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Romantik der Linie

2437_CDF_AlbertinumArchitekturdarstellung vor Erfindung der Fotografie: Das Zusammenwirken von Gebautem und natürlich Gegebenem, von architekturähnlichen Felsen und Lichtwirkungen aller Art ist die Grundlage eines heute gerühmten und gefeierten Werks. Drei Ausstellungen in Dresden huldigen Caspar David Friedrich.

Caspar David Friedrich: Das große Gehege bei Dresden, 1832 (c Albertinum | GNM, Staalliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut)

Wie soll man angemessen beginnen, wenn man dem eigenständigen Kosmos von Caspar David Friedrich (1774-1840) gegenübersteht? „Wie alles begann“ lautet der selbstbewusste Titel der nach Hamburg und Berlin dritten großen Ausstellung, die zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag sein Werk und Wirken vorstellt. Wie alles begann, das ließe sich eigentlich am besten in Friedrichs Geburtsstadt Greifswald erfahren, wo ein ganzjähriger Ausstellungsjubel abgehalten wird.

Caspar David Friedrich: Wiesen bei Greifswald, 1821/22 (© Hamburger Kunsthalle/ bpk, Foto: Elke Walford)

Caspar David Friedrich: Wiesen bei Greifswald, 1821/22 (© Hamburger Kunsthalle/ bpk, Foto: Elke Walford)

Von dort stammen auch etliche der Motive des deutschen Romantikers, die Klosterruine Eldena, das Wiesenbild bei Greifswald mit seinen Kirchtürmen, dazu die Fischer, die Schiffe und das Meer. So anmaßend der Titel der Dresdner Ausstellung zunächst erscheinen mag, er stimmt ja. Erst in Dresden, wohin es Friedrich 1798 zog, wurde der Zeichner zum Maler. Famos und fulminant ist die lange Reihe einer Petersburger Hängung im Albertinum von Werken der Akademieausstellungen aus der Zeit Friedrichs, die zugleich Friedrichs Sonderstellung in seiner Epoche dokumentieren. Famos und fulminant sind auch die Kabinette, in denen sich zu Themengruppen wie Politik, Friedhöfen, Farbe, Luft oder Bäumen etliches zu Friedrich sehen und lernen lässt und die ihren Abschluss in der atemberaubenden Inszenierung des Tetschener Altars findet. Schwarz umhüllt, wie Friedrich es in seinem Atelier machte, beginnen die Sonnenstrahlen um das Kreuz im Gebirge noch kräftiger, noch eindringlicher zu leuchten, als sie es sonst schon in der ständigen Sammlung in Dresden tun. Nicht weniger famos und fulminant ist zudem der konzeptionelle Ansatz der Ausstellung, jene Vorbilder einzubeziehen, mit denen sich Friedrich in der Gemäldegalerie der Alten Meister auseinandersetzte, mit Jacob von Ruysdaels Bäumen, mit Claude Lorraines poetischem Kolorit oder mit Gerard ter Borchs weiblichen Rückenansichten. Friedrich schaute genau hin. Auf andere Gemälde und auf die Natur.

Von der wunderbaren Ausstellung der Gemälde im Albertinum schleichen wir uns leise fort, einmal quer durch das touristentosende Rekonstruktionsdresden, um ins Kupferstichkabinett im Schloss zu gelangen. Husch, vorbei an der Eingangsspielerei, mit der die Besucher digital in ein Caspar-David-Friedrich-Motiv gebeamt werden. Wer‘s braucht.

Caspar Davir Friedrich: Blick aus dem Kapitelsaal der Klosterruine Heilig Kreuz bei Meien, um 1824 (© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett)

Caspar Davir Friedrich: Blick aus dem Kapitelsaal der Klosterruine Heilig Kreuz bei Meißen, um 1824 (© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett)

Dann sind wir wirklich dort, wo alles begann. Denn in Friedrichs Zeichnungen ist so vieles, ach, eigentlich ja alles von dem bereits angelegt, was (den späteren) Friedrich ausmacht. Hinter einem Vorhang betritt man – bitte einzeln eintreten – eine kleine, fast klösterliche Zelle, in der das jüngst in Kooperation der Sammlungen von Dresden, Berlin und Weimar glücklich erworbene Karlsruher Skizzenbuch präsentiert wird. Die andächtige Inszenierung stimmt auf die Haltung ein, mit der man durch die gesamte Ausstellung des Kupferstichkabinetts gehen sollte. So ruhig und aufmerksam, wie Friedrich jede Linie auf seinen Blättern gezeichnet hat. Denn jede einzelne seiner Linien ist es wert, von Herzen und genau betrachtet zu werden. In strengen Quadraturen teilt er sein Zeichenblatt auf, schafft Ordnung und Orientierung, um dann mit einem lockeren Strich den Verlauf der Küste zu zeichnen, ein Boot am Ufer, die Granitbrocken am Strand und die Bucht, die sich zum Horizont hin weitet. Diesen Blicken über die Landschaft zu folgen, hilft, selbst sehen zu lernen, das Land, den Raum, die Linien. Das so entstandene Inventar seiner Skizzen ließ Friedrich in den folgenden Jahren immer wieder neu und in immer neuen Kombinationen in seine Arbeiten einfließen. Gewiss ist es eine interessante Beschäftigung, diesen oder jenen Baum an diesem oder jenem Ort zu identifizieren, den Friedrich gesehen und gezeichnet haben mag. Ob man dem Zeichner Friedrich damit wirklich näherkommt? Ich denke nicht, denn erst in seinem Kopf bildet sich mit der Zeit jener ungeheure Kosmos aus, der uns in seinem Werk gegenübertritt. Dieses Werk ist von einer überwältigenden Schönheit, an der auch die zig-tausendfach gesehenen Reproduktionen nichts ändern, und es ist von einer überwältigenden Vielschichtigkeit.

Vorreiter der Moderne?

Gemeinhin wird Friedrich als einer der Vorreiter der Moderne interpretiert. Je tiefer man in die Details seiner Arbeiten einsteigt, desto deutlicher wird, dass dort die Abstraktion neben dem Abbild wohnte, die Melancholie neben der Lust, die Phantasie neben dem Konkreten, das Prinzipielle neben dem Poetischen, die Schärfe neben der Unschärfe. Vielleicht aber wohnt nicht nur die Moderne bereits in seinem Werk, sondern schon die Postmoderne, so frei wie er sich aus dem Kosmos der Kunst und der Natur bedient, um sie auf ganz eigenständige Weise immer wieder frisch zu kombinieren. Um 1824 skizzierte Friedrich den „Eingang im Kloster Meißen“. Aus dem Halbdunkel streift der Blick ins Helle, wandert durch eine Pforte, die schraffierten Steine von Mauer und Gewände gewinnen Textur, zeigen eine Unmittelbarkeit, als hätte man damals selbst vor Ort gestanden. Und dann sind da noch die Spuren von Aquarellfarben am Rand des Blattes. Hingehuscht, dass man meint, ein lächelnder Cy Towmbly habe 150 Jahre später das Blatt einmal gesehen. Auf einmal ist alles anwesend in dieser Zeichnung. Der Ort, das Denkmal, die Geschichte und die Gegenwart. In dem Friedrich seine Gegenwart abbildete, sie durchdringt, formte er ein Stück Zukunft. Sein Sehen lenkt den Blick und es formt die Wahrnehmung. Erst beim Zeichen scheint ihm Welt zur Wirklichkeit geworden zu sein, denn er wolle sich „mit Wolken und Felsen verbinden“, wie er es selbst formulierte. Man kann Friedrichs Wanderungen auf Rügen oder im Elbsandsteingebirge folgen. Die Dresdner Zeichnungsausstellung aber bietet bis November die köstliche Gelegenheit, entlang der Linien seiner Zeichnungen zu wandern. Vermutlich ist das der angemessene Beginn, wenn man dem eigenständigen Kosmos von Caspar David Friedrich gegenübersteht.


Caspar David Friedrich – Der Zeichner, bis 17. November 2024
https://shop.skd.museum/sonderausstellung-cdf-der-zeichner.html?

Caspar David Friedrich – Wo alles Begann, bis 5. Januar 2025
https://albertinum.skd.museum/ausstellungen/caspar-david-friedrich-wo-alles-begann/

Das Caspar David Friedrich Jahr in Greifswald 2024
https://www.pommersches-landesmuseum.de/ausstellungen/caspar-david-friedrich-2024