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Schulen, Raster und ein besonderer Campus


Blick zurück nach vorn: Die jüngere Architektur- und Stadtgeschichte bietet ein unerschöpfliches Reservoir für Entdeckungen und Erkundungen. Exemplarisch dafür stellen wir drei Publikationen jüngeren Datums vor.


Eva Guttmann, Gabriele Kaiser, Claudia Mazanek (Hrsg.): Shifting Patterns. Christopher Alexander und der Eishin Campus. 192 Seiten, 38 Euro
Park Books, Zürich, 2017

Christopher Alexanders „Eine Mustersprache“ mag, so die Herausgeberinnen Eva Guttmann und Gabriele Kaiser im Vorwort, geschätzt sein, der Gebrauch dieser Sprache sei es nicht. Man wird es vermuten und findet es am Ende des Vorworts bestätigt: Mit diesem Buch möchten sie daran etwas ändern. „Unsere Vermutung, dass sich die Beschäftigung mit Alexanders Theorien, mit seiner Idee einer ganzheitlichen, prozesshaften und humane Architektur heute mehr denn je lohnt, ja eine bestechende und geradezu zwingende Alternative zu herkömmlichen Planungsstrategien sein könnte, hat sich bestätigt.“ Shifting Patterns ist dem umfangreichsten Werk gewidmet, das Alexander verwirklichen konnte – dem in der Nähe Tokios gelegenen Eishin Campus, dessen 29 Gebäude 1981 bis 85 errichtet wurden. Der Idee Alexanders folgend, nicht den individualistischen Entwerfer, sondern kollektive Prozesse zu aktivieren und auf Ergebnisse einer gemeinsamen Erfahrung zurückzugreifen, haben die Herausgeberinnen ihre Auseinandersetzung mit dem Eishin Campus über Wegbegleiter, Kritiker, Architekten geführt, die in ihren Beiträgen in vielfältigen Perspektiven, teilweise in sorgfältig redigierten Interviews, das Ensemble reflektieren. Es sind dies unter anderem der Projektleiter Hajo Neis, der Theoretiker Christian Kühn, der Architekturhistoriker Norihito Nakatani. In den Texten wird der Aufbruchsgeist der Zeit, der Humanismus der Architektur, die besondere Qualität von Alexanders Entwurfsmethodik nachvollziehbar, Fotos von Helmut Tezak vermitteln die besondere Atmosphäre des Ortes auch visuell. Kühn zeigt, bei aller Empathie, aber auch die Grenzen des Ansatzes auf: „So poetisch und präzise seine Spezifikation für die Gesamtanlage des Campus auch sein mag: Für Gebäude scheint Alexander kein anderes Konzept zu kennen als die Urhütte in Form des dekorierten Schuppen mit Satteldach. (…) Seine Architektur belastet sich mit der Aufgabe, eine radikal neue Architektur mit den formalen Mitteln der Vergangenheit erfinden zu müssen.“ Ein wichtiger Beitrag – denn wenn die Herausgeberinnen mit ihrem Postulat, die Auseinadersetzung mit Alexanders Theorien lohne sich heute mehr denn je, recht behalten sollen, dann wird der Beweis dazu über eine Neuerfindung dessen führen müssen, wie mit diesen Theorien heute umgegangen werden kann. Das – wunderschön gemachte – Buch ist für eine solche Neuerfindung ein überzeugendes Plädoyer.

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Juliane Richter, Tanja Scheffler und Hannah Sieben (Hg.): Raster Beton. Vom Leben in Großwohnsiedlungen zwischen Kunst und Platte. Leipzig-Grünau im internationalen Vergleich. 148 Seiten, 28 Euro
M Books, Weimar, 2017

„Großwohnsiedlungs-Bashing ist in“ konstatiert Wolfgang Kil. Nicht nur er hält es für falsch, dass Großwohnsiedlungen nur mehr oder weniger notgedrungen als Bestandteil der Städte hingenommen werden, weil die schiere Menge keine Wahl lässt. Kil plädiert dafür, diese Siedlungen als normale Teile der Stadt wie andere auch wertzuschätzen. Aus einer solchen Anerkennung war 2016 ein Kunstfestival in Leipzig-Grünau hervorgegangen, zu dem nun die Publikation erschienen ist. Raster Beton ist freilich mehr als die Festival-Dokumentation. Die Veröffentlichung bietet eine gründliche Aufarbeitung der Geschichte dieses Stadtteils von seinen Anfängen bis heute. Immerhin ist Leipzig-Grünau mit über 45.000 Einwohnern und derzeit knapp 30.00 Wohnungen wieder auf Wachstumskurs – man geht von über 50.000 Bewohnern bis 2030 aus. Eine pauschale Abwertung hilft da niemandem, im Gegenteil ist die jetzige Phase eine, die den Raum für Gestaltung gerade dann wieder öffnet, wenn man sich einem Stadtteil wie diesem nicht mit einer vorgefassten Abwehrhaltung nähert. Kunstfestival wie Publikation hatten und haben genau dies zum Ziel: Mut und Lust auf Gestaltung zu machen. Im Buch wird die Entwicklung Grünaus in einen Kontext des nationalen wie internationalen Diskurses gestellt, der Entwicklungen in Frankreich wie in Polen, in Westdeutschland wie in China miteinbezieht, begleitet werden die Texte von historischen wie neuen Bildern und Plänen Grünaus. Ein neues Wand-Ornament von Folke Köbberling, ein Kinowagen des Künstlerkollektivs Bruit du Frig, performative Rundgänge von Julischka Stengele, die Einrichtung des „größten urbanen Golfplatzes der Welt“ durch Daniel Theiler waren Arbeiten des Festivals, das Bewohnern und Bewohnerinnen eine Wertschätzung entgegenbrachte, die sie lange vermissen mussten.

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Architekturschulen

Kerstin Renz: Testfall der Moderne. Diskurs und Transfer im Schulbau der 1950er Jahre. 412 Seiten, 45 Euro
Wamuth Verlag, Tübingen, 2016

Zum Schluss sei noch auf eine Publikation aufmerksam gemacht, deren Autorin sich auf ein hochkomplexes Feld wagt: der Schulbau der Nachkriegsmoderne. Dabei geht es nicht darum „die Geschichte der Architektur der 1950er Jahre am Beispiel der Bauaufgabe Schule schreiben zu wollen“, wie Kerstin Renz in der Einleitung klarstellt. Im Mittelpunkt dieser auf ihrer Habilitation fußenden Publikation stehen viel mehr Diskurs und Transfer: Welche Auseinandersetzungen wurden geführt, welche Vorbilder bemüht, welche gezielt in den Diskurs eingeführt, an welchen Vorbildern hat man sich im Deutschland der Nachkriegszeit orientiert? Es ist kaum nötig, die Bedeutung des Schulbaus zu verdeutlichen – er wurde in der Nachkriegszeit in Ost wie West „mehr denn je zur Projektionsfläche einer staatlichen und gesellschaftlichen Erneuerung“. Der Schulbau war ein Politikum, nicht zuletzt auch, weil der Bedarf am Neubau von Schulen enorm war. Zwischen Reformern und Traditionalisten, zwischen dem Wiederaufgreifen erprobter Modelle und dem Experiment spannt sich im Schulbau das Feld weit und heterogen auf. Der Rückbezug auf die 1920er Jahre ist einerseits naheliegend, andererseits auch vermimt: so manche Entwicklungslinie wurde durch die NS-Zeit nicht so radikal unterbrochen, wie es bequem gewesen wäre. Die gegliederte Pavillonschule war eben nicht nur ein Produkt von reformpädagogischen Ideen, sondern ließ sich auch gut mit der Idee einer völkischen Siedlungszelle und Luftschutzbestimmungen verbinden. Überraschend ist, dass (in Westdeutschland) weniger das Vorbild der USA eine wichtige Rolle im Nachkriegsschulbau einnahm als vielmehr dasjenige der Schweiz – der Vermittlungseifer des umtriebigen Architekten Alfred Roth hatte daran entscheidenden Anteil.
Hin und wieder ist es schwer, angesichts vieler Linien des Diskurses, den die Autorin aufdröselt, den Überblick zu bewahren, es ist durchaus zu bemerken, welche Kraftanstrengung es bedeutete, die teils widersprüchlichen Entwicklungen zu fassen und zu ordnen. Deutlich sichtbar wird anhand der Bauaufgabe des Schulbaus, wie stark sich am Ende der 1950er Jahre die Entwicklung änderte und eine neue Richtung einschlug. Damit wird bestätigt, dass das erste Nachkriegsjahrzehnt sich vom nachfolgenden Jahrzehnt grundlegend unterscheidet.  Damit bestätigt sich ebenfalls erneut, wie wenig die Nachkriegsmoderne pauschal über einen Kamm zu scheren ist.

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