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Als einer der Großen seines Berufsstandes schuf Stefan Polónyi eindrucksvolle Faltwerke und Schalen und prägte als Professor für Tragswerkslehre mit dem „Dortmunder Modell“ Bauingenieure und Architekten.

oben: Um ein Faltwerk zu erklären, zerknitterte Stefan Polónyi auch schon mal sein Redemanuskript. (Bild: Wilfried Dechau)

Sankt Paulus in Neuss, 1966-68 mit Fritz Schaller (Bild: Eckart Wittmann)

 

Wölben, Biegen, Falten

Denkt man an Ulrich Müther, hat man seine Hyparschalen vor Augen, bei Max Mengeringhausen sind es die Raumfachwerke, bei Eladio Dieste die kühn geschwungenen Ziegelschalen, bei Richard Buckminster Fuller die »Domes« genannten geodätischen Kuppeln, bei Arthur Vierendeel rahmenartige Träger, die ohne Diagonalstäbe auskommen, bei David Jawerth sind es unterspannte Seilträger. Und bei Stefan Polónyi? An alles.
Während seines Studiums in Budapest wurde Stefan Polónyi von István Menyhárt, einem seiner Professoren, stark beeinflusst, er »habe ihn mit dem Thema Schalenbau … infiziert!«. Auch wenn er sagt, der Schalenbau habe ihn durch seine ganze Praxis begleitet – Stefan Polónyi lässt sich auf nichts festlegen.
Er zog alle Register. Von der Hyparschale (Sankt Suitbert, Essen-Überruhr, Architekt: Josef Lehmbrock) über das Faltwerk (St. Paulus, Neuss Weckhofen, Architekt: Fritz Schaller), den Stahlrohrbogen (Fußgängerbrücke über die Mulde bei Dessau, Architekten: Kister, Scheithauer Gross) bis zum Raumfachwerk (Glashalle der Leipziger Messe, Architekten: gmp).

Brücke über die Mulde in Dessau (Bild: Wilfried Dechau)

Brücke über die Mulde in Dessau, 2001 mit den Architekten Kister Scheithauer Groß (Bild: Wilfried Dechau)

Leise Lenken

In einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstages findet sich ein Zitat, das seine Haltung zum Beruf wie eine Leitlinie beschreibt, die er konsequent verfolgt: »Es ist … sehr wichtig, dass man den Architekten nicht in seinem Gedankengang stört mit Konstruktionen, die für ihn nicht in Frage kommen. Man darf nur solche Vorschläge machen, die seine Gedanken bereichern.«
An anderer Stelle heißt es: »Meine Zusammenarbeit mit den Architekten war meist so, dass ich versucht habe, sie leise zu lenken. Wir haben sehr intensiv die Planung besprochen, immer über die konkreten Baupläne. Dabei war es mir wichtig, zu verstehen, was sie und warum sie es so haben wollen. Und erst dann habe ich mit der Tragkonstruktion …  eine Antwort gegeben.«

Modell und Wirklichkeit

So eine Vorgehensweise funktioniert nur, wenn man erst einmal zuhört, um dann zu antworten. Das gilt ja in beide Richtungen. Mit dem Architekten Harald Deilmann klappte das offenbar besonders gut. An der TU Dortmund machten sie sich gemeinsam dafür stark, die getrennten Ausbildungswege von Architekten und Bauingenieuren wieder zusammenzuführen. Daraus entstand das »Dortmunder Modell«, ein Versuch, wieder am alten Berufsbild des Baumeisters anzuknüpfen.

Etwas ernüchtert meinte er im DBZ-Gespräch dazu: »Man kann an den Strukturen im Studium an den Universitäten nur sehr schwer etwas ändern. Auch beim ›Dortmunder Modell‹ haben wir Schwierigkeiten gehabt, weil man von uns verlangt hatte, die Studien- und Prüfungsordnung, also die Rahmenstudien- und Prüfungsordnung für die Studienortwechsler einzuhalten. Also praktisch war es so, dass man von uns eine Reform erwartet hatte, unter der Bedingung, dass alles so bleibt, wie es ist!«

Das gemeinsame Ganze

Und vielleicht entwickelte das Modell auch deswegen keine durchschlagende Wirkungskraft, weil sich das Bauwesen immer mehr diversifiziert hat und in Normen, Regularien und Verantwortungsbereiche aufspaltet, in denen das gemeinsame Ganze aus dem Blickfeld geraten ist.
Am 9. April 2021 starb der universal denkende Baumeister in seiner Wahlheimat Köln.


Gespräch mit Stefan Polónyi anlässlich seines 90. Geburtstages im Juli 2020 in der DBZ:
https://www.dbz.de/artikel/dbz__3544859.html

Wikipedia-Artikel zum »Dortmunder Modell«:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dortmunder_Modell_Bauwesen

aktuell: https://www.bauwesen.tu-dortmund.de/haupt/de/Fakult__t/Infoflyer_Fakultaet_de2.pdf

(stu): Koryphäe der Tragwerksplanung. Zum Tod von Stefan Polónyi. In: Baunetz, 15.4.2021
https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Zum_Tod_von_Stefan_Polonyi_7588531.html

Ursula Kleefisch-Jobst: Der Ermöglicher. Zum Tod des Tragwerksplaners Stefan Polónyi
kölnarchitektur.de, 16.4.2021
https://www.koelnarchitektur.de/pages/de/news-archive/32173.htm