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Vom Finden und Festhalten


Eine Ausstellung in Köln versammelt Fotografien, die Philipp Goldbach und Daniel Lohmann vor rund 20 Jahren mithilfe einer lokalen Brücke aufgenommen haben. Die Bilder zeigen Köln und sagen doch so viel mehr aus.
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Blick auf die Deutzer Brücke sowie Kirche St. Martin und Martinsviertel, 2007. (Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 ;via Wikimedia Commons)

Irgendwas ist dran an den sogenannten „Nuller-Jahren“, also jenem ersten Jahrzehnt des damals neuen Jahrtausends. Abseits des Offenkundigen, etwa dass sich zusehends mehr Menschen wie vor 20 Jahren kleiden – hatte sich das schon im letzten Jahr im Song „Selbe Jugend“ der aus Dresden stammenden Rap-Crew 01099 angedeutet, in dessen Refrain der Rapper Gustav singt: „Dieselben Blumen steh’n immer noch vorm Haus / Wir hab’n dieselbe Jugend gehabt, fällt dir dann auf / Euro zwei-null-acht und Schwarz wurde zu Blau / Hände weg von Mississippi, lange her, aber vertraut, ey“. Neben der Fußball-Europameisterschaft der Männer im Jahr 2008 wird hier der Kinder- und Jugendfilm „Hände weg von Mississippi“ besungen, den der Regisseur Detlev Buck 2007 nach der literarischen Vorlage des gleichnamigen Kinderbuchs von Cornelia Funke inszenierte. Auch im Song „Anders“ – wie „Selbe Jugend“ auf dem 2023 erschienen Album „Blaue Stunden“ veröffentlicht – hält die Gruppe ihre Freude an den Nuller-Jahren fest, wenn den „Picaldi-Jeans in Hellblau aus 2004“ gehuldigt wird. Feature-Gast Ski Aggu schlägt im selben Song in die gleiche Kerbe: „Geh‘ Mauerpark zum Flohmarkt und kauf‘ Kleidung aus 2000“. Und Ende August dieses Jahres hatten die vermeintlich in alle Ewigkeit zerstritten Manchester City-Fans und Brüder Noel und Liam Gallagher die bislang von kaum jemandem für möglich gehaltene Wiedervereinigung ihrer Band „Oasis“ bekanntgegeben, die in den Nuller-Jahren und bis zu ihrer Auflösung 2009 die Ernte ihrer musikalischen Saat der 1990er-Jahren einfuhr.

Die Sehnsucht nach diesen Jahren lässt sich vielleicht auch in der Benennung von Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten der Union erkennen, der von 2000 bis 2002 erstmals Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit auch Oppositionsführer war. Damals wenigstens standen Brücken noch für ihre verbindenden Eigenschaften oder den ingenieurtechnischen Wagemut, mit dem sie errichtet wurden, und stürzten nicht einfach ob jahrzehntelanger mangelhafter Pflege jäh in den Fluss, den sie eigentlich überspannen sollten.

Sehnsuchtsziel „Nuller-Jahre“


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Blick von unten auf die „zwei“ Deutzer Brücken. (Bild: David Kasparek)

2003 entdeckten die damaligen Studenten Philipp Goldbach und Daniel Lohmann den in Köln vielen bekannten Raum der Deutzer Brücke. Die Brücke, just an der Stelle positioniert, wo schon das römische Köln im dritten Jahrhundert mit seinem rechtsrheinischen Vorposten verbunden war, besteht eigentlich aus zwei Brücken.  Eine Stahlbrücke, die nach Plänen des Bauingenieurs Fritz Leonhardt realisiert und im Jahr 1948 eingeweiht wurde, und unmittelbar daneben eine Betonbrücke, die 1979 in Betrieb genommen wurde. Anders als die Stahlbrücke wurde sie nicht im für Köln typischen Grün gestrichen – geht man am Rhein spazieren und hebt unter der Brücke den Blick, wird diese Gleichheit im Ungleichen deutlich.

Konstruktionsbedingt findet sich nun also unter der Fahrbahn des Betonbauteils ein 437 Meter langer Raum. Anders als bei Wohnbauten aber werden die Löcher in den Außenwänden, die nach Abbau der Schalungstafeln und Entfernung der sie verbindenden Hülsen entstehen, nicht gefüllt. Die Wände des langen Raums unter der Deutzer Brücke haben also viele Löcher.

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Ausstellungsansicht mit Modell der Deutzer Brücke. (Bild: Philipp Goldbach)

Philipp Goldbach und Daniel Lohmann hatten vor inzwischen 21 Jahren die Gelegenheit, sich an einer Ausstellung zu beteiligen, die von der Kunsthochschule für Medien, wo Goldbach in Köln studierte, und dem Edinburgh Collage of Art, wo Lohmann sein Auslandssemester absolvierte, ausgerichtet wurde und den Raum der Brücke gleichermaßen zum Thema der künstlerischen Auseinandersetzung wie zum Ausstellungsort selbst machte. Wie von den beiden erhofft, stellte sich bei der ersten Begehung des Brückenraums heraus, dass er ob seiner Bauart wie eine Lochkamera funktioniert. Durch die ehemaligen Schalungslöcher wird ein Abbild der Stadt spiegelverkehrt ins Innere projiziert – genauer: viele hundert Abbilder von unterschiedlichen Stellen der Stadt, teils mit dem bloßen Auge erkennbar. Die beiden Studenten wählten frei 13 Löcher aus, verschlossen die umgebenden und nutzten das jeweils ausgewählte als Objektiv. Auf der gegenüberliegenden Wand platzierten sie ein Direct Positive Fotopapier und belichteten es durch einen Rotfilter; teilweise bis zu 30 Minuten. Das Ergebnis waren 13 Bilder Kölns.

Die Brücke als gigantische Lochkamera


 

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Ausstellungsansichten. Rechts ein Modell eines Segments des Brückenraums, wo die Bilder der Ausstellung entstanden. (Bild: Philipp Goldbach)

21 Jahre später zeigen Daniel Lohmann, heute Professor für Baugeschichte und Denkmalpflege an der Architekturfakultät der TH Köln, und Philipp Goldbach, inzwischen Fotograf und bildender Künstler, die Bilder erneut. Sie hängen nun im nördlichen Foyer des ohnehin immer wieder einen Besuch lohnenden LVR-Landeshauses der Architekten Eckhard Schulze-Fielitz und Ernst von Rudloff unter Mitarbeit von Ulrich Schmidt von Altenstadt, zwischen 1956 und 1959 in Sichtweite der Deutzer Brücke unmittelbar am Rheinufer errichtet. Die Bilder zeigen mal vermeintlich Abstraktes, wie das Blattwerk einer der Platanen, die den Fluss säumen, mal sofort erkennbare Gebäude wie den Bayenturm oder das Schokoladenmuseum – allesamt durch die Fototechnik ins Grüne invertiert. Die Färbung der Aufnahmen führt nicht nur zu einem weiteren Grad der Abstraktion, sondern auch zu einer subtilen Analogie zum für die Stadt so typischen „Kölner Brückengrün“. Eine Farbe, so prägend, das selbst Architekturführer der Domstadt in sie eingeschlagen werden.

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Collage der mit der Deutzer Brücke aufgenommenen Bilder – unten die Entsprechung mit üblichen Fotografien (Beide Bilder/ Collagen: Daniel Lohmann, Philipp Goldbach)

 

Angereichert haben Goldbach und Lohmann die Aufnahmen um Modelle, die von Studierenden der Hochschule gefertigt wurden und die Brücke in ihrer Konstruktionsart ebenso erläutern wie ihre Funktionsweise als „Camera Obscura“, sowie verschiedene historische Dokumente aus der Entstehungszeit der Brücke. Zur Ausstellung erscheint außerdem ein lohnender Katalog. In Form eines Leporellos führt er nicht nur alle Aufnahmen zusammen, sondern erläutert in einem informativen Text auch die Entstehung der Brückenzwillinge und der Fotografien. In Zeiten, in denen wir uns einmal mehr der Verbindungen zwischen unseren gesellschaftlich immer feinteiliger aufgedröselten Milieus bewusst werden sollten, ist diese kleine Ausstellung nicht nur ein Rückgriff in eine Epoche vermeintlicher Sicherheit, sondern ein Plädoyer für das Zusammenkommen. Die Brücke selbst wird hier zum schöpferischen Werkzeug, die Künstler gleichzeitig zu Assistenten, die dem Werk bloß den Weg bereiten, und kreativen Akteuren. Brücken sind Orte – und hier wortwörtlich auch Räume –, an denen wir zusammenkommen, die verbinden und die zur Identifikation einer Stadt maßgeblich beitragen. Wie sehr auch vermeintlich unscheinbare Bauwerke wie die Deutzer Brücke das tun, manifestiert sich in den Aufnahmen von Philipp Goldbach und Daniel Lohmann. Ein wenig Rückbesinnung an dieses wohlige Gefühl, das manche beim Ansehen eines Kinderfilms erfüllt, andere bei der Wahl eines Wirtschaftsanwalts und -lobbyisten, an die Freude der „Nuller-Jahre“, an Picaldi-Jeans in Hellblau oder Fernando Torres würde vielen Diskussionen, die uns vermeintlich trennen, derzeit de facto doch ganz gut tun.


2441_KF_Dka_Bruecke_KatalogDie Brücke – Fotografien (mit) der Deutzer Brücke
bis zum 17. Oktober 2024
LVR-Landeshaus, Kennedy-Ufer 2, 50679 Köln
Täglich 10–18 Uhr
Der Eintritt ist frei
Zur Ausstellung erschien eine empfehlenswerte Publikation.
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