Der Entwurf für eine neue Oper in Hamburg ist bestimmt, aber noch sind die Würfel nicht gefallen. Es sind vor allem die Prozess- und Entscheidungsstrukturen, die hier nicht zufriedenstellen und das Wettbewerbsergebnis in fahles Licht rücken.
Nun ist es entschieden, das architektonische Qualifizierungsverfahren zum Bau der neuen Hamburgischen Staatsoper in der HafenCity. Wir haben berichtet, siehe die Beiträgs-Links in der Seitenspalte. Klaus Michael Kühne und seine Frau Christine, die in der Schweiz leben – wo man weniger Steuern zahlen kann als hierzulande –, sich Hamburg aber sehr verbunden fühlen, wollen ihrer Heimatstadt ein neues Opernhaus finanzieren und haben dafür mit der Stadt einen Vertrag geschlossen, der unter anderem jenes Qualifizierungsverfahren mit fünf teilnehmenden Architekturbüros vorsieht. Deren Entwürfe für ein neues Opernhaus auf dem Baakenhöft in der HafenCity, die sie auf der Grundlage einer theaterfachlichen Vorplanung und mit einem Kostenrahmen von maximal 340 Millionen Euro Bausumme abgegeben haben, liegen seit dem 13. November vor.

Das Büro BIG hat Erfahrung mit Kulturbauten, die für den Wettbewerb qualifizieren. Links: Prag, Philharmonie; Entwurf von BIG, 2021; rechts: Musée Atelier Audemars Piguet, Le Brassus, Schweiz, 2020 (Copyright: BIG)
Aufs Dach steigen
Mit einem erwartbar spektakulären und gleichzeitig hoch kompatiblen Entwurf haben Bjarke Ingels und sein Büro BIG diese Konkurrenz für sich entscheiden können. Der Entwurf sieht ein begehbares Opernhaus vor, das sich auf den Baakenhöft in einer Linie mit der Elbphilharmonie am Kaiserhöft und den Elbtower am östlichen Ende der HafenCity entlang des Ufers an der Norderelbe zeigen soll. Mit seiner Höhe liegt die höchste begehbare Ebene des wie ein Berg spiralförmig angelegte Gebäudes mit etwa 40 Metern etwa auf dem Niveau der Elbphilharmonie-Plaza. Von hier ließe sich die Stadt in der HafenCity angenehm distanziert und doch im Detail beobachten. Die vornehmlich gläsern gehaltene Außenhülle des Opernhauses macht seinen Betrieb zumindest an seiner Oberfläche sichtbar und tendenziell auch eine gewisse Verzahnung der Außen- und Innenräume möglich. BIG hat ganz offensichtlich die meisten Erwartungen der Auslober und der Stadt Hamburg erfüllt. Schließlich hatten sich Kultursenator Carsten Brosda und der geschäftsführende Stiftungsrat der Kühne Stiftung Jörg Dräger schon vor der Ausschreibung des Verfahrens ein begehbares, in einen Park eingebundenes Opernhaus gewünscht, das gleichzeitig markant und zurückhaltend sein sollte. Wie letzteres umgesetzt werden kann, muss angesichts des BIG-Entwurfs weiter offenbleiben. Denn ein unscheinbares Gebäude hat BIG nicht entworfen; und auch wenn man ihm aufs Dach steigen kann und es dadurch bezwingbar erscheint, bleibt es eine Landmarke. Damit setzte sich BIG auch deutlich von seinen Mitbewerbern ab, die die Dächer ihrer Gebäude zwar irgendwie dem Publikum geöffnet haben, aber nicht so konsequent wie BIG. Selbst Snøhetta, die nach ihrem – durch sein begehbares Dach richtungweisendes – Opernhaus in Oslo als Favoriten gehandelt worden waren, hatten bei ihrem Vorschlag für Hamburg der Signifikanz den Vorzug gegeben. BIG schafft eine Einbettung, nutzt dabei aber durchaus Architekturkonzepte beziehungsweise -formen, die aus anderen Entwürfen bekannt sind, beispielsweise der Philharmonie in Prag. Nur sind die Gebäudekonturen dieses Mal abgerundet. In der Grundkonzeption sind sich beide Entwürfe aber so ähnlich, dass man die Designverwandtschaft deutlich sieht und vordergründig den individuellen Ausdruck des Hamburger Entwurfs vermissen kann. Der BIG-Büroformenkanon ist an dem Gebäude prägnant zu erkennen. Im Detail unterscheiden sich die beide Ansätze. Sie sind jeweils an den örtlichen Bedingungen orientiert, und auch die auf den Dächern angelegten Landschaften tragen ein lokales Kolorit. Im Detail wird ikonische Architektur aber in der Regel nicht betrachtet. Es zählt die oberflächliche, ikonische Wahrnehmung, der erste Eindruck. Auf dieser Ebene der flüchtigen Bilder ist die Einzigartigkeit des Entwurfes also nicht gegeben. Einzigartig sollte der Entwurf in der Vorstellung von Kultursenator Carsten Brosda und Stiftungsrat Jörg Dräger sowie des Mäzens aber doch schon sein.
Stefan Behnisch, der der Jury vorsaß, blieb in seinem Statement auf der Pressekonferenz zur Verkündigung des Ergebnisses dagegen auffallend zurückhaltend und wenig euphorisch: Der BIG-Entwurf habe die gestellte Aufgabe am besten erfüllt, und das gewählte Verfahren habe professionelle Beiträge der angefragten Büros ergeben. Das ist zweifellos beides richtig.
Alle Kritiken widerlegt?
Der Kultursenator freut sich indes über die jetzt vorliegenden Bilder der neuen Oper.
Eine für den Opernbau innovative Architektur war durch die engen Vorgaben der theaterfachlichen Vorplanung und dem engen Kostenrahmen ohnehin nicht zu erwarten. Die beteiligten Architekturbüros hatten im Vorfeld schon entsprechende Erwartungen gedämpft. Entsprechend ist die „Opern-Maschine“, wie Carsten Brosda das Herzstück der neuen Oper gerne bezeichnet, in allen fünf Entwürfen annähernd gleich ausgestaltet worden. Das Publikum sitzt in allen Fällen mit dem Rücken zum Wasser und schaut auf eine Guckkastenbühne, die anders als im alten Haus nicht nur eine Hinterbühne, sondern auch Seitenbühnen hat. Dahinter sind die Probenräume und die Werkstätten angelegt. Variationen gab es lediglich in der Art, in der diese „Maschine“ eingehüllt wird. Auch das war erwartet worden. Der Entwurf für die neue Oper ist bestimmt. Er soll jetzt zwei Jahre auf seine vor allem finanzielle Realisierbarkeit geprüft werden.

BIG, Visualisierung des Aufführungssaals in der Hamburger Oper, für die übrigens keine Drehbühne vorgesehen zu sein scheint (Copyright: BIG)
Ist jetzt alles gut? Sind alle Kritiker:innen widerlegt und überzeugt? Nein! Das Ergebnis bestätigt im Gegenteil die Kritik an der Aufgabenstellung und dem gewählten Verfahren sowie an der im Vorfeld nicht geführten Debatte. Der Hamburgischen Architektenkammer war das Verfahren nicht transparent genug. Fünf teilnehmende Büros seien angesichts der Komplexität des Vorhabens nicht ausreichend. Ob ein breiter aufgestelltes Verfahren eine höhere Varianz der Ansätze ergeben hätte, muss offenbleiben, die Chance dafür ist allerdings vertan.
Verzicht auf kreative Vielfalt
Gemessen an der Bedeutung einer neuen Oper – auch vor dem Hintergrund ihrer Geschichte als Bürgeroper – wünschte sich nicht nur die Architektenkammer eine umfassende fachliche und inhaltliche Debatte darüber, ob, wie und wo das neue Gebäude geplant werden soll. Dafür war in dem (im Verborgenen verhandelten) Vertrag mit der Kühne-Stiftung kein Platz. Offenbar mussten die Stifter sogar überredet werden, überhaupt so etwas wie einen Wettbewerb zu veranstalten. Neben dem Verzicht auf eine kreative Vielfalt der architektonischen Ansätzen (festgelegte Vorplanungen, eng gesetzter Kostenrahmen, Schmalspurkonkurrenz von nur fünf Büros) wurde auf der Ebene der Stadtplanung eine hybride Nutzung des Grundstücks auf dem Baakenhöft abgelehnt und eine Einbindung der Stadtgesellschaft, insbesondere der Anwohnerschaft, in die Debatte um die Überplanung des Grundstücks sehr eingeschränkt. Auch die Architektenkammer hatte in ihrer Verfahrens-Kritik die zu enge Ausrichtung auf die Opernnutzung bemängelt. Die Stadtgesellschaft solle dann einbezogen werden, wenn die Architektur- und Landschaftsarchitekturentwürfe weitgehend ausgearbeitet sind, ließ Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity GmbH, verlauten. Dann sind die Würfel allerdings gefallen und eine Beteiligung eigentlich überflüssig. Wichtige gesellschaftliche Impulse wären dann vertan. Dabei geht es hier nicht nur um die Akzeptanz von Architektur und Stadtentwicklung, sondern auch um eine breite Unterstützung einer immer noch als elitär betrachteten Kunstform.
Matthias Alexander kommentierte in der FAZ. Der Kulturjournalist Peter Richter verwies Ende Oktober in der Süddeutschen Zeitung in einer ersten Bilanz der Opernplanungen in Hamburg darauf, dass den schrumpfenden Besucherzahlen von Opern entgegenzuwirken sei. Kultursenator Carsten Brosda und Opernintendant Tobis Kratzer setzen in den Entwurf der neuen Oper große Hoffnungen, auch um dem elitären Nimbus der Kunstform Oper entgegenzutreten. Eine hybride Nutzung des Grundstücks lehnt Kultursenator Brosda aber kategorisch ab und verzichtet dabei lieber auf synergetische Effekte, die eine Nutzungsmischung auf dem Bauplatz oder in seiner Nähe ergeben könnte.

Erweiterung der Hamburger Kunsthalle; Projekt des Büros Snøhetta (Bild: https://www.snohetta.com/projects/hamburger-kunsthalle-extension; Foto: Proloog)
Der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alexander Klar, geht da andere Wege. Er hat sich von dem Architekturbüro Snøhetta eine Erweiterung der Kunsthalle an der Alster entwerfen lassen, die diese mit einem Schwimmbad in der nahegelegenen Alster verbindet. Warum an der Elbe auf ähnliche Synergien verzichtet werden soll, ist nicht nachvollziehbar. Frank Schmitz, Professor für Kunstgeschichte und Spezialist für die Geschichte des Theaterbaus an der Uni Hamburg, betont: „Es braucht Bienenkörbe, in denen von morgens bis abends etwas los ist: Vorträge, Veranstaltungen, Bibliotheken, Gastronomie, Familienangebote. Es ist ein städtebaulicher Fehler, eine monofunktionelle Struktur an diese prominente Stelle an die Elbe zu setzen …“
Ein öffentlicher Park ist bekanntlich kein Bienenkorb, schon gar nicht im Winter. Ein Café soll wie im Moesgaard Museum bei Aarhus (2014 von Henning Larsen Tegenstue) als Mittlerzone zwischen Innen und Außen fungieren. Ob die Oper aber aus neugierigen Parkbesucherinnen und Parkbesuchern Laufkundschaft generieren kann, ist mehr als fraglich. Auch in diesem Fall ist ihre Kunstform anders geartet als die der Musik; ein Opernhaus unterscheidet sich von einer Philharmonie wie der „Elphi“, die ihr Musikprogramm sehr breit aufstellt, um möglichst viele Menschen anzusprechen – und damit Erfolg hat. Im Umfeld der Elbphilharmonie ist es mit Gastronomie, die vor oder nach dem Konzert frequentiert werden kann, nicht sehr üppig bestellt. Wenigstens dies sollte in der neuen Oper anders sein. Wahrscheinlich müssten aber noch weitere alltägliche Nutzungskombinationen möglich sein, die die Attraktivität des Ortes steigern.
Hochschulen und Universitäten sind Kreativwerkstätten
An der HCU, der HafenCity Universität, und an der IU, der Internationalen Hochschule, in Hamburg denken Lehrende und Studierende über das Baakenhöft nach. Die Hochschullehrer:Innen Alessandro Gess und Hanna Göbel reflektieren in Projekten und Seminaren, welche Bedeutung das Baakenhöft und dessen Nutzung für und in der Stadtgesellschaft haben kann und welche baulichen Formen man dafür braucht. An der IU haben Hendrik Gruß und Heiner Stengel ihre Studierenden einmal durchspielen lassen, ob hier nicht besser Wohnungen gebaut würden als eine Oper.
Solche gesellschaftlichen Expertisen nicht in die Planungen am Baakenhöft einzubinden, ist fahrlässig. Schließlich kann die zukünftige Akzeptanz eines Gebäudes wie das einer neuen Oper mit der Geschichte des bürgerschaftlichen Engagements für diese Kunstform in Hamburg und ihre Erneuerung in der Stadtgesellschaft nur gelingen, wenn diese in den Planungsprozess auch wirklich eingebunden ist. Kulturprojekte haben in Frankfurt am Main, Kassel, Lübeck oder Erlangen mit effektiven partizipativen Planungsprozessen gute und konstruktive Erfahrungen gemacht, bei denen sich die Menschen ernstgenommen fühlen. In Hamburg darf ein einzelner Mäzen diesen Prozess weitgehend dominieren, nur weil er das Geld dafür gibt.
Mittlerweile fordert eine Gruppe von Wissenschaftler:innen Hamburger und auswärtiger Universitäten – darunter Lisa Kosok und Frank Schmitz von der Hamburgischen Bürgerschaft – ein Moratorium der Planung. Eine notwendige Phase Null der Planung habe es nicht gegeben, die sollte nachgeholt und dabei weiter offene wesentliche Fragen des Bedarfes an einem neuen Gebäude, der technischen Erfordernisse moderner Musiktheater, der Nachhaltigkeit, der Stadtentwicklung und der Erinnerungspolitik geklärt werden. Bekanntlich weigert sich Klaus Michael Kühne, die Vergangenheit seines Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Geschichte des Baakenhafens im deutschen Kolonialismus bedarf ebenfalls der Aufklärung sowie eines Gedenkortes, der auf dem Baakenhöft auch seinen Platz finden könnte. Diesem Ansinnen hat der Kultursenator aber schon eine Absage erteilt.
Mit der Stadtgesellschaft oder gegen sie?
Die neben dem Kultursenator zuständige Stadtentwicklungssenatorin, Karen Pein, zieht sich in der Frage nach einer öffentlichen Beteiligung an solchen Debatten – wie in einer Pressekonferenz Anfang September geschehen – gerne auf die Prinzipien der repräsentativen Demokratie zurück. Der Bau der Oper habe, führte sie damals aus, bereits im Wahlprogramm der SPD gestanden. Und deshalb stünde ein „ob“ nach erfolgreicher Wahl nicht mehr zur Debatte. Über das „wie“ könne ja noch verhandelt werden. Das ist allerdings wenig hilfreich. Die Spielräume für die Klärung solcher Fragen und für solche Debatten werden mit fortschreitendem Verfahren nicht größer, sondern kleiner. Das Opernprojekt nicht mit, sondern unter Umständen gegen die Stadtgesellschaft zu verfolgen oder gar durchzuboxen, ist wenig produktiv. Die Stadt und ihre Entwicklung bleiben ein öffentliche Angelegenheit. Die Stadtgesellschaft sollte in alter Hamburger Tradition vor allem beim Bau der Oper mitreden.


