Die Architekturgalerie am Weißenhof in Stuttgart zeigt ab dem 17. Oktober die Ausstellung „Und jetzt – Akute Positionen junger Büros zu Architektur und Planung“. (Vernissaga am 16. Oktober) In einer Interview-Serie werden hier die Protagonisten der Ausstellung vorgestellt. Teil 5: INTO STORIES
Der Weg in die Selbstständigkeit birgt Risiken – aber auch die große Chance, Arbeitsbedingungen zumindest ein Stück weit selbst zu gestalten. Welche Spielräume bieten sich, wie kann man sie nutzen? Und warum hat die Art, wie man das Berufsumfeld gestaltet, auch etwas mit dem Gestalten von Architektur zu tun?
Ein Gespräch mit Romina Falk und Sophia Frommel über selbstbestimmtes Arbeiten, die Bedeutung der Kommunikation und die Dinge, die das Arbeiten unnötig kompliziert machen.
Warum habt ihr euch selbstständig gemacht?
Romina Falk: Ein großer Teil unseres Lebens besteht aus Arbeit. Unser Wunsch war es, unsere Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld selbst zu gestalten. Durch die Selbstständigkeit können wir entscheiden, wie wir miteinander arbeiten und für wen wir arbeiten, auch, wie viel wir arbeiten. In der Anstellung konnten wir diese Entscheidungen nicht selbst treffen, zum Beispiel wurde oft wie selbstverständlich vorausgesetzt, Überstunden zu leisten.
Sophia Frommel: Schon in der Uni wird man ja auf eine gewisse Weise darauf vorbereitet, dass Überstunden und Selbstausbeutung zum Beruf gehören werden. So entstehen dann Formate wie ein Nachtschichtentwurf – es wird erwartet, dass jeder und jede auch mal 24 Stunden durcharbeiten kann. Oder man bekommt in einer Kritik am Tag vor der Präsentation noch jede Menge Änderungen mitgegeben. Es ist 19 Uhr und die Präsentation ist um 10 Uhr am nächsten Morgen, da ist ja klar, was passieren soll.
Und welche Konsequenzen habt ihr daraus für euch gezogen?
Romina Falk: Wir haben zu Beginn sehr viel miteinander darüber gesprochen, was unsere gemeinsamen Werte sind und wie wir arbeiten wollen. Dabei haben wir vorab auch die Fälle durchgespielt, über die man sonst nicht unbedingt redet: Schwangerschaft, Kinder, aber auch Krankheit und Tod – und wir haben in unserem Gesellschaftsvertrag festgehalten, wie wir dann jeweils damit umgehen wollen. Es spricht sich leichter darüber, wenn der Druck nicht konkret besteht. Wir haben auch festgelegt, wie wir es regeln, wenn jemand das Team verlassen will – gegründet haben wir ja zu dritt mit Konrad Wolf. Wir haben diese Themen ausgiebig besprochen und für jeden Punkt einen Konsens gefunden. Als Konrad dann im letzten Jahr leider unser Büro verlassen hat, haben wir den Vertrag zum Glück nicht gebraucht, sondern alles ganz unkompliziert und freundschaftlich miteinander geklärt.
Glück und Kaltakquise
Wie habt ihr euch gefunden, wie seid ihr in den Beruf gestartet?
Sophia Frommel: Für die Bürogründung gab es keinen konkreten Anlass, keine Eltern, deren Architekturbüro wir hätten übernehmen können, keinen Auftrag, keinen Wettbewerbsgewinn. Wir hatten eigentlich nur die Intention, selbstständig sein zu wollen. Wir kannten uns aus dem Studium und haben irgendwann festgestellt, dass wir uns gut vorstellen könnten, miteinander zu arbeiten. Ganz genau wissen wir auch nicht mehr, wie es dazu kam, aber irgendwann stand fest: Am 1. April 2020 gründen wir unser Büro.
Romina Falk: Das fiel dann genau in den ersten Lockdown. So hatten wir uns das zwar nicht vorgestellt, aber im Nachhinein hatte es auch seine guten Seiten – wir haben die Zeit genutzt, um uns unternehmerisches Wissen anzueignen und unsere Bürostruktur vorzubereiten.
Das klingt nach einem entspannten Start. Wie seid ihr dann an Aufträge gekommen?
Romina Falk: Zum einen bekamen wir immer mal über die Büros, in denen wir vorher gearbeitet haben, Anfragen für Projekte, die denen zu klein waren, weitergereicht. Oder wir wurden von Freunden und Bekannten weiterempfohlen.
Sophia Frommel: Am Anfang haben wir auch viel Kaltakquise betrieben. Gerade als wir noch gar keine Projekte hatten, haben wir gezielt Personen oder auch Institutionen angeschrieben, für die wir gerne arbeiten würden. So sind wir dann auch tatsächlich an Projekte gekommen, beispielsweise den Auftrag für eine Schulmensa, die Umgestaltung der Büroräume der Lehrer:innengewerkschaft, eine Fassaden- und Treppenhaussanierung für eine gemeinnützige Stadtentwicklungsgesellschaft oder die Gestaltung eines Eisladens. Leider sind die meisten dieser Projekte nicht zur Ausführung gekommen.
Und Wettbewerbe?
Sophia Frommel: Wir nehmen eher selten an Wettbewerben teil, ein Grund dafür ist, dass wir meist gar nicht die Anforderungen der Ausschreibungen erfüllen. Die ganz offenen Wettbewerbe, an denen dann um die 200 Büros teilnehmen, stellen vielleicht die interessanteren Aufgaben, aber die Chancen auf einen Erfolg sind so klein, dass man sich schon fragen muss, ob man sich leisten kann und will, daran teilzunehmen. Aber es gibt auch immer wieder Ausschreibungen, in denen gezielt kleine Büros einen Anteil unter den Teilnehmenden ausmachen sollen. Hier hatten wir mehrmals Losglück, dann sind die Chancen natürlich auch viel größer, unter den Platzierungen zu landen. Das ist uns zum Beispiel bei einem Wettbewerb in Egloffstein gelungen.
Wie ist das denn nun mit der Finanzierung und der Selbstausbeutung im eigenen Büro?
Romina Falk: Insgesamt ist es natürlich schon so, dass man für das eigene Büro viel lieber mal etwas länger arbeitet als in Anstellung. Uns war schon am Anfang klar, dass wir direkt zu 100 Prozent selbstständig sein wollen und nicht noch in Teilzeit-Anstellung, um die Gründung ernst zu nehmen und auch den notwendigen finanziellen Druck zu haben. Bei den ersten „schönen“ Projekten war unsere Arbeit zum Teil noch erheblich unterbezahlt. Wir haben diese Projekte zunächst querfinanziert mit anderen, die zwar besser bezahlt, aber nicht aussagekräftig für das eigene Portfolio sind. Später hat Konrad auch mal zeitweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni gearbeitet oder Sophia hat beispielsweise nebenher Grafikjobs angenommen, das Geld ist dabei natürlich immer ins Büro geflossen.
Sophia Frommel: Inzwischen können wir aber von unserer Arbeit als Architektinnen leben und bewegen uns etwa auf dem finanziellen Niveau wie vorher in Anstellung.
Ihr habt gesagt, dass es euch auch wichtig ist, für wen ihr arbeitet. Welche Kriterien legt ihr an?
Romina Falk: Es ist immer eine Frage des Einzelfalls. Uns wurde mit unserer Gründung von einem befreundeten Büro folgendes Prinzip empfohlen, bei dem es um drei Kriterien geht. Erstens: die Auftraggebenden – können wir die Werte und Ansichten teilen, funktioniert die Kommunikation? Zweitens: Das Projekt – ist es interessant und vielleicht auch sinnvoll für unser Portfolio? Drittens: Stimmt das Honorar? Wenn zwei, besser drei Punkte positiv beantwortet werden können, wird der Auftrag grundsätzlich angenommen. Trifft nur ein Punkt die Erwartungen oder keiner, dann wird das Projekt abgelehnt.
Für uns ist das immer wieder ein hilfreiches Tool, aber nicht mehr als das, denn zu Beginn eines Projekts weiß man selbstverständlich weniger als am Ende. Oberstes Kriterium ist deshalb für uns, ob wir uns im ersten Gespräch gut mit den Auftraggebenden verstehen und sie uns sympathisch sind, wir uns vorstellen können, über einen längeren Zeitraum inklusive aller erwartbarer Schwierigkeiten, Verständnis füreinander zu haben und gut miteinander kommunizieren zu können. Wenn das von Anfang an nicht denkbar ist, dann nehmen wir auch ein gut bezahltes, spannendes Projekt nicht an.
Das erste Gespräch
Wie beginnt ihr dann die Aufgabe zu bearbeiten, wie beginnt ihr die Kommunikation mit den Auftraggebenden?
Sophia Frommel: Neben dem Abklopfen der genannten Kriterien versuchen wir in den ersten Gesprächen zu verstehen, was das Thema des Projektes ist, um was es geht. Schön wird es immer dann, wenn es nicht nur um Zimmeranzahl und Quadratmeter geht, sondern beispielsweise um Atmosphären oder konkrete Nutzungsszenarien. Wenn wir uns dann ein bisschen Zeit nehmen zuzuhören, nachzufragen und offen miteinander ins Gespräch gehen, stellt sich auch schnell heraus, welche Freiheiten wir für den Entwurf bekommen. Wenn wir hier ein gutes Verständnis füreinander aufbauen, entwickeln sich die besten Projekte – für uns und für die Auftraggebenden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt AMÜ. Die Größe des Ferienhauses war streng vorgegeben, aber nachdem wir mit den beiden viel darüber gesprochen haben, wie sie das Haus und Grundstück nutzen wollen, wie sie sich einen Tag am See vorstellen, haben sie uns sehr viele Freiheiten in der Umsetzung dieser Ideen gelassen.
Romina Falk: Wichtig sind für uns nicht nur die Auftraggebenden, sondern auch die Nutzer:innen. Ein Beispiel dafür ist ein Dachausbau bei einem voll vermieteten Mehrfamilienhaus in Berlin Friedrichshain. Der Bauherr hat das Haus im Vorkaufsrecht gekauft und sich dabei unter anderem verpflichtet, die Bestandsmieten niedrig zu halten. Die neuen Wohnungen im Dachgeschoss müssen aufgrund der hohen Baukosten wesentlich teurer sein und ein solches Bauvorhaben ist auch eine ziemliche Belastung für die Menschen, die bereits im Haus wohnen.
Wir haben daher vorgeschlagen für alle Bewohner:innen eine Gemeinschaftsdachterrasse zu bauen, so dass auch die Bestandsmieter:innen von diesem Dach etwas haben, auf das sie sich freuen können und nicht nur unter der Baustelle leiden.
Wie kommt ihr von dieser analytischen Phase ins Entwerfen?
Sophia Frommel: Wir haben keine spezielle Architektursprache, die wir verwirklicht sehen wollen. Der Entwurf beginnt meist mit einer Idee, dem eben erwähnten Thema des Projektes, dieses finden wir gemeinsam heraus. Auf der Suche nach einem architektonischen Konzept entwirft oft erstmal jede für sich. Anschließend setzen wir uns zusammen und tauschen uns aus, sammeln Referenzen aus unterschiedlichsten Quellen. Also eine Art Mini-Wettbewerb, aber dabei geht es vor allem darum, dass die ersten Konzepte stringent bleiben, stringenter vielleicht, als wenn man sich sofort zusammensetzt und direkt versucht, einen Kompromiss zu finden. Am Ende verfolgen wir nur das weiter, von dem wir beide überzeugt sind.
Ist dieser Verzicht auf eine formale Sprache auch eine Skepsis gegenüber der Vorstellung, Architekt:innen müssten kreative Persönlichkeiten mit eigener Handschrift sein?
Romina Falk: Wir stellen den klassischen Architekten mit eigener Formensprache nicht generell in Frage, aber wir selbst sehen uns so nicht. Wir haben unser Büro bewusst nicht „Falk, Frommel, Wolf“ genannt, denn wir wollten immer, dass das Büro nicht an unseren Namen hängt, um gleichberechtigt mit anderen wachsen oder schrumpfen zu können. Wir verstehen Architektur nicht in erster Linie als Ausdruck, sondern als eine Chance, im einzelnen Fall mit gestalterischen Mitteln gute Lösungen zu finden.
Sophia Frommel: Wir haben den Eindruck, dass das Denken in Autorenschaft oft ein Hindernis ist, sinnvolle Kooperationen oder Netzwerke aufzubauen. Unsere Vorbilder, Arbeitsweisen betreffend, liegen oft in anderen Berufsfeldern als der Architektur. Ein Bespiel hierfür ist ein Netzwerk junger Architekt:innen, das wir initiiert haben. Vorbild waresn selbstständige Migrationsrechtler:innen, die in der Regel alleine arbeiten und sich über ein Netzwerk gegenseitig unterstützen. Das betrifft nicht nur den Austausch untereinander, sondern das vertrauensvolle Teilen jeglicher Kapazitäten: Wissen und Kontakte, Arbeitskraft, aber auch Verträge und Vorlagen, damit nicht jede bei solchen Aufgaben immer wieder von vorn anfangen muss. Letztlich können ja alle nur gewinnen, im praktischen wie im persönlichen Sinne.
Es ginge auch anders
Ist das nicht eigentlich auch eine Aufgabe der Kammer?
Sophia Frommel: Ja, vielleicht, aber wir stellen fest, dass die Kammer als großer Apparat auch etwas schwerfällig ist. Außerdem geht es hier immer auch um Haftungsfragen, ich schätze, das ist einer der Hauptgründe, warum die Kammern kaum Vorlagen zur Verfügung stellen.
In Fragen der Haftung, aber auch der Normen und Richtlinien könnten die Kammern sehr viel mehr Druck ausüben oder Verantwortung übernehmen, als sie es gerade tun.
Romina Falk: Wir planen derzeit ein paar Projekte in Holz – hier sind wir beispielsweise mit dem Thema Brandschutz konfrontiert. Es gibt eigentlich auch viele Lösungen, aber die sind selten standardisiert, und bis alle Abweichungen, Prüfzeugnisse etc. von sämtlichen Beteiligten genehmigt und freigegeben sind, dauert es sehr lange und verteuert nicht zuletzt auch das Bauen. Das sind Themen, die natürlich junge wie etablierte Büros beschäftigen, aber für jüngere Büros ist das oft eine größere Schwierigkeit, weil sie weniger Erfahrung haben.
Schauen wir zum Schluss nochmal aufs große Ganze. Architektur und das Bauen ist ein wesentlicher Faktor in Bezug auf den Klimawandel, auf unsere Zukunft. Wie kann man das Potenzial nutzen, Architektur zum Gamechanger zu machen?
Sophia Frommel: Ich habe den Eindruck, dass das gesellschaftliche Bewusstsein dafür, dass Architektur einen so großen Einfluss hat, noch fehlt, obwohl die Zahlen zum CO2-Ausstoß und Energie- und Ressourcenverbrauch eigentlich bekannt sind. Als Architektinnen haben wir im Gegensatz zu den meisten Menschen enormen Einfluss, das sollten wir uns sehr bewusst machen, auch in der alltäglichen Arbeit.
Romina Falk: Meine Heimatstadt Ahlen hat ein beeindruckendes, brutalistisches Rathaus aus den 70er-Jahren. Das wird derzeit abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Dafür war ein Wettbewerb ausgelobt worden – die Option, den Bestand zu erhalten gab es darin nicht, denn vorab gab es zwar eine Debatte in Bezug auf Denkmalschutzstatus und sogar einen Bürgerentscheid. Der wurde dann aber knapp zugunsten des Neubaus entschieden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass mehr kommuniziert werden muss, welche gravierenden ökologischen Folgen mit dem Abriss und Neubau eines solchen Gebäudes verbunden sind. Auch welches Potenzial so ein Bestand bietet, wenn er sinnvoll gepflegt und um- oder weitergebaut wird. Womöglich wäre dann anders entschieden worden. Das ist natürlich eine Aufgabe von uns Architekt:innen.
INTO STORIES ist ein Berliner Büro, das von Romina Falk und Sophia Frommel geführt wird. Inspiriert wird die Arbeit dieses Büros von jenen alltäglichen und außergewöhnlichen Geschichten, die jede Aufgabe und jedes Gebäude einzigartig machen. Hauptmotivation, sich selbstständig zu machen, war es, ein Umfeld zu schaffen, das den eigenen Vorstellungen von Arbeitsalltag und gemeinsamer Zusammenarbeit entspricht – sowohl innerhalb des Büros als auch in Kooperation und im Austausch mit anderen. Zu den Planungsaufgaben von INTO STORIES zählen vor allem das Bauen im Bestand, von Sanierungen bis hin zu An- und Umbauten von Ein- oder Mehrfamilienhäusern, aber auch kleinere Neubauten und Interior Projekte. Konrad Wolf, drittes Gründungsmitglied, hat das Büro 2023 verlassen.
https://intostories.eu/
Das Interview haben Lena Engelfried, Hanna Noller und Christian Holl am 24. Juni 2024 geführt.