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Bild (Hintergrund): Wikimediacommons, Petra Klawikowski

Wiedergelesen: Stadtentwicklung bei zunehmender Bodenknappheit (1993)


Die aktuelle Wohnungsnot ist das beherrschende Thema der aktuellen Stadtplanungsdebatte. Es rächt sich nun, dass verpasst wurde, politisch die Weichen zu stellen, um auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet zu sein. Dabei gab es ausreichend Hinweise auf das, was hätte getan werden müssen. Das zeigt ein Buch von 1993. Wenig von dem, was damals eine Expertenkommission vorgeschlagen hatte, ist in die Wege geleitet worden. Manches hat sich gar verschlechtert.


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Immer mehr Baugebiete wurden seit 1993 ausgewiesen. Die aktuelle Wohnungsnot konnte das nicht verhindern. Was lief falsch? (Bild: pixabay.com)

Oft wird in den aktuellen Diskussionen betont, man wolle die Fehler der 1960er und 1970er nicht wieder begehen. Diese Position bezieht sich auf die Formen des Städtebaus, den großmaßstäblichen Siedlungsbau. Dabei wird aber übersehen, dass wesentliche Versäumnisse aus der Zeit nach 1990 stammen. Damals wurde es verpasst, die Voraussetzungen für andere Strukturen zu legen. Das zeigt sich bei der Lektüre eines Buches, das 1993 veröffentlicht wurde – und das erschreckend aktuell geblieben ist. Wäre da nicht der Hinweis auf den zeitlichen Kontext, man könnte sich die Einleitung von damals auch in einer aktuellen Publikation vorstellen: „Seit dem Ende der achtziger Jahre wird in der Bundesrepublik Deutschland wieder heftig über das Thema Wohnungsnot diskutiert. Die Nachfrage nach Wohnungen ist in einem Ausmaß gestiegen, mit dem die Entwicklung des Wohnungsmarkts nicht Schritt halten konnte.“ Unter dem etwas spröden und holprigen Titel „Stadtentwicklung bei zunehmender Bodenknappheit“ legte die Wüstenrot Stiftung ein Buch vor, das die Arbeit einer unabhängige Kommission zusammenfasst. Sie war 1991 gebildet worden. Deren zwanzig Mitglieder setzen sich mit dem Thema „Stadtentwicklung und Baulandbedarf“ auseinander, in die Kommission waren Vertreter der Universitäten, des Ifo-Instituts, der Wohnbaugesellschaften, der Gemeinden, des Bundes, Planer, ein Unternehmensberater und ein Vertreter der Daimler Benz AG berufen worden.

Information zum Buch >>>
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Auch das gehört zur Problematik: eingeschossige Gewerbehallen. (Bild: Christian Holl)

Die zentrale Frage: Wie wird Bodennutzung gesteuert?

Anders als es der oben zitierte Satz suggerieren könnte, ist das Thema des Buches also nicht allein der Wohnungsmarkt, sondern die Verschränkung von Gewerbe, Verkehr, Wohnen, vor allem unter ökologischen Fragestellungen wie Flächeninanspruchnahme und Energieverbrauch: Es wurde nicht gefragt, auf welche Weise viele neue Wohnungen schnell gebaut werden könnten, sondern wie die Bodennutzung gesteuert wird, wie sie besser gesteuert werden könnte – das, so könnte ein erstes Fazit lauten, ist eine Qualität, die in der aktuellen Diskussion meist fehlt. Denn auch das, was 1993 zu lesen war, könnte man heute wohl ähnlich formulieren: „Trotz hoher Komplexität des gegenwärtigen Steuerungssystems bleiben die Steuerungsergebnisse unbefriedigend.“ Ähnlich aktuell geblieben ist die These, dass die Bedeutung des Bestandsmanagements unterschätzt wird. Und auch die Fragen nach Verkehrs- und Gewerbeflächen sind relevanter denn je: die Pendlerströme nehmen zu, flächenintensives Gewerbe in eingeschossigen Hallen unterzubringen ist noch immer problematischer Usus. Und in einem weiteren Punkt drückte die Kommission einen Sachverhalt präzise aus, der genauso die aktuelle Lage charakterisiert: „Mit Strategien des Bevölkerungswachstums sind derzeit in den wohlhabenden Randgemeinden prosperierender Großstädte kaum politische Mehrheiten zu gewinnen. Die Bereitschaft, expansiv auf eine steigende Bodennachfrage zu reagieren, ist dort am geringsten, wo der Entwicklungsdruck am größten ist.“ Die Aufforderung an die Kommunen, mehr Bodenflächen auszuweisen, könne nicht ausreichend sein: „Eine solche Aufforderung wäre angesichts der Interessenlagen in den Umlandgemeinden wirkungslos.“
Es liegt auf der Hand, dass eine tiefgehende Analyse dieser Art keine einfachen Rezepte lieferte – wer hofft, sie heute angesichts der in so vielen Aspekten vergleichbaren Lage in diesem Buch zu finden, wird enttäuscht werden; auch sind die Empfehlungen keine im Detail ausgearbeitete Handlungsanweisung, sie werden als „Grobskizze“ bezeichnet, die in eine langfristige Strategie hätte münden sollen. Ob ihre Vorschläge auch politische Akzeptanz finden würde, konnte die Kommission freilich nicht wissen, sie schien sich darin trotz allen Augenmaßes, um das sie sich bemühte, skeptisch zu sein.
Denn sie wollte auch keine einfachen Antworten liefern. Das aber genau macht die Qualität der Publikation aus. Das Gremium forderte ein vernetztes Denken, das Mobilität, Gewerbe und Wohnen zusammensieht. Es forderte eine Sichtweise auf Verkehrspolitik, die sich vom starren Modal-Split-Denken löst und öffentlichen mit individuellem Verkehr kombiniert, anstatt auf ein Entweder-Oder zu zielen. Es forderte eine politische Steuerung, die sensibel dafür bleibt, wie sich Änderungen sozial auswirken. Mengenrationierungen (etwa was die Ausweisung von Bauland angeht) wurden abgelehnt, wenn sie nicht mit anderen Instrumenten kombiniert werden: denn sonst führten sie nur zu Verknappungen, die die Schwachen am härtesten träfen.

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Bestandsmanagement ist mühsam. Hätte man 1993 schon damit angefangen, wäre man heute wesentlich weiter. (Bild: Maren Harnack)

Eine neue Politik

Wichtig war in allen Fällen das Prinzip der genauen Kostenzurechnung, die Gewinne und Belastungen besser austariert. Ein Beispiel dafür ist die vorgeschlagene Änderung der Grundsteuer. Es wurde vorgeschlagen, sie an den Verkehrswert des Bodens zu koppeln und den Wert des Gebäudes mit einzubeziehen, um zu verhindern, dass Boden spekulativ gehortet wird. Denn eine reine Bodenwertsteuer wäre, auch wenn der gewünschte Steuerungseffekt höher wäre, eine große Belastung für viele Alteigentümer und könnte gravierende Umverteilungswirkungen entfalten.
Ein Thema, dem ebenfalls eine hohe Bedeutung eingeräumt wird, ist das Bestandsmanagement – viel sei zu gewinnen, wenn man den Bestand besser nutze und sich nicht allein auf den Neubau verlasse, zumal dies auch ökologischer Hinsicht sinnvoll sei. Der Schutz des Eigentums, der einem solchen Management Grenzen setzen könnte, wurde mit einem entscheidenden Hinweis relativiert: Es wird zurecht darauf verwiesen, dass ein Missverhältnis zwischen den Regeln und den Einschränkungen für den Neubau und denen, die die Nutzung des Bestands regele, bestehe. Richtig. All dies gilt genauso heute.
Selbstverständlich sind nicht alle Themen, die heute eine Rolle spielen, im Buch angesprochen. Fragen nach architektonischer oder städtebaulicher Qualität sind allenfalls gestreift. Weichere Faktoren, wie die nach dem Selbstbild der Kommunen, nach einem Verständnis von Stadtregion, das Landschaft, Verkehr, Gewerbe, Wohngebiete und als Einheit versteht, sind ebenfalls kaum aufgegriffen. Aber man bedenke: Thomas Sieverts hatte „Zwischenstadt“ noch nicht geschrieben. Was heute selbstverständlich scheint, musste erst noch erarbeitet werden. Überraschender vielleicht ist, dass die politische Dimension einer regionalen Steuerung, eines regionalen Ausgleichs von Lasten und die Potenziale einer regionalen, auf Kooperation gerichteten politischen Institution, kaum behandelt wurden. Auch auf diesem Gebiet sind in den letzten Jahren nur wenig Fortschritte erzielt werden. Der Regionalverband Frankfurt Rhein-Main beispielsweise ist sogar eine Verschlechterung, denn gegenüber seiner Vorgängerinstitution baut er rein auf Freiwilligkeit auf und hat keinerlei exekutiven Rechte.
Gewarnt wurde 1993 eindringlich davor, darauf zu setzen, dass sich die Probleme von alleine lösen, dass die Phase des kräftigen Wachstums in wenigen Jahren auslaufen werde, dass die Bevölkerung schrumpfen werde. Denn Deutschland sei, so wurde betont,  ein Einwanderungsland – noch 24 Jahre später ist das keine unbestrittene Einsicht. Die Warnungen wurden überhört – die derzeitige Lage führt dies deutlich sichtbar vor Augen.

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Die Bundesstiftung widmet sich der Frage, wie umgesteuert werden kann, am 29. Juni

Es ging 1993 um eine komplexe politische Frage, um nicht weniger als „um eine neue Politik“, wie es einmal heißt. Das war mit dem Hinweis verbunden, dass eine solche neue Politik auf lange Sicht angelegt sein muss und dass sie mit Übergangsphasen so gestaltet werden müsse, dass soziale Härten vermieden und die Wirkungen abgefedert werden können. Dass all dies bereits 1993 formuliert wurde und keine Berücksichtigung fand, stimmt wenig optimistisch: Wenn es damals nicht aufgegriffen wurde, warum sollte es dann heute getan werden? Vielleicht, weil wir gelernt haben könnten, dass die formalen Diskussionen im Städtebau uns nicht weitergeholfen haben, dass sie kein Ersatz für eine steuernde Politik sein können, und dass es nicht hilft, auf Zersiedlung oder Einfamilienhäuser zu schimpfen und den Blockrand zu loben, solange es keine politischen Konzepte gegen den Flächenverbrauch von immer noch  70 Hektar am Tag gibt und es statt dessen kleinen Gemeinden nur einfacher gemacht wurde, Neubaugebiete auszuweisen. (Weitere Information dazu >>>). Vielleicht hilft ja die Einsicht, dass man mehr als zwanzig Jahre verschenkt hat. Diese Einsicht muss man aber erst teilen. Noch scheint es nicht so weit zu sein.


Weitere Information zur Veranstaltung der Bundesstiftung Baukultur >>>