopuffer“. Reichlich Kritik am Projekt war ohnehin von Anfang an geübt worden, weil unter anderem stadträumlich nichts am Kulturforum verbessert werde und die Wirkung der herausragenden Nachbarbauten (Mies van der Rohes Nationalgalerie und Hans Scharouns Philharmonie) stark beeinträchtigt werden würden.

Visualisierung des Museumsentwurfs (Bild: Herzog & de Meuron)

Visualisierung des Museumsentwurfs (Bild: Herzog & de Meuron)

Warum so eilig, Frau Grütters?

Es folgte – wie leider allzuoft – eine Misere, die sich PolitikerInnen zu Recht vorwerfen lassen müssen. In das geplante Museum der Moderne sollen private Sammlungen – der Sammler Marx, Pietzsch und Marzona – und Werke lebender Künstler – zum Beispiel Gerhard Richter – integriert werden. Sammler und Künstler knüpfen ihre „Spenden“ vertraglich an Museumsneubauten, was nicht neu, aber deswegen nicht weniger unproblematisch ist. Nun ging Niklas Maak jedoch der Aussage Grütters‘ nach, man müsse jetzt bauen, sonst verliere man die Sammler. Und er konnte dies entkräften: „Wie auch Egidio Marzona wären Erich und Axel Marx bereit, noch einmal grundlegend darüber zu sprechen, was man eigentlich will und wie viel es kosten sollte, muss und darf. Mit dem Statement der Familie Marx ist klar, dass man einen eiligen Spatenstich in diesem Jahr nicht mit der Angst rechtfertigen kann, dass sonst die Sammler ihre Sammlungen abziehen. Monika Grütters wird erklären müssen, warum dann trotzdem so hektisch losgebaut werden muss: Will man ein Großkunstwerk von Herzog de Meuron, egal was es kostet? Oder will Grütters die Eröffnung noch als Kulturministerin erleben? Warum die fatale Eile?“.1

Haupteingang, Blick auf den Scharounplatz von der Freitrappe aus (Bild: Herzog & de Meuron)

Haupteingang, Blick auf den Scharounplatz von der Freitreppe aus (Bild: Herzog & de Meuron)

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte bis Ende März diesen Jahres noch um den Vorsitz des Berliner CDU-Landesverbandes gekämpft – eine merkwürdige Amtsverknüpfung, denn wer glaubwürdig für Berlin kämpft, kann dies nicht gleichzeitig für die Republik tun. Der Staatsministerin, die sich im Rest der Republik ohnehin selten engagiert, liegt offenbar viel an diesem Museum. Mit einer verantwortungsbewussten Staatskulturpolitik hat es allerdings nicht zu tun, in Eile den ersten Spatenstich zu vollziehen, damit bloß ja niemand auf die Idee kommt, innezuhalten und ein paar vernünftige Überlegungen zu berücksichtigen.2 Nicht nur, dass sie überstürzt mit dem Bau beginnen möchte. Die zusätzlichen 250 bis 400 Millionen Euro, die anfallen können und werden, werden an anderer Stelle im Bundeskulturhaushalt fehlen.

Katasterplan 2004, Grundlage für den damaligen Workshop zur Gestaltung des Kulturforums; die Potsdamer Straße zerschneidet den öffentlichen Raum in verheerender Wirkung. (Bild: Stadtentwicklung Berlin)

Katasterplan 2004, Grundlage für den damaligen Workshop zur Gestaltung des Kulturforums; die Potsdamer Straße zerschneidet den öffentlichen Raum in verheerender Wirkung. (Bild: Stadtentwicklung Berlin)

Rettung für das Kulturforum

Zurück zum Museum, genauer: zum Stadtraum. Das beengte Grundstück zwischen Nationalgalerie und Philharmonie und vor allem der Potsdamer Straße eignet sich in der derzeitigen Fassung einfach nicht für den Neubau des Museums. Denn man weiß, dass binnen weniger Jahre die Innenstädte verkehrsmäßig entlastet und zum Beispiel die elende Potsdamer Straße stark beschränkt beziehungsweise beruhigt werden und damit eine ganz andere Gestaltung des öffentlichen Raums erreicht werden könnte. Dieses grand projet der Verkehrsplanung ungefähr gleichzeitig mit den grands projets Museumsneubau, der Sanierung der Nationalgalerie und der Sanierung der Staatsbibliothek (gmp) anfallen zu lassen, ist planungsstrategischer schlichtweg Unsinn.3 Niemand bezweifelt, dass die Bestände à la longue adäquat untergebracht und gezeigt werden müssen. Aber mit der Museumsinsel hat Berlin just hinreichende Attraktionen – es ist Zeit genug, um mit einer neuen Gesamtkonzeption am Kulturforum die Eingangssituationen aller wichtiger Kulturbauten, den Reiz der Freiflächen, die Ideen zu neuen Mobilität mit unglaublichen Möglichkeiten freiwerdender Flächen zu berücksichtigen. Und tatsächlich statt eines Solitärsammelsuriums ein schlüssiges „Kulturforum“ zu schaffen, zumal gmp die Staatsbibliothek sanieren werden, die Musikhäuser in den Zugängen verbesserbar sind. Davon hätten auch die Sammler und Künstler mehr als vom Murks einer liebedienerischen, selbstgefälligen, übereilten Bauerei.
Gewiss, es hat bereits zahlreiche Masterpläne für das „Kulturforum“ gegeben – siehe dazu die Informationen der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen. Aber derzeit ändern sich stadtplanerischen Prämissen derart radikal, dass eine neue Konzeption angebracht ist. Handelt die Staatsministerin nun wider besseres Wissen? Zum Projektbeginn niedrige Kosten in Umlauf bringen, dann etwas „nachlegen“, anschließend schnell den Baubeginn als point of no return feiern und sich zum Schluss fehlendes Geld aus der Steuerkasse geben lassen: Das kennt man, und offenbar hat in Berlin niemand etwas daraus gelernt.


 

Niklas Maak: Einfach drauflosbauen ist auch keine Lösung. In: F.A.Z., 16.9.2019 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/beim-berliner-museum-der-moderne-explodieren-die-kosten-16386003.html)
– ders.: Ihr habt mehr Zeit für das Museum der Moderne! In: F.A.Z., 22.9.2019 (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/die-sammlung-marx-gibt-dem-museum-der-moderne-mehr-zeit-16396217.html)

siehe dazu auch
– Ulrich Paul: Ist es das wert? In: Berliner Zeitung, 18.9.2019
(https://www.berliner-zeitung.de/berlin/ist-es-das-wert—museum-der-moderne-in-berlin-wird-doppelt-so-teuer-wie-geplant-33181546)
– Bernhard Schulz: Frage nach Kostensteigerung bleibt unbeantwortet. In: Der Tagesspiegel, 17.9.2019
(https://www.tagesspiegel.de/kultur/museum-der-moderne-frage-nach-kostensteigerung-bleibt-unbeantwortet/25024668.html)
– Hanno Rauterberg: Und noch ein paar Milliönchen mehr. Das Museum der Moderne wird zum Finanzloch. In: Die Zeit, 19.9.2019

Zum Standort Sigismundstraße siehe Nikolaus Bernau: Der Bau sollte gestoppt werden. In: Berliner Zeitung, 20.9.2019 (https://www.berliner-zeitung.de/politik/meinung/kommentar-zum-museum-der-moderne-der-bau–sollte-gestoppt-werden–33198412)