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Perfektion – drauf oder dran?

Marktgeschrei (3): Perfektion im Detail zeichnet derzeit meisterhafte Architektur aus. Die Wohn-Zeitschriften setzen damit den Bauherr(inn)en derzeit keine Flöhe ins Ohr, sondern wecken die Begehrlichkeit übers Auge. Und so nimmt man es jetzt immer genauer, wenn man sich zu den ambitionierten Architekt(inn)en rechnet und einen solventen Bauherrn hat. Zusammen mit der Industrie werden Details entwickelt, als wollte man Apparate bauen und keine Häuser.


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Kippschalter, flächenbündig in Holz eingebaut (Bild: Bowa ABL)

„Flächen. Bündig.“ – lautet der knappe Anzeigentext. Das Foto zeigt einen Lichtschalter, der mit Uhrmacherpräzision in ein Holzpaneel eingesetzt ist. Der Rahmen um die Wippe schließt eben mit der Oberfläche ab, dazwischen bleibt messerscharf ein gleichmäßiger Spalt. Das sieht gut aus. Auf der Baustelle mit Gipskarton oder Einputzadapter führt das sicher nicht zu Ergebnissen, die man als Nahaufnahme zeigen möchte.

Diese Detailsuche ist nicht ganz neu. Als Richard Meier in Frankfurt das Museum für Kunsthandwerk plante, hat er die Ränder der Aussparungen für die Deckenleuchten um Blechstärke ausfräsen lassen, damit die Abdeckrahmen nicht auftragen. Manche Kollegen hielten das für eine Grille, andere beeilten sich, die Entdeckung als neuen Standard zu übernehmen. Seither befinden wir uns in einem Diskurs der Glätte. Was bisher zu den Regeln des Handwerks gehörte, nämlich mit Toleranzen zu arbeiten, Material- und Dimensionswechsel durch Fugen vorzubereiten oder mit Profilen, Leisten, Rahmen zu kaschieren, wird nun mit präzisen Anschlüssen erledigt. Wie beim Klettern der Verzicht auf das Seil verlangt beim Bauen das unbefangene Zusammentreffen verschiedener Aufgaben und Gewerke eine irreversible Genauigkeit: Es gibt nur einen Versuch! Die Freeclimber sind unter uns. Türen, Fenster, Leuchten, Beschläge – welcher Hersteller hat noch nichts im Programm, das seine Zugehörigkeit zur Meisterklasse beweist?

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Glatt in die Wand gesetzt – für Türeneinbau kein Problem mehr? (Bild: Türenwechsel)

Wer sich einmal dem fugenlosen, flächenbündigen Bekenntnis verschrieben hat, weiß, was ein „minimalistisches Design“ für die Werkplanung bedeutet. Allein eine stumpf anschlagende Tür: eingeputzte Zargen und Fußleisten, versenkte Bänder, magnetische Schlossfallen, eingeklebte Rosetten… Nun sind alle Gewerke gefragt, die Maurer, Schlosser, Schreiner, Trockenbauer, Gipser, Maler, Elektriker. Und es muss jemanden geben, der detailliert und den Überblick behält: den Architekten! Die neue Prächtigkeit verlangt professionelle Talente, keine Heimwerker. Ist das die „Verfeinerung“, von der Hans Kollhoff spricht? Sicher nicht.

Architektur verliert damit ihre Anschaulichkeit, weil das mit Aufwand erreichte Ergebnis so einfach aussieht, wie es sich der Laie vorstellt, ihn jedoch gleichzeitig von jeder Mitwirkung ausschließt. Er besitzt ja nicht mal das Werkzeug, um etwas zu reparieren. Es kann sein, dass sich die Standards nach unten verschieben, so wie bei den Autos, wo selbst ein zweitüriger Kleinwagen nicht mehr ohne Zentralverriegelung auskommt.

Vielleicht ist das Arbeiten mit Operationsbesteck die Antwort auf die dekonstruktivistische Sperrigkeit. Oder es kommt wieder aus der Mode. So wie innenliegende Dachrinnen und Fallrohre, als die Bauschäden überhand nahmen.